MESOP : DIE WIEDERKEHR DES VERDRÄNGTEN – Bagdad Briefing Giftgas vergisst nicht / DIE INTERNATIONALE YPERN / GHOUTA & HALABJA ACTION

23.April 2015 von Markus Bickel | FAZ – Das Gedenken war länderübergreifend. Im belgischen Ypern, in der syrischen Ghouta und in Halabja im Nordirak fanden am Mittwoch Kundgebungen statt, um der Opfer von Giftgaseinsätzen zu erinnern. Heute wie vor hundert Jahren: In Ypern hatte die deutsche Wehrmacht während des Ersten Weltkriegs am 22. April 1915 erstmals toxische Kampfmittel eingesetzt.

Die mörderische Historie der tödlichen Waffe reißt seitdem nicht ab. In Halabja brachten 1988 Saddam Husseins Truppen 5000 Menschen mit chemischen Kampfstoffen um; auch im Westen Irans setzte das Baath-Regime im Juni 1987 Giftgas ein; mehr als hundert Menschen kamen beim Bombardement der Gemeinde Sardasht ums Leben. Und in den Damaszener Vororten der Ghouta war im August 2013 das Regime Baschar al Assads für den Tod von 1300 Bewohnern verantwortlich, weil er die Oppositionsviertel mit dem Nervengift Sarin beschießen ließ.

In einem offenen Brief wandten sich die Überlebenden der Massaker in Syrien, Iran und Irak am Mittwoch an die Europäische Union. „Es dauert nur eine Sekunde, die Bombe zu werfen, aber es braucht Generationen, um über ihre Folgen hinweg zu kommen“, schreiben sie darin. „Wir wissen, dass es nicht europäische Regierungen waren, die uns mit Gas angriffen“, heißt es weiter. „Aber wir sind uns der Tatsache bewusst, dass ohne die umfangreiche Hilfe europäischer Unternehmen weder das irakische noch das syrische Regime in der Lage gewesen wären, chemische Kampfstoffe herzustellen“.

Sowohl deutsche wie britische, italienische und französische Firmen halben dabei, die Chemiewaffenprogramme Assads und Husseins aufzubauen – mit Rohostoffen, technischer Infrastruktur und Knowhow, durch Granathülsen und Gefechtsköpfe. Und die Folgen wirken bis heute nach: Fehlgeburten, Missbildungen, und Krebs sind nur einige der Erkrankungen, die die Opfer und Überlebenden auch Jahrzehnte nach den Massakern verfolgen. Niemals wird es wieder so sein, wie es vorher war. „Unsere Geschichte hörte auf an dem Tag, als die Bombe fiel“, schreiben die 16 Unterzeichner in ihrem Brief.

Der Vorwurf der Überlebenden an die Regierungen in Brüssel und Berlin, Paris, Rom und London ist deshalb eindeutig: „Europa hat Beihilfe geleistet zu den Verbrechen, die an uns begangen wurden.“ Doch nicht Kranzniederlegungen wie die der staatlichen Vertreter, die sich am Mittwoch zum Weltkriegsgedenken in Ypern versammelten, ist es, was die Überlebenden fordern, sondern Taten. Nur so könne der Einsatz chemischer Kampfstoffe in Syrien, wo das Regime seit dem von den Vereinten Nationen im Sommer 2013 geächteten Einsatz von Giftgas Dutzende Chlorgas-Einsätze durchgeführt hat, wirklich beendet werden.

Bis heute ist die Ghouta von Regierungstruppen umstellt, eine fachärztliche Versorgung der meisten Überleben hat nicht stattgefunden. Und dass europäische Firmen abermals verbrecherische Regime bei der Entwicklung ihrer Todesprogramme unterstützen, ist nicht ausgeschlossen, weshalb die Giftgas-Überlebenden warnen: „Das Geschäft mit dem chemischen Tod ist mehr als ein Bruch von Außenhandelsgesetzen – es ist Beihilfe zum Massenmord.“ http://blogs.faz.net/bagdadbriefing/2015/04/22/giftgas-vergisst-nicht-168/