MESOP : DOKUMENTATION VON KURDWATCH ÜBER GRAVIERENDE MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN & VERSTÖSSE GEGEN UN KONVENTIONEN DURCH DIE PYD (PKK) IN WEST KURDISTAN (SYRIEN)

KURDWATCH●Bericht 10 – Zwangsrekrutierungen und der Einsatz von Kindersoldaten durch die Partei der Demokratischen Union in Syrien

 

Am 13. Juli 2014 hat der von der Partei der Demokrati schen Union (PYD) eingesetzte Legislativrat im Kanton Dschazira ein Wehrpflichtgesetz mit dem Titel »Pflicht zur Selbstverteidigung« erlassen. Der vorliegende Be richt analysiert den Gesetzestext und beschäftigt sich mit der Rekrutierungspraxis der Parteimiliz der PYD, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), seit Verabschie dung des Gesetzes.

Der Gesetzestext – In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes1 wird zu nächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel   2:

»Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesell schaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Familie, einen Angehörigen für die Ausübung der Pflicht zur Selbstverteidigung zu stellen.«

Artikel 3 führt weiter aus: »Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für alle männlichen Personen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Frauen können sich freiwillig zur Selbstverteidigung verpflichten.«

Der Wehrdienst beträgt gemäß Artikel 4 sechs Monate, die in der Regel innerhalb von höchstens einem Jahr abzuleisten sind. Laut Artikel 5 sind Personen, deren Familien »einen Märtyrer aus den Reihen der Volksverteidi gungseinheiten, des Asayiş [Sicherheitsdienstes] oder der kurdischen Volksbefreiungsbewegung zu beklagen haben«sowie Einzelkinder von der Wehrpflicht befreit. Fer ner sind Menschen freigestellt, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können und darüber ein ärztliches Attest vorzuweisen haben. Arti kel 6 bestimmt, dass Personen, die eine Familie zu er nähren haben, während des Wehrdienstes eine finanzi elle Entschädigung erhalten. In Artikel 7 heißt es, jede Person, die »der Pflicht zur Selbstverteidigung nicht nachkommt, wird zur nächstgelegenen Rekrutierungs stelle gebracht«. In Artikel 8 schließlich wird festge legt, dass Personen, die die Wehrpflicht abgeleistet haben, sich den Volksverteidigungseinheiten freiwillig anschließen können.

1             Der Gesetzestext ist einzusehen unter http://www.kurdwatch.org/ pdf/KurdWatch_D035_de_ar.pdf .

Das Grundproblem des Gesetzes besteht zum einen darin, dass es erstens nicht von einer dazu legitimier ten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der Partei der Demokratischen Union (PYD) eingesetzten Gremium. Zweitens leisten Personen, die der »Wehrpflicht« nachkommen, ihren Dienst innerhalb der Volksverteidigungseinheiten (YPG) ab, dem bewa neten Arm der PYD. Die Volksverteidigungseinheiten unterstehen direkt dem Befehl der Arbeiterpartei Kur distans (PKK), ihre Führung besteht, ebenso wie diejeni ge der PYD, aus PKKKadern und PKKKommandanten.2 Es handelt sich also nicht um eine quasistaatliche Ar mee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor. Damit verstößt es gegen international anerkannte Menschenrechte.

Darüber hinaus fällt der Gesetzestext durch eine ge wisse Unschärfe auf. So heißt es, dass »jede Familie« (gemeint ist die Kernfamilie) einen Kämpfer für die YPG stellen muss. In welchem Verhältnis aber steht diese Vorgabe zu Artikel 3, demzufolge die beschrie benen Regelungen für alle männlichen Personen im Alter

2             Siehe hierzu bereits KurdWatch, September 2013, »Was will die syrischkurdische Opposition? Po litik zwischen Erbil, Sulaimaniya, Damaskus und Qandil«,

http://www.kurdwatch.org/pdf/ KurdWatch_A009_de_Parteien2.pdf .

ter zwischen achtzehn und dreißig Jahren gelten? Be schreibt Artikel 3 lediglich den Personenkreis, aus dem die einzelnen Familien einen Rekruten wählen müssen, oder müssen de facto doch alle in der »Demokratischen Selbstverwaltungsregion« lebenden Männer zwischen achtzehn und dreißig Jahren Wehrdienst ableisten? Nicht beschrieben werden ferner die Verfahrensweise der Musterung, die Kriterien der Rekrutenauswahl und die Ausbildung der Rekruten.

Mit dem vorgeblichen Aufbau einer gesetzlich legi timierten Armee beansprucht die PYD quasistaatliche Macht. Jenseits dieser eher symbolischen Bedeutung der Rekrutierungen bedient das Wehrpflichtgesetz je doch auch die politischen Interessen der PYD. Die Zahl der Freiwilligen, die sich den Volksverteidigungsein heiten anschließen, dürfte zu gering sein, als dass die PYD allein mit ihnen sowohl die Kontrolle in den über wiegend kurdischen Gebieten aufrecht erhalten könn te, als auch in der Lage wäre, sich als eektive Kampf truppe gegen den Islamischen Staat zu   präsentieren.

Die Rekrutierungspraxis

Erste Zwangsrekrutierungen durch die YPG und den Sicherheitsdienst der PYD, den Asayiş, fanden bereits im April und Mai 2014 statt, also noch vor Verabschie dung des Gesetzes. Die ersten Massenrekrutierungen hingegen werden vom Oktober 2014 berichtet. Seither erfolgen Rekrutierungen oft zufällig, beispielsweise an Kontrollpunkten oder im Zuge von Massengefangen nahmen in Internetcafés oder Kaeehäusern. Im Ein zelnen hat KurdWatch die folgenden Fälle von Zwangs rekrutierungen Erwachsener recherchiert:3

  • Am 14. Mai 2014 haben Kämpfer der Volksvertei digungseinheiten mindestens vier Bewohner des zehn Kilometer westlich von Tall Tamr gelegenen kurdi schen Dorfs Khirbat Dschammu zwangsrekrutiert. Es handelt sich um Sulaiman ʿAli, Schukri ʿAzzu, ʿAbid Usi und Mazlum ʿAzzu.
  • Am 11. Oktober 2014 haben Mitarbeiter des Asayiş in sämtlichen von der PYD kontrollierten Gebieten der Dschazira junge Männer zwischen achtzehn und drei ßig Jahren willkürlich von der Straße weg entführt.

3             Alle hier aufgeführten Einzelfälle sind in den Kategorien »Nachrichten 2014« und

»Nachrichten 2015« auf der Website www.kurdwatch.org veröentlicht worden.

Mehrheit der Entführten kam bis zum Folgetag wie der frei. Sie mussten zuvor unterschreiben, dass sie das Land nicht verlassen werden und jederzeit bereit sind, in den Volksverteidigungseinheiten zu kämpfen. Sollten sie diese Zusage nicht einhalten, würde ihre Familie fünfhunderttausend Syrische Lira zahlen müs sen. Mündlich wurde ihnen zudem mitgeteilt, dass ein weibliches Mitglied ihrer Familie rekrutiert würde, sollte die Familie die geforderte Summe nicht zahlen können. Genaue Angaben über die Anzahl der sofort wieder Freigelassenen sowie der länger Festgehalte nen und der letztlich tatsächlich Rekrutierten liegen nicht vor. Insgesamt sollen bis zu dreitausend Männer betroen gewesen sein, darunter zunächst auch Ara ber und Christen. Allein im Rekrutierungslager Tall Maʿruf sollen Schätzungen zufolge bis zu tausend Per sonen festgehalten worden sein. Acht Tage nach den Massenrekrutierungen berichtete einer der Festge haltenen von dort, dass zahlreiche bereits am nächs ten Tag wieder entlassen worden seien, insbesondere Araber, Christen, und sämtliche Personen mit Kontak ten zur PYD. Von den übrig gebliebenen hundertsech zig seien elf Personen bei einer Verlegung geflohen, fünfunddreißig weitere seien nachträglich entlassen worden. Den verbliebenen Personen werde täglich die Freilassung versprochen, bis zu diesem Zeitpunkt je doch ohne Konsequenzen.4 Einer der aus dem Lager in Tall Maʿruf Freigelassenen berichtete KurdWatch am 21. Oktober, dass bei seiner Entlassung noch rund siebzig Zwangsrekrutierte im Lager gewesen seien, darunter auch Studenten und Minderjährige.5

  • Am 6. November 2014 haben Mitarbeiter des Asayiş den fünfundzwanzigjährigen Ziyad Salih Oso in adDarbasiya auf der Flucht erschossen. Oso war im Zuge der Zwangsrekrutierung vom 11. Oktober 2014 vom Asayiş mitgenommen worden, konnte aber aus dem Rekrutierungslager in Tall Maʿruf fliehen.
  • Am 6. Dezember 2014 haben Mitarbeiter des Asayiş an mehreren Kontrollpunkten in adDarbasiya junge Männer im Alter von achtzehn bis dreißig Jahren ent führt, um sie gegen ihren Willen für die Volksverteidi gungseinheiten zu rekrutieren. Informationen über die genaue Anzahl der Entführten liegen nicht vor.

4            Siehe <https://www.facebook.com/ permalink.php?id=685019264856176

&story_fbid=877050318986402>;

https://www.facebook.com/21.syria. freedoom/posts/545951928869257 .

5             Interview mit einem ehemaligen Zwangsrekruten aus Tall Maʿruf,

  1. Oktober 2014. Studenten haben dem Wehrpflichtgesetz zufolge das Recht, ihren Zwangsdienst innerhalb von zwei Jahren statt innerhalb eines Jahres abzuleisten.
  • Am 7. Dezember 2014 haben Kämpfer der christli chen Sutoromiliz an einem Kontrollpunkt in alMalikiya (Dêrik) versucht, neun kurdische Männer in ihre Ge walt zu bringen. Sechs der Männer konnten fliehen, die anderen drei wurden den Volksverteidigungsein heiten zur Rekrutierung übergeben.
  • Am 30. Januar 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş Huzni Barzani und Yusuf Husain an der irakisch syrischen Grenze aufgehalten. Die beiden aus dem zehn Kilometer nordöstlich von alQahtaniya (Tirbesipî) gelegenen Dair Aiyub (Dêrûna Qulinga) stammenden Männer hatten versucht, vor ihrer Rekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten Richtung Irakisch Kurdistan zu fliehen. Sie waren jedoch von ihren Schleusern an den Asayiş verraten worden. Dieser überstellte sie an die YPG.
  • Am 4. Februar 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş an mehreren Kontrollpunkten in alQamischli junge Männer im Alter zwischen achtzehn und dreißig Jah ren zwangsrekrutiert. Ein Asayişmitarbeiter erklärte gegenüber der Presseagentur ARA News, hundertfünf zig Personen seien festgenommen und direkt auf die Ausbildungslager der YPG verteilt worden.
  • Am 7. Februar 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş an einem Kontrollpunkt in alMalikiya Khalaf Muhammad ʿAli ʿAskar (geb. 1996 in alMalikiya) zwangsrekrutiert. Als die Eltern des Mitglieds der Demokratischen Par tei Kurdistans – Syrien (PDKS) bei den Volksverteidi gungseinheiten seine Rückkehr verlangten, wurde ih nen mitgeteilt, dass sie ihren Sohn in sechs Monaten wiedersehen würden.
  • Am 15. Februar 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş den Studenten Luʾai Muhammad Amin ʿAli (geb. 1989 in Tall Maʿruf) im Stadtzentrum von alQamischli zwangs rekrutiert. Er wurde der YPG überstellt.
  • Am 14. und 18. März 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş an mehreren Kontrollpunkten in alQamischli und ʿAmuda junge Männer im Alter zwischen achtzehn und dreißig Jahren für die YPG zwangsrekrutiert. Ge naue Angaben über die Anzahl der Betroenen liegen nicht vor.
  • Am 4. April 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş Inter netcafés und Kaeehäuser in Raʾs alʿAin (Serê Kaniyê) gestürmt und zahlreiche junge Männer zwangsrekru tiert. Genaue Angaben über die Anzahl der Entführten liegen auch in diesem Fall nicht   vor.
  • Am 10. April 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş in dem fünfundzwanzig Kilometer südlich von alMalikiya und nur fünfhundert Meter von der syrischirakischen Grenze entfernt gelegenen Dorf Qalʿat alHisn (Kalhê) zahlreiche junge Männer aufgegrien. Sie hatten die Grenze illegal überqueren wollen, um so der Zwangs rekrutierung zu entkommen. Ihre genaue Zahl konnte nicht ermittelt werden. Augenzeugenberichten zufolge sollen etwa fünfzig Personen an die YPG übergeben worden sein.

Obwohl sie im Gesetzestext nicht von der Wehrpflicht ausgenommen werden, bleiben Araber und Christen in den von der PYD kontrollierten Gebieten von der Rek rutierung durch die Volksverteidigungseinheiten ver schont. Zwar wurden bei den anfänglichen Massenre krutierungen am 11. Oktober 2014 auch Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen entführt, jedoch bereits am nächsten Tag wieder entlassen. Als kurdischnatio nalistische Organisation hat die PYD letztlich kein In teresse an der Rekrutierung von Arabern und Chris ten. Zudem will die PYD potenzielle Konflikte mit den Vertretern arabischer Stämme vermeiden. Schließlich würde eine Rekrutierung von arabischen Syrern sie auch in direkte Konkurrenz mit den syrischen Militär behörden bringen. Viel spricht dafür, dass das Regime und die PYD die zu rekrutierende Bevölkerung unterei nander aufgeteilt haben – Kurden zu den Volksverteidi gungseinheiten, Araber in die syrische Armee. Darüber hinaus gibt es christliche Milizen, die teilweise mit den Volksverteidigungseinheiten kooperieren.

Die geschilderten Fälle zeigen, dass es sich zumeist um willkürliche Massen und Zufallsrekrutierungen handelt. Zahlreiche Personen werden zunächst fest gehalten, um später wieder entlassen zu werden. So kommt es beispielsweise vor, dass junge Männer ge fangengenommen werden, deren Bruder bereits re krutiert wurde. Sofern sie dies nachweisen können, müssen sie selbst keinen Zwangsdienst ableisten.6 Die PYD scheint zu versuchen, ihre Strategie anzu passen, um zukünftig gezielter rekrutieren zu   können.

6             Interview mit einem Aktivisten aus adDarbasiya, 18. April 2015.

Die Regelung gilt explizit nur für Geschwister, nicht für sonstige Verwandte.

Anfang März 2015 hat die Übergangsverwaltung im Kanton Dschazira angefangen, neue Familienbücher auszugeben, um dadurch genaue Informationen über die Familienzusammensetzung und somit über poten zielle Rekruten zu sammeln. Bislang verfügt die PYD nicht über diese Informationen, da die zentrale Rek rutierungsbehörde in alHasaka noch vom Regime kontrolliert wird.7

Die Ausbildung der Rekruten erfolgt in Lagern der YPG in Syrien. Das größte bekannte Lager befin det sich in Tall Maʿruf, zwanzig Kilometer südlich von alQamischli. Ein anderes großes Lager liegt in Himu, fünf Kilometer westlich von alQamischli. Hier wurden auch arabische Milizen ausgebildet, die gemeinsam mit den Volksverteidigungseinheiten gekämpft haben. Wei tere Ausbildungslager befinden sich im Stadtteil Dschir nik von alQamischli, in Tall Tamr, im fünfundzwanzig Kilometer östlich von Tall Tamr gelegenen Tall Baidar, im zwei Kilometer südlich von alMaʿbada (Girkê Legê) liegenden Rumailan, im zehn Kilometer östlich von alMaʿbada liegenden Tall ʿAdas (Girzîro), im Osten von Raʾs alʿAin, in alMalikiya und zehn Kilometer nördlich davon in arRaihaniya. Im ebenfalls bei alMalikiya ge legenen Lager Mela Merzê werden auch Minderjährige ausgebildet, ehe sie nach IrakischKurdistan gebracht werden. Inzwischen haben die ersten Rekruten ihre Ausbildung beendet. Am 11. April 2015 wurden in Tall Baidar einundfünfzig Rekruten nach Ableistung ihres sechsmonatigen Zwangsdienstes entlassen.8

Die Angst, zwangsrekrutiert zu werden, hat dazu geführt, dass eine unbekannte Anzahl junger Männer die kurdischen Gebiete der Provinz alHasaka verlas sen hat. Hierauf wurde auch vonseiten der PYD re agiert. Der Exekutivrat des Kantons Dschazira hat mit Schreiben Nummer 145 vom 23. August 2014 den Asayiş aufgefordert, Personen zwischen achtzehn und dreißig Jahren keine Ausreisegenehmigung zu erteilen. Ausgenommen sind Personen, die ein Genehmigungs schreiben der Rekrutierungsstelle des Verteidigungs ausschusses vorlegen können.

7             KurdWatch, 1. April 2015,

»AlQamischli: PYD will eigene Familienbücher einführen«,

<http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3419&z=de>.

8             KurdWatch, 17. April 2015,

»Tall Tamr: Erste Rekruten beenden sechsmonatigen Zwangsdienst«,

http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3434&z=de .

Die Rekrutierung von Kindersoldaten

Neben Erwachsenen wurden in den vergangenen vier zehn Monaten vermehrt Minderjährige ab zwölf Jahren rekrutiert. Teilweise erfolgte die Rekrutierung unter Zwang, teilweise schlossen sich die Kinder und Ju gendlichen den Volksverteidigungseinheiten freiwillig, jedoch gegen den erklärten Willen ihrer Eltern an. Zu beobachten ist, dass sich unter den rekrutierten Min derjährigen zahlreiche Mädchen befinden. Während erwachsene Zwangsrekruten in Syrien ausgebildet werden, scheint die PYD Minderjährige häufig nach IrakischKurdistan zu bringen. Die folgenden Fälle wurden von KurdWatch recherchiert:

  • Am 8. April 2014 hat die fünfzehnjährige Hanan Farhad Hadsch Yunis die Volksverteidigungseinheiten verlassen. Vier Tage später wurde zunächst die Mut ter der ehemaligen Kämpferin, Dschamila ʿAli Kikiya, für einige Stunden von den Volksverteidigungsein heiten festgehalten. Nach ihrer Freilassung wurden Hanans Vater, Farhad Hadsch Yunis und ihr Bruder, Raschad Hadsch Yunis, von Kämpfern der YPG ent führt. Bewohnern des Dorfes zufolge forderten die Volksverteidigungseinheiten entweder die Rückkehr der Tochter oder die Rekrutierung eines beliebigen anderen Familienmitglieds.
  • Anfang Mai 2014 haben Kämpfer der Volksverteidi gungseinheiten die dreizehnjährige Rosin Muhammad Husain rekrutiert. Am 14. und 15. Mai demonstrierten Familienangehörige vor dem PYDnahen Volkshaus in adDarbasiya und forderten die Rückkehr des Mäd chens. Mitarbeiter des Asayiş lösten die Demonstrati on mit Gewalt auf.
  • Am 10. Mai 2014 haben Kämpfer der Volksverteidi gungseinheiten die zwölfjährige Fatima Salim ʿAli zum Militärdienst rekrutiert. Ein Angehöriger der Familie berichtete gegenüber KurdWatch:

»Das Mädchen ist einfach verschwunden. Die Eltern sind Anhänger der PYD. Sie wurden jedoch nicht gefragt, ob sie das Mädchen zum Militär schicken wollen. Die YPG behauptet, das Mädchen habe sich freiwillig entschieden. Die Eltern dürfen ihre   Tochter nicht einmal begleiten. Man hat ihnen   versprochen, Fatima nach zweiwöchiger Ausbildung die Rückkehr zu erlauben, sollte sie dies   wünschen.«

Unbestätigten Berichten zufolge wurden gemeinsam mit Fatima weitere Minderjährige rekrutiert.

  • Am 20. September 2014 haben Kämpfer der Volks verteidigungseinheiten den dreizehnjährigen Schüler ʿAli ʿAbdullah ʿAli in alMaʿbada ohne Einwilligung sei ner Eltern rekrutiert. Der Familie ist der Stützpunkt bekannt, in dem ihr Sohn eingesetzt wird. Die Volks verteidigungseinheiten behaupteten jedoch auf Nach fragen der Mutter, nichts vom Aufenthaltsort des Kin des zu wissen.
  • Am 4. November 2014 haben Mitglieder der PYDnahen Revolutionären Jugend im zehn Kilometer westlich von alQahtaniya gelegenen Tall Schaʿir die vierzehnjährige Chiman Muhammad Sadiq Ahmad un ter Anwendung von Gewalt aus der Schule entführt. Die Volksverteidigungseinheiten verweigerten den El tern die Rückkehr ihrer Tochter und teilten mit, dass diese eventuell in die Qandilberge gebracht werde. Au ßerdem wurden der Familie Konsequenzen angedroht, sollten sie weiter in den Medien über die Entführung ihrer Tochter sprechen.
  • Am 4. November 2014 haben Mitglieder der PKK die fünfzehnjährige Schülerin Nadschah Nerwan Ahmad aus ihrer Schule in dem zehn Kilometer östlich von alMalikiya gelegenen Ort alKazimiya mitgenom men. Aufgrund eines Hinweises ihres Lehrers geht die Familie davon aus, dass ihre Tochter rekrutiert wurde.
  • Am 6. November 2014 haben Kämpfer der Volks verteidigungseinheiten den vierzehnjährigen Kazim ʿAdnan Farman aus dem Haus seiner Eltern in alQamischli mitgenommen. Seine Eltern versuchten vergeblich, die Rückkehr ihres Sohnes zu erreichen.
  • Ende November 2014 wurde die dreizehnjährige Nurman Ibrahim Khalifa (geb. am 1. Januar 2001) von Mitgliedern der PYD entführt und in ein Militärcamp der PKK in IrakischKurdistan verschleppt. Dort soll te sie zur Guerillakämpferin ausgebildet werden. Am 24. Dezember 2014 gelang ihr gemeinsam mit einem weiteren minderjährigen Mädchen die Flucht. In   einem Interview mit KurdWatch berichtete sie, dass hun derte Minderjährige in den Bergen IrakischKurdistans in PKKLagern festgehalten werden. Die Kinder und Jugendlichen werden nur unzureichend verpflegt und müssen schwere Arbeiten verrichten. Fluchtversuche sind an der Tagesordnung. Sofern sie entdeckt werden, werden sie mit der Verlegung in andere Lager, mit Ar rest, Folter und in einigen Fällen mit dem Tod bestraft:

»Als ich in die Berge kam, hatte ein Mädchen be reits sieben Mal versucht zu fliehen, und beim ach ten Mal wurde sie erneut gefangen genommen. Wir wurden alle zusammengeholt. Den ganzen Abend gab es eine Versammlung. Sie wurde auf eine Bühne gestellt und ihr wurde gesagt, dass eine PKKKugel zu gut sei für sie und sie wurde erschossen und in den Fluss geworfen.«9

  • Am 23. Dezember 2014 haben Kämpfer der Volks verteidigungseinheiten die Neuntklässlerin Hamrin ʿAbdulhamid Husain (bekannt unter dem Familien namen ʿIdi) ohne Einwilligung der Eltern rekrutiert. Das Mädchen wurde vor ihrem Elternhaus in ʿAmuda mitgenommen. In einer Presseerklärung gab der Bru der Marwan ʿIdi bekannt:

»Ich war bei den Frauenverteidigungseinheiten und beim Asayiş der Partei der Demokratischen Union. Beide behaupteten, Hamrin wäre nicht bei ihnen. Hamrin hat jedoch eine Freundin telefonisch kon taktiert und ihr gesagt, dass sie mit einer Mädchen gruppe zu einem Militärübungsplatz in die Qandil berge gehen wird.«

  • Am 28. Dezember 2014 haben Kämpfer der Volks verteidigungseinheiten die Achtklässlerin Hizbiya Walid Schaikhmus (geb. am 5. Januar 2000) ohne Ein willigung der Eltern rekrutiert. Das Mädchen wurde vor ihrer Schule in alQamischli mitgenommen. Die Eltern der Vierzehnjährigen haben sich sowohl an die YPG als auch an das Volkshaus der PYD sowie den Asayiş gewandt und die Rückkehr ihrer Tochter gefor dert. Ihnen wurde, so der Vater von Hizbiya, jedoch lediglich mitgeteilt, ihre Tochter werde in das Mili

9            KurdWatch, 30. Mai 2015,

»Nurman Ibrahim Khalifa, Schülerin: ›Sie haben zu ihr gesagt: »Diese PKKKugel ist zu gut für dich!« und ihr in den Kopf   geschossen‹«,

http://www.kurdwatch.org/syria_ article.php?aid=3456&z=de .

tärhauptquartier der PKK in den irakischkurdischen Qandilbergen gebracht.

  • Am 3. April 2015 haben Mitarbeiter des Asayiş in ʿAin alʿArab (Kobanî) die sechzehnjährige Dilbar Ahmad Hadschi (geb. 1999) rekrutiert. Der Vater des Mädchens erklärte gegenüber KurdWatch:

»Als wir beim Asayiş ihre Rückkehr gefordert ha ben, wurde meine Frau geschlagen, als Ehrenlose und Verräterin beschimpft und dann rausgeworfen.«

Dilbar Hadschi soll sich nach Angaben des Asayiş selbst für den Militärdienst entschieden haben und sich in ei nem Lager der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) der PYD aufhalten.

Dass Minderjährige von den Volksverteidigungsein heiten auch in Kampfhandlungen eingesetzt werden, wurde am 15. Januar 2014 deutlich. Im Rahmen des Massenbegräbnisses für in Tall Hamis und Tall Birak getötete Kämpfer der YPG wurde auch der fünfzehn jährige Dalil Riyad Qasim Khalil (geb. in alQamischli) beigesetzt.KurdWatch ist zudem ein Fall bekannt, in dem eine Fünfzehnjährige nur wenige Tage nach ihrer Zwangs rekrutierung und ohne jede militärische Ausbildung nach ʿAin alʿArab gebracht wurde. Dort wurde sie im Kampf gegen den Islamischen Staat eingesetzt. Eine Woche später wurde sie nach IrakischKurdistan ge bracht, von wo sie fliehen konnte.

Bekannt sind darüber hinaus zahlreiche Fälle, in denen Minderjährige an Kontrollpunkten der YPG eingesetzt werden.10

Verstöße gegen internationales Recht

Die beschriebenen Fälle von Rekrutierungen Minder jähriger verstoßen sowohl gegen Selbstverpflichtun gen der Volksverteidigungseinheiten als auch gegen internationales Recht. So widerspricht die Rekrutie rung von Personen unter achtzehn Jahren bereits dem oben analysierten, vom Legislativrat verabschiedeten Wehrpflichtgesetz, das das Mindestalter zur Rekru tierung auf achtzehn Jahre festlegt. Darüber hinaus hat das Generalkommando der YPG am 14.   Dezem

10           Siehe etwa USA Today, 16. No vember 2014, »Child soldiers fight against Islamic State in Syria«,

<http://www.usatoday.com/story/ news/world/2014/11/16/

kurdschildsoldiers/18706053> .

ber 2013 einen Befehl erlassen, der die Rekrutierung von Personen unter achtzehn Jahren verbietet und den jenigen, die ihm zuwiderhandeln, Konsequenzen an droht.11 Ganz oensichtlich wird dieser Befehl jedoch nicht umgesetzt. Wie die oben dargestellten Fälle zei gen, hatte es auch keine nachhaltigen Konsequenzen, dass Vertreter der YPG, ihrer Fraueneinheiten (YPJ) sowie der »Demokratischen Selbstverwaltung Rojava« auf Initiative der Nichtregierungsorganisation Geneva Call am 5. Juli 2014 eine Selbstverpflichtungserklä rung zum Schutz von Kindern in bewaneten Konflik ten unterzeichneten. Die Erklärung sieht vor, Kinder unter achtzehn Jahren nicht in bewaneten Konflikten einzusetzen und sie vor den Folgen bewaneter Kon flikte zu schützen.12

Weiterhin verstößt die Rekrutierung von Kindern un ter fünfzehn Jahren und deren Einsatz in Kampfhand lungen gegen Artikel 38 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (UNKinderrechtskonvention) vom

  1. November 1989. In Absatz 2 und 3 heißt   es:

»(2) Die Vertragsstaaten treen alle durchführbaren Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.

(3) Die Vertragsstaaten nehmen davon Abstand, Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu ihren Streitkräften einzuzie hen. Werden Personen zu den Streitkräften ein gezogen, die zwar das fünfzehnte, nicht aber das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, so bemü hen sich die Vertragsstaaten, vorrangig die jeweils ältesten einzuziehen.«

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichts hofs stuft die »Zwangsverpflichtung oder Eingliede rung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewanete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten« dementspre chend als Kriegsverbrechen ein.

Darüber hinaus verletzt die Zwangsrekrutierung von Personen, die das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben und die Rekrutierung dieses Perso nenkreises gegen den Willen ihrer Eltern das im Fe

11           »Circular issued by the General Command   of   YPG«,   14. Dezem ber 2013, <http://theirwords.org/ media/transfer/doc/ypg_order_

enb21b6149ccdeeb42de6c53ea 83275b05.pdf> .

12           Geneva Call, 7. Juli 2014,

»Syria: Kurdish armed forces demobilize 149 child soldiers«,

http://www.genevacall.org/syria kurdisharmedforcesdemobilize 149childsoldiers .

bruar 2002 in Kraft getretene Fakultativprotokoll zur UNKinderrechtskonvention über Kinder in bewane ten Konflikten. In Artikel 3 heißt     es:

»(1) Die Vertragsstaaten heben das in Artikel 38 Absatz 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes festgelegte Mindestalter für die Einziehung von Freiwilligen zu ihren nationalen Streitkräften in Lebensjahren an; sie berücksichtigen dabei die in jenem Artikel enthaltenen Grundsätze und anerken nen, dass nach dem Übereinkommen Personen unter 18 Jahren Anspruch auf besonderen Schutz haben.«

Im selben Artikel werden die zu ergreifenden besonde ren Schutzmaßnahmen konkretisiert:

»(3) Vertragsstaaten, welche die Einziehung von Freiwilligen unter 18 Jahren zu ihren nationalen Streitkräften gestatten, treen Schutzmaßnahmen, durch die mindestens gewährleistet wird, dass

  1. a) die Einziehung tatsächlich freiwillig erfolgt;
  2. b) die Einziehung mit der in Kenntnis der Sachlage abgegebenen Zustimmung der Eltern oder des Vor munds der Person erfolgt;
  3. c) die Person über die mit dem Militärdienst verbun denen Pflichten umfassend aufgeklärt wird;
  4. d) die Person vor Aufnahme in den staatlichen Militär dienst einen verlässlichen Altersnachweis erbringt.«

Die Vielzahl der skizzierten Fälle, insbesondere die große Anzahl von Minderjährigen in den Ausbildungs lagern von PKK und YPG in IrakischKurdistan, macht deutlich, dass es sich bei der Rekrutierung von Min derjährigen nicht um Einzelfälle handelt. Die Identifi zierung und Demobilisierung von insgesamt 149 Kin dersoldaten durch die YPG, die im Anschluss an die Selbstverpflichtungserklärung im Juli 2014 vollzogen worden sein soll,13 ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Schlimmstenfalls handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver, um die Rekrutierung von Kinder soldaten gezielt fortsetzen zu können. KurdWatch geht davon aus, dass die YPG auf den Einsatz von Kindersol daten angewiesen ist. Jugendliche lassen sich leichter rekrutieren als Erwachsene, insbesondere wenn ihnen suggeriert wird, dass ihr Kampf »heldenhaft« sei. Ge

13 Geneva Call, 7. Juli 2014,

»Syria: Kurdish armed forces demobilize 149 child soldiers«,

http://www.genevacall.org/syria kurdisharmedforcesdemobilize 149childsoldiers .

rade junge Frauen und Mädchen aus konservativen, patriarchalischen Familien versprechen sich zudem von einem Eintritt in die Frauenverteidigungseinhei ten Freiräume, über die sie sonst nicht verfügen. Kin der und Jugendliche sind den ideologischen Schulun gen der PYD hilfloser ausgeliefert als Erwachsene, sie haben ihnen intellektuell und mental weniger entge genzusetzen. Junge Menschen, die in den Lagern von PYD und PKK aufgewachsen sind, werden später oft mals zu besonders überzeugten Kadern. Für sie ist es besonders schwer, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, auch deshalb, weil sie zumeist über keine abgeschlossene Schulbildung verfügen. Die Rekrutie rung von Minderjährigen ist ein gängiges Instrument von Milizen, um loyale Kader heranzuziehen.

Ausblick

In den kurdischen Gebieten Syriens regt sich inzwi schen vereinzelt Widerstand,   insbesondere gegen die Rekrutierung von Minderjährigen. Am 14. Okto ber 2014 legten vier Aktivistinnen den Autoverkehr auf einer Hauptstraße in ʿAmuda lahm und forderten auf Plakaten die Freilassung der am 11. Oktober 2014 zwangsrekrutierten jungen Männer.14 Am 17. Oktober protestierten rund dreißig bis vierzig Frauen in dersel ben Stadt gegen die Zwangsrekrutierung ihrer Ange hörigen.15 Ebenfalls in ʿAmuda hat das Lokalkomitee des Kurdischen Nationalrats am 27. Dezember 2014 eine Demonstration gegen die Zwangsrekrutierung von Minderjährigen organisiert. Etwa sechshundert Perso nen nahmen an der Kundgebung teil, darunter zahlrei che Politiker und Aktivisten. Anlass für die Kundgebung war die Entführung der fünfzehnjährigen Schülerin Hamrin Husain. Auf einem Plakat der Demonstranten hieß es: »Der Islamische Staat entführt unsere Frauen und die PYD unsere Kinder.«16 Während der Kurdische Nationalrat in diesem Fall die Familie unterstützte, zog er am 18. Januar 2015 seine Unterstützung mit der Begründung zurück, die PYD sei in alHasaka in Auseinandersetzungen mit regimenahen Milizen verwickelt.17 Die Familie von Hamrin Husain ging gemeinsam mit einigen wenigen Aktivisten dennoch auf die   Straße.

14           KurdWatch, 20. Oktober 2014,

»ʿAmuda: Aktivistinnen protestieren gegen Zwangsrekrutierungen«, http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3274&z=de .

15           KurdWatch, 28. Oktober 2014,

»ʿAmuda: Demonstration gegen Zwangsrekrutierung«,

<http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3282&z=de>; siehe auch KurdWatch, 30. Janu ar 2015, »AlQamischli: Kurdischer Nationalrat sagt erneut Demonst ration gegen Zwangsrekrutierung ab«, http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3366&z=de .

16           KurdWatch, 31. Dezember 2014,

»ʿAmuda: Demonstration gegen Zwangsrekrutierung von Minderjäh rigen«, http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3339&z=de .

17           KurdWatch, 25. Januar 2015,

»ʿAmuda: Erneut Demonstrati on gegen Zwangsrekrutierung«,

http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3360&z=de .

Bereits zuvor hatte sie ohne Unterstützung kurdischer Parteien öentlich die Rückkehr ihrer Tochter gefor dert.18 Viele andere Familien schweigen bis heute. KurdWatch sind verschiedene Fälle bekannt, die nicht publik gemacht werden können, da die Familien der Opfer dies nicht wünschen. Sie hoen – meist vergeblich – eine Rückkehr ihrer Kinder mit den Volksvertei digungseinheiten aushandeln zu können und befürchten, jede Chance auf deren Freilassung zu verlieren, wenn sie an die Öentlichkeit gehen.

Bereits im Januar 2014 wurden die Volksverteidigungseinheiten im Bericht des UNGeneralsekretärs zu Kindern in bewaneten Konflikten als bewanete Grup pe gelistet, die Kinder rekrutiert und einsetzt.19 Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat schon im Juni 2014 ausführlich auf das Problem der Rekrutierung von Kindersoldaten hingewiesen.20 In der westlichen Öentlichkeit hingegen wird die Rekrutierungspraxis der YPG bislang nicht als ernsthafter Menschenrechtsverstoß wahrgenommen. Zwar sind die Volksverteidigungseinheiten der PYD spätestens seit den Kämpfen mit dem Islamischen Staat um die Stadt ʿAin alʿArab auch in den westlichen Medien prä sent. Allerdings haben zahlreiche Medien sowie Vertreter vieler politischer Parteien auch jenseits der Linken unkritisch die Propaganda von PYD und PKK übernom men, dass in »Rojava«, wie sie SyrischKurdistan, versucht wird, ein demokratischeres Syrien aufzu bauen, in dem Frauen gleichberechtigt mitwirken. Der vorliegende Bericht zeigt, dass hiervon keine Rede sein kann. Erst wenn die menschenrechtswidrige Zwangs rekrutierung von Erwachsenen, Jugendlichen und so gar Kindern durch die YPG im Westen als ernsthaftes Problem wahrgenommen und entsprechender diplomatischer Druck aufgebaut wird, besteht die Chance, dass PKK und PYD in Syrien einen Politikwechsel vollziehen. Aktuell geschieht jedoch das Gegenteil:     Am

  1. Mai 2015 hat Didschla Muhammad, die stellvertre tende Verteidigungsausschussvorsitzende des Kantons ʿAfrin, erklärt, dass der Legislativrat des Kantons   am
  2. Mai ein Wehrpflichtgesetz auf den Weg gebracht hat. Aufgrund des Gesetzes sollen in Kürze auch in ʿAfrin junge Männer zum Wehrdienst gezwungen werden.21

18           KurdWatch, 31. Dezember 2014,

»ʿAmuda: PYD rekrutiert erneut Minderjährige gegen Willen der El tern«, <http://www.kurdwatch.org/ index.php?aid=3338&z=de>.

19           Siehe United Nations Secu rity Council, 27. Januar 2014,

»Report of the SecretaryGeneral on children and armed conflict

in the Syrian Arab Republic«,

<http://www.un.org/en/ga/search/ view_doc.asp?symbol=S/2014/31>.

20           Siehe Human Rights Watch 2014, »Under Kurdish rule: Abuses in PYDrun enclaves of Syria«,

<http://www.hrw.org/sites/default/ files/reports/syria0614_kurds_ ForUpload.pdf>, S. 38–43.

21           Siehe ANHA Hawar News Agency, 16. Mai 2015, »Self defense law implemented also in

Efrîn«, <http://en.hawarnews.com/ selfdefenselawimplementedalso inefrin>.