MESOP : IST OPERAISMUS BESSER KRISENLÖSEND-BEFREIEND ALS NEO-GRAMSCIANISMUS ?

Eine Röntgenaufnahme aus dem linken inneren der Syriza Partei in der Volksrepublik Tsipras

(……) Backbords rumort es schon jetzt heftig bei Syriza, deren linker Flügel gegen jeden Kompromiss auf dem Weg zum Sozialismus ist. Er fürchtet das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht – im Gegenteil. Wer die Physiologie des Syriza-Organismus verstehen will, muss den Namen der Partei wörtlich nehmen. Syriza steht als Akronym für das „Bündnis der radikalen Linken”, entstanden 2004 als loser Zusammenschluss von etwa einem Dutzend Splittergruppen. Kein Mensch kann sich die Namen all dieser Gruppierungen merken, aber es ist aufschlussreich, sich den linken Flügel der Linkspartei einmal näher anzusehen.

Die größte unter den vielen kleinen Gruppen ist die ihrerseits aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzte „Koalition der Linken und des Fortschritts”, kurz Synaspismos, der Tsipras entstammt. Es handelt sich dabei, wie bei vielen Syriza-Komponenten, um eine Abspaltung von der Kommunistischen Partei Griechenlands. Dann wären da noch die maoistisch orientierte „Kommunistische Organisation Griechenlands”, die trotzkistische „Internationalistische Arbeiterlinke”, die „Kommunistische ökologische Linke der Erneuerung”, die „Kommunistische Plattform”, die „Plattform der 53″ und viele weitere Abspaltungen.

Wer einmal Syriza-Theoretikern beim Diskutieren zugehört hat, fühlt sich wie in einem Monty-Python-Sketch. Da gibt es Leute, die seit Jahren nicht mehr miteinander sprechen, weil sie sich über die Frage zerstritten, ob der Neogramscianismus dem Operaismus intellektuell überlegen und die Staatstheorie von Nikos Poulantzas eine Vorwegnahme der Postmodernismuskritik Daniel Bensaids ist. Oder so ähnlich. Namen oder gar Werke dieser marxistischen Theoretiker von international anerkannter Wirkungslosigkeit mögen für Geschöpfe außerhalb des Paralleluniversums linker Welt-interpretation nur von überschau-barer Bedeutung sein. Aber die Vor- und Nachdenker von Syriza halten Menschen, die die entsprechenden Schlagworte nicht parieren können, für mindestens debil. „Sozialdemokrat” ist in ihren Kreisen ein übles Schimpfwort, so wie bei uns Kinderschänder oder Lokführer. Es sind Menschen wie Stathis Kouvelakis, Mitglied des Syriza-Zentralkomitees, der politische Theorie am King’s College lehrt und mühelos Sätze von vollendeter akademischer Unwegsamkeit zustande bringt, etwa diesen: „Syriza ist eine antikapitalistische Koalition, die sich der Machtfrage durch die Hervorhebung der Dialektik von Wahlbündnissen und Erfolg an den Wahlurnen mit dem Kampf und Mobilisierungen von unten stellt.” Punkt.

Die beiden bekanntesten Politiker des linken Flügels von Syriza, Panagiotis Lafazanis und Kostas Lapavitsas, haben keine Angst vor einem Frontalzusammenstoß mit den Gläubigern, denn sie befürworten ohnehin eine Rückkehr Griechenlands zur Drachme. Lafazanis ist ein alter Recke der griechischen Linken, kämpfte in den sechziger Jahren gegen die Militärdiktatur, saß im Gefängnis und machte in den Siebzigern und Achtzigern Karriere in der Kommunistischen Partei Griechen-lands, deren Politbüro er angehörte. Er verließ die Kommunisten 1991 und ist nun Wortführer der Syriza-Linken. Tsipras hat versucht, ihn und damit die Fundis seiner Truppe einzuhegen, indem er Lafazanis als Energieminister in sein Kabinett aufnahm. Aber Lafazanis hat schon der Junta getrotzt und lässt sich nicht einhegen.

„Die Theorie, dass ein Land nicht eigenmächtig handeln kann, ist inakzeptabel und Kulmination eines Modells der Unterwerfung”, sagte er unlängst. Seine Haltung: Tsipras soll den Gläubigern die kalte Schulter zeigen und es auf einen Crash ankommen lassen. Noch deutlicher sagt es Kostas Lapavitsas, der mit seinem Werben für eine Rückkehr zur Drachme selbst Finanzminister Giannis Varoufakis auf die Nerven geht, was eine Leistung ist.

Lapavitsas, Syriza-Abgeordneter und zuvor Professor an der Universität London mit dem Forschungsschwerpunkt volkswirtschaftliche Ideengeschichte, hat mit Heiner Flassbeck, dem früheren Staatssekretär von Oskar Lafontaine im Finanzministerium, das Buch „Nur Deutschland kann den Euro retten” veröffentlicht. Ihre These: Nur wenn Deutschland drastisch die Löhne erhöht und teurer wird, kann die Eurozone gerettet werden. „Begreift Deutschland nicht, dass es sich selbst ändern muss, ist das Schicksal des gemeinsamen Geldes besiegelt.” Weil Lapavitsas nicht an die Lernfähigkeit Deutschlands glaubt, tritt er dafür ein, dass Griechenland die Reißleine zieht. „Die heilige Dreifaltigkeit von Liberalisierung, Privatisierung und Austerität hat in Griechenland nicht funktioniert”, sagte er schon vor drei Jahren. Kurz vor Syrizas Wahlsieg mahnte er, die Partei brauche „einen Plan für die Rück-kehr zur Drachme”.

Im „Guardian”, wo Lapavitsas regelmäßig veröffentlicht, schrieb er unlängst, die Hoffnung auf „radikale Veränderungen” innerhalb der Eurozone sei erloschen. Es sei an der Zeit, anzuerkennen, dass die Strategie, die Sparpolitik zu beenden und dennoch in der Eurozone zu bleiben, unrealistisch sei. „Um den Zusammenbruch und die totale Kapitulation zu vermeiden, muss Syriza wahrhaft radikal sein. Die Eurozone kann nicht reformiert werden, und sie wird keine freundliche Währungsunion werden, die die arbeitenden Menschen unterstützt.” Also raus. Dann könne Syriza vielleicht sogar zur Avantgarde einer Bewegung werden, die Europa dabei helfe, sich von der „Absurdität” einer gemeinsamen Währung zu befreien.

Von solcher Art sind die Gedanken und die Menschen, mit denen Tsipras es in Athen zu tun bekommt, wenn er sich tatsächlich mit der Eurozone einigen sollte. Etwa ein Drittel der Abgeordneten würde im Fall des Falles vermutlich nicht Tsipras folgen, sondern Lafazanis und Lapavitsas. Syriza, die Partei, die keine Partei sein will und auch keine ist, hat ein eingebautes Verfallsdatum. Mindestens haltbar bis zur Ankunft in der Realität.

Michael Martens, FAS, 26 April 2014 , Seite 10