MESOP : Interview über den Kampf der Kurden gegen den IS mit Mostafa Sayid Qadir (KRG)

BZ-INTERVIEW mit dem Chef der kurdischen Streitkräfte im Nordirak, Mustafa Sayid Qadir, über den Kampf gegen den IS, die deutsche Bundeswehr & die Unabhängigkeit Kurdistans

ERBIL. 24 Apr 2015 – Trotz Unterstützung aus dem Westen ist der Islamische Staat (IS) im Nordirak noch immer nicht besiegt. Martin Gehlen hat mit Mustafa Sayid Qadir, Chef der kurdischen Streitkräfte im Nordirak und Minister der Peschmerga, über Waffenlieferungen aus Deutschland und die aktuelle Lage im Nordirak gesprochen.

BZ: Der Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) dauert nun schon zehn Monate. Ist es den Peschmerga gelungen, die Terrorgruppe zu schwächen?
Qadir: Als sie im vergangenen Sommer Mosul einnahmen, waren die IS-Kämpfer sehr stark. Sie rückten mit schweren Waffen aus Syrien ein und erbeuteten in Mosul, Tikrit und anderen Städten weiteres Gerät aus den Kasernen der irakischen Armee. Dadurch waren sie sehr gut ausgerüstet. Damals waren wir nicht vorbereitet auf diesen Krieg, so dass wir uns zunächst zurückziehen mussten. Durch die Hilfe Amerikas und der Alliierten ist es uns seitdem gelungen, den Vormarsch des IS zu stoppen.

BZ: Aber der Krieg geht weiter. In die Offensive gehen konnten die Peschmerga bisher nicht.
Qadir: Gemeinsam mit den Amerikanern arbeiten wir an einem Plan, das zu schaffen. Schon jetzt ist es uns gelungen, 20 000 Quadratkilometer Territorium zurückzuerobern. Wir haben dem IS schwere Verluste zugefügt, seit vergangenem Sommer haben die IS-Kämpfer mehr als 8500 Mann verloren. Der IS ist erheblich geschwächt, dennoch ist er nach wie vor sehr gefährlich.

BZ: Wie groß sind die Verluste auf Ihrer Seite?
Qadir: 1200 Peschmerga sind gefallen, außerdem haben wir 5900 Verletzte zu beklagen. Hinzu kommen 59 Kämpfer in den Händen des IS, von denen wir nicht wissen, ob sie noch leben. Die meisten Verluste hatten wir zu Beginn des Krieges, als Selbstmordattentäter in unsere Reihen gestürmt sind oder mit Sprengstoff beladene Lastwagen auf unsere Einheiten zurasten. Inzwischen haben wir uns auf den Gegner besser eingestellt – auch dank der deutschen Milan-Lenkraketen können wir jetzt besser auf solche Angriffe reagieren.

BZ: Wie viele Peschmerga sind entlang der 1050 Kilometer langen Grenze Kurdistans im Einsatz?
Qadir: 60 000 Kämpfer sind stets an der Front präsent. Sie wechseln sich Woche für Woche mit der gleichen Zahl von Soldaten ab – das macht insgesamt 120 000 aktive Soldaten. Hinzu kommen 60 000 Männer, die als Reserve umgehend mobilisiert werden können.

BZ: Benötigen Sie mehr Waffen?
Qadir: Selbstverständlich. Unsere Bestände stammen größtenteils noch aus der Zeit des Regimes von Saddam Hussein. Wir benötigen Panzer und panzerbrechende Waffen, aber auch Hubschrauber. Was wir außerdem brauchen, sind Technik und Knowhow zur Räumung verminter Gebiete.

BZ: Was kann Deutschland tun?
Qadir: Wir haben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Liste überreicht, auf der unsere Wünsche genau aufgeführt sind. Die Ausbildung unserer Peschmerga-Kämpfer durch die Bundeswehr sollte fortgeführt werden.

BZ: Die Bundeswehr will ihre G 36 Sturmgewehre ausrangieren, die wegen mangelnder Zielgenauigkeit nicht mehr benutzt werden sollen. Würden die Peschmerga diese nehmen?
Qadir: Wir sind schon jetzt sehr dankbar für die Hilfe aus Deutschland. Mit diesen 180 000 Gewehren könnten alle unsere Peschmerga ausgerüstet werden, auch wenn ich natürlich die Details noch prüfen müsste.

BZ: Haben Sie mit Verteidigungsministerin von der Leyen über die G 36 Gewehre bereits gesprochen?
Qadir: Nein, noch nicht.

BZ: Momentan gibt es schwere Kämpfe in der Anbar-Provinz im Westirak um die Stadt Ramadi. Wird es bis Ende 2015 eine Rückeroberung von Mosul geben?
Qadir: Die irakische Armee hat Tikrit wieder unter Kontrolle. Auch Mosul wollen wir dem Islamischen Staat noch in diesem Jahr entreißen. Wir werden gemeinsam und mit allen verfügbaren Kräften vorgehen – Peschmerga, irakische Armee und amerikanische Luftwaffe. Die Rückeroberung von Mosul liegt nicht nur im Interesse der Regierung in Bagdad, auch im Interesse von Kurdistan. Beim Islamischen Staat kämpfen Tausende Männer und Frauen mit, die aus allen Teilen der Welt stammen. Wenn wir Mosul befreien, tun wir das nicht nur für uns, sondern auch für Europa und für die gesamte Welt.

BZ: Neben ihrem Schreibtisch stehen die irakische und die kurdische Fahne nebeneinander. Wenn wir in drei Jahren wiederkommen, wird dann nur noch die kurdische Fahne dort stehen?
Qadir: Drei Jahre sind zu früh, auch fünf Jahre. Unser Ziel bleibt ein unabhängiges Kurdistan. Das aber wollen wir nicht mit Gewalt und Krieg durchsetzen, sondern mit demokratischen Mitteln.

Mustafa Sayid Qadir hat Agrarwissenschaften studiert. Der 56-Jährige kämpfte von 1980 bis 2003 als Partisan gegen das Regime von Saddam Hussein. Qadir ist verheiratet und hat fünf Kinder. Im Juni 2014 organisierte er die Verteidigung von Erbil gegen den IS.