MESOP : AUCH DER INTELLEKTUELLE ANTISEMITISMUS FORMIERT SICH WIEDER NEU

Heidegger-Konferenz – Ein Kongress der Weißwäscher?

In Paris wird über Martin Heidegger und „die Juden“ debattiert, und schon vorab gibt es heftige Polemik. Dem Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ wirft man Scheinheiligkeit vor.

21.01.2015, von JÜRG ALTWEGG – Wie kann man nicht Heideggerianer sein?“, wird Alain Finkielkraut heute, am Donnerstag, in der Pariser Bibliothèque Nationale de France erklären. Er macht den Auftakt zum Kongress mit dem Generalthema „Heidegger und ,die Juden‘“. Auch Peter Sloterdijk („Heideggers Politik“) und Peter Trawny, Herausgeber der „Schwarzen Hefte“, kommen zu Wort. Am Samstag wird der Fall im „Centre Culturel Irlandais“ auf Englisch weiterverhandelt. Der Sonntag bringt ein Referat über „Heideggers Spieldose – von den Schwarzen Heften zu den Protokollen der Weisen von Zion“. Um 20 Uhr wird Bernard-Henri Lévy den Kreis der ersten und letzten Frage schließen und seine Bilanz ziehen: „Wie kann man Heideggerianer sein?“

Sein oder nicht sein: eine französische Gretchenfrage. Die Publikation der „Schwarzen Hefte“ war ein schwerer Schlag für die linken und rechten Meisterdenker zweier Generationen. Der Einfluss Heideggers auf die Philosophen von Sartre bis Derrida, auf Dichter wie René Char, auf die Grünen und die Neofaschisten der Nouvelle Droite und auch noch auf die vom Marxismus bekehrten Intellektuellen der antitotalitären Aufklärung (Lévy, André Glucksmann) ist unbestritten. In François Fédier hat er seinen ergebensten Gralshüter gefunden. Es passt ins Bild der merkwürdigen Rezeption, dass Heideggers wichtigster Vermittler nach Frankreich, der Philosoph Jean Beaufret, ein unverhohlener Sympathisant der Auschwitz-Lügen von Robert Faurisson war und ihm schrieb, er sei zu den „gleichen Einsichten gekommen“.

Verbreiteter Glaube an heimlichen Widerstand

„Das Jahr des Schiffbruchs“ überschrieb „Le Monde“ eine Rezension der Zeitschrift „Critique“, die im Dezember eine Bestandsaufnahme vorlegte, bei der „gewisse französische Spezialisten“, wie es in „Le Monde“ hieß, offenbar nicht mitmachen wollten. Das Heft enthält eine Rezension der „Conférence de Heidelberg (1988)“, an der Hans-Georg Gadamer, Derrida und Philippe Lacoue-Labarthe teilnahmen. Organisiert wurde sie von der damaligen französischen Kulturattachée Mireille Calle-Gruber, die ihre eigene Mitschrift im Nachlass von Derrida fand. Erst jetzt wurden die Voten erstmals gedruckt. Der Heidelberger Kongress war eine Antwort auf Víctor Farías’ Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“.

Die in Siegen lehrende Sidonie Kellerer, in beiden Kulturen gleichermaßen zu Hause, fasst den Standpunkt des Derrida-Schülers zusammen: Für Lacoue-La-barthe habe Heidegger begriffen, „dass die Shoah den Höhepunkt der aufklärerischen Moderne darstelle“. Heidegger habe „uns zu denken gelehrt, worum es – aus philosophischer Sicht – im Faschismus überhaupt geht“. Kellerer zielt – in „Critique“ wie im deutschen „Philosophie Magazin“ (Januar) – in den Kern des französischen Nachkriegsdenkens, das mit der Dekonstruktion den Rationalismus erschütterte. Das geschah unter dem Einfluss Heideggers, den die Franzosen im Widerstand, Sartre in der deutschen Gefangenschaft entdeckt hatte und von dem Beaufret sagte, er habe ihn erstmals an jenem Morgen, da die Alliierten in der Normandie landeten, verstanden. Noch immer „glauben renommierte Heidegger-Experten an seine Zeit des ,heimlichen Widerstands‘“, schreibt Sidonie Kellerer, „und sehen es als seine wichtigste Erkenntnis aus der Zeit des NS an, die Aufklärung als Ursprung der Schoa verstanden zu haben“.

Boykott mehrerer Autoren

Diese Einsicht geht allerdings auf eine Zeit zurück, da der Holocaust – wie Vichy – in Frankreich noch weitgehend verdrängt war. Erst im Zug der Vergangenheitsbewältigung kam sie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und wurde zum zentralen Thema der Kultur. Parallel dazu keimte wieder der Antisemitismus, der seit zwei Jahrzehnten beängstigende Ausmaße angenommen hat. In dieser ganz anderen intellektuellen Konjunktur erschienen die „Schwarzen Hefte“, die Heidegger, den Nationalsozialisten, nun auch noch als Antisemiten ausweisen.

Von den sechzehn Autoren, die der Kongress untersuchen will, hätten nur drei einen „definierbaren Bezug zum Judentum“, protestiert François Rastier vom CNRS. Er bezichtigt Trawny, dessen Essay „Heidegger et l’Antisémitisme“ (Seuil) im Gegensatz zu den „Schwarzen Heften“ bereits auf Französisch vorliegt, der „herausgeberischen Manipulationen“. Angesichts der Themen und Formulierungen hat man tatsächlich den Eindruck, als gehe es um einen „Kongress der Weißwäscher“. Zumindest darum, den Fall zu verniedlichen, noch bevor die Beweise der Anklage vorliegen.

Sidonie Kellerer teilt Rastiers Kritik an der undifferenzierten und irreführenden Aufzählung sogenannter „jüdischer Denker“: „Der zeitlebens Heidegger-kritische Ernst Cassirer wird in einem Atemzug mit Hannah Arendt genannt, die erheblich zu Heideggers Nachkriegsrehabilitierung beigetragen hat.“ Sidonie Kellerer wird Ende April mit Marion Heinz in Siegen ein Kolloquium veranstalten. Wie Emmanuel Faye und Jeffrey Barash hat sie es abgelehnt, in Paris einen Vortrag zu halten und überhaupt an dieser „unkritischen und tendenziell apologetischen Veranstaltung“ teilzunehmen. Der Boykott ist auch ein Protest gegen François Fédier, „der Nationalsozialismus mit ,socialisme national‘ übersetzt und erklärt, die Gaskammern in Frage zu stellen sei keine Negation des Holocausts“.

Ein Meisterwerk der Scheinheiligkeit?

„Peter Trawny gibt den Unschuldigen, wie auch schon Heidegger selbst“, unterstreicht Georges-Arthur Goldschmidt in seiner Besprechung in der „Quinzaine littéraire“. Wie Heidegger an seiner Statur werkelte, schildert Sidonie Kellerer im „Philosophie Magazin“. Sie spricht von einer subtilen Legendenbildung und verweist auf einen Eintrag in den „Schwarzen Heften“, der frühestens 1959 verfasst werden konnte: „Wie viele weitere Unstimmigkeiten gibt es?“

Für Goldschmidt hat Trawny ein „Meisterwerk der Scheinheiligkeit“ vorgelegt. Dessen Unterscheidung von Hitlers und Heideggers Antisemitismus lässt er nicht gelten. Für beide, so Goldschmidt, verspreche die Ausmerzung „die beste aller Welten“. Trawny will „uns vom Wesentlichen ablenken, der physischen Ausrottung“. In seinem Eifer unterschlage er sogar die Tatsache, dass die „Protokolle der Weisen von Zion“ eine Fälschung der zaristischen Polizei gewesen seien.

„Voller Gehorsam“ hätten sich auch die Übersetzer Trawnys Strategie der Verschleierung unterworfen. Er belegt das mit überzeugenden Beispielen und zeigt, wie man mit zwei oder drei Wortschöpfungen, „wie sie in der Heideggerei ja sehr beliebt sind“, die Ambivalenzen hätte vermeiden können. Goldschmidts Befund: „Heideggers Sein ist sehr wohl antisemitischen Wesens.“ In seiner Pointe spielt er mit einem Sprichwort: „So wie Paris eine Messe ist das ,Denken‘ einen Genozid wert“ – was ursprünglich keineswegs auf den Kongress gemünzt war, an dem auch er nicht teilnimmt. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/heidegger-konferenz-ein-kongress-der-weisswaescher-13383109.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2