MESOP : DER PUTSCH WAR VORHER VERRATEN – DIE PILOTEN IN DIE IRRE GEFÜHRT

Von F-16-Jets verfolgt – Warum ist Erdogan im türkischen Luftraum nichts passiert?

In der Nacht des Putschversuchs flog Recep Tayyip Erdogan von seinem Urlaubsort nach Istanbul. Die Putschisten sollen ihn geortet haben, feuerten aber nicht. Haben die Piloten im Privatjet getrickst?

Von Clara Ott , Gerhard Hegmann  – DIE WELT – Die dramatische Nacht des gescheiterten Militärputsches in der Türkei ist eine Woche her, doch vieles ist immer noch unklar. Vor allem der Flug des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von seinem Urlaubsort an der türkischen Ägäisküste nach Istanbul gibt Rätsel auf. Sicher ist bisher nur: Erdogan ließ sich mit seinem Präsidentenjet, einer Gulfstream IV, nach Istanbul fliegen, nachdem er von dem Putschversuch erfahren hatte.

Allerdings riskierte der Staatschef damit, auf dem Radar der Putschisten zu landen. Die hatten ihrerseits gegen 22 Uhr sechs Kampfjets vom Typ F-16 gekapert und waren vom Luftwaffenstützpunkt Diyarbakir unterwegs nach Istanbul.”Mindestens zwei F-16 bedrängten Erdogans Flugzeug in der Luft”, erklärte ein ehemaliger Militäroffizier gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Dabei wurde Erdogan selbst von zwei schützenden F-16-Jets begleitet. Weil die Putschisten zu dem Zeitpunkt schon den Istanbuler Atatürk Airport unter ihre Kontrolle gebracht hatten, konnte der Jet des türkischen Präsidenten dort nicht wie geplant landen. “Wieso sie nicht feuerten, ist ein Mysterium”, wunderte sich der Offizier vergangene Woche.

Putschisten mit Absicht getäuscht?

Nun liefert der italienische Journalist David Cenciotti, der den Blog “The Aviationist” betreibt, einen Erklärungsversuch zu Erdogans unversehrter Reise. Aus verschiedenen Datenquellen sei ersichtlich, dass der Pilot im Präsidentenflieger über Istanbul den vierstelligen Transponder-Code eines Turkish-Airlines-Fluges hatte.

adurch wurde den Putschisten in den F-16-Jets suggeriert, dass es sich um eine Passagiermaschine handele.

Zur Identifikation seines Flugzeugs auf einer bestimmten Flugroute bekommt ein Pilot von der Flugsicherung einen vierstelligen Transpondercode zugewiesen, Experten sprechen vom Squawk.

Diesen Code, der nicht mit dem auflackierten Flugzeugnummernschild zu verwechseln ist, stellt der Pilot im Cockpit ein. Er ist damit durch die Bodenstation auf seinem Flugweg zu identifizieren und zu verfolgen.

Nach einem Bericht des “Aerotelegraph” hätte der Pilot den vierstelligen Identifikationscode im Flug geändert. Das ist auch grundsätzlich möglich, doch das wäre der Bodenstation aufgefallen.

Gäbe es zwei Mal den gleichen Code, weil ein Pilot bewusst oder unbewusst in die Rolle eines anderen Flugzeugs schlüpft, löst dies einen Alarm aus und wird sofort bemerkt.

Transpondercode gibt mehrere Rätsel auf

Neben der zivilen Flugsicherung gibt es auch die militärische Flugsicherung mit eigenen Radaranlagen. Wie es bei Experten heißt, würde auch hier im sogenannten Sekundärradar sofort auffallen, wenn ein Transpondercode gewechselt und die Identität eines anderen Flugzeugs übernommen wird.

Im konkreten Fall des türkischen Regierungsfliegers vom Typ Gulfstream mit der Registrierung TC-ATA, mit dem der türkische Präsident Erdogan in der Nacht des Putsches von Dalaman nach Istanbul geflogen ist, gibt es mehrere Rätsel.

Nach Angaben von “Flightradar24” war die Maschine bereits als Turkish-Airline-Flug (TK 8456) losgeflogen – demnach wurde kein Code gewechselt.

Hätte der Jet zur Tarnung seine Kennung gewechselt und hätten ihn tatsächlich zwei F-16 Kampfjets verfolgt, wäre dies der militärischen Bodenstation sicher aufgefallen. Unklar ist hier, in wessen Händen sich die militärische Bodenstation zu diesem Zeitpunkt befand.

Die Dunkelheit der Nacht könnte den Sichtkontakt der Putschisten in den F-16-Kampfjets erschwert haben, denn das Gulfstream-Modell selbst ist erheblich kleiner als jedes Passagierflugzeug. Da sie offenbar unsicher waren, ob sich Erdogan persönlich in der Maschine befand, haben sie keinen Abschuss riskiert. Der Tod unschuldiger Zivilisten oder Touristen hätte ihre Glaubwürdigkeit im Nachhinein aufs Spiel gesetzt.

Auch Erdogan widerspricht sich

Auch vom Staatschef selbst gibt es widersprüchliche Aussagen zu den Geschehnissen der Nacht. Am Samstag hatte er erklärt, die Putschisten hätten versucht, ihn und seine Leibwächter in Marmaris zu töten, in dem sie seinen Urlaubsort bombardierten. Er wäre “dem Tod nur um Minuten entkommen”, behauptete Erdogan. “Wenn ich zehn oder 15 weitere Minuten dort geblieben wäre, ich wäre getötet worden, oder man hätte mich geschnappt.” In der Nacht des Putsches hatte das Präsidialamt zunächst nicht preisgegeben, wo sich der Staatschef befindet. Erdogan meldete sich jedoch per Facetime zu Wort und rief die Türken per SMS auf, auf die Straße zu gehen und ihre Unterstützung für die Regierung zu zeigen. Seitdem verhängte er den Ausnahmezustand, ließ Zehntausende mutmaßliche Putschisten verhaften oder suspendierte sie vom Dienst.  www.mesop.de