MESOP ALARM! – PUTIN IST DER SCHÖPFER DER HÖLLE VON ALEPPO / MASSENABSCHLACHTUNGEN & KRIEGSVERBRECHEN (“FRIEDENSBWEGUNG” & LINKSPARTEI SCHWEIGEN)

Belagerung in Syrien Eingang zur Hölle

Russland und das Assad-Regime hungern Aleppo aus. Gleichzeitig machen sie den Einwohnern der geschundenen Stadt ein vergiftetes Angebot. – 30.07.2016, von Christoph Ehrhardt und Friedrich Schmidt, Moskau

Die Rebellen glauben den Flugblättern nicht, die aus Hubschraubern über Aleppo abgeworfen wurden.

Die Armeeführung fordert sie auf, die Waffen niederzulegen und die Zeit zu nutzen, um das Amnestieangebot anzunehmen, das ihnen Baschar al Assad unterbreitet hat. Sie ließ Karten abwerfen, auf denen die Wege verzeichnet sind, auf denen die Zivilisten die vom Regime und seinen Verbündeten belagerte Stadt verlassen können. Auch kleinere Lebensmittelrationen fallen vom Himmel, als Ergänzung zu den Bomben, die seit langem auf Ostaleppo und das Umland der Stadt niedergehen. Allein diese Woche wurden fünf Krankenhäuser und eine Blutbank getroffen, wie die Hilfsorganisation Weißhelme mitteilt, deren Freiwillige ausrücken, um Menschen aus den Trümmern zu retten oder Leichname zu bergen. Die Aufständischen vergelten das Dauerbombardement mit Granaten und Raketen, die sie auf den Westteil abfeuern, wo das Regime herrscht.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach am Donnerstag nun von einer „humanitären Operation“: von drei „humanitären Korridoren“ aus der belagerten Stadt für Zivilisten und einem weiteren für Kämpfer, die ihre Waffen niederlegen wollten. Aus Moskauer Sicht ist Letzterer eine Rücksichtnahme auf die Vereinigten Staaten: Der vierte Korridor solle Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA), die mit anderen Rebellenbrigaden die Verteidigung Aleppos und des Umlands organisiert, und solchen anderer „gemäßigter Gruppen“ den Abzug ermöglichen. Denn Washington übermittele weiterhin keine Daten zu deren Stellungen, wie Schoijgu beklagte. Offiziell richten sich Russlands Luftschläge seit Ende September 2015 stets gegen die Nusra-Front, den bisherigen syrischen Al-Qaida-Ableger, oder den „Islamischen Staat“. Doch tatsächlich treffen sie vor allem Brigaden, die nicht von den Vereinten Nationen als Terrororganisation geführt werden.

300.000 Menschen  in Ostaleppo eingeschlossen

Schon am Dienstag hatten Einwohner des von den Rebellen kontrollierten Ostens der Stadt berichtet, sie hätten Nachrichten auf ihre Mobiltelefone erhalten, in denen ihnen ein sicherer Ausweg aus dem Kessel und eine vorübergehende Bleibe zugesichert wurden. Doch Usama Abu Zaid, ein Berater der FSA, sagt, das sei „alles eine riesige Lüge“. Russland und das Regime wollten die Welt glauben machen, dass sie am Leben der Zivilbevölkerung interessiert seien. Aber sie brächten die Menschen weiter um. Wer habe den Belagerungsring geschlossen? Wer greife systematisch die Kliniken und Gesundheitseinrichtungen an? „Es gibt nur noch eine funktionierende Klinik“, sagt Tamer Osman am Telefon. Er ist einer der Oppositionellen, die das Grauen in Aleppo dokumentieren. Das Bombardement dauere an, berichtet er. Es gebe Scharmützel. Aber die Rebellen warteten ab, um Munition zu sparen. Schließlich wisse niemand, wann das Abzugsangebot auslaufe, weil es kein Ultimatum gebe.

Die humanitäre Situation sei schwierig, sagt Osman. Details will er nicht nennen, was die schwindenden Vorräte betrifft. Usama Abu Zaid spricht von Trinkwassermangel. „Nahrungsmittel und Medizin werden nur noch für etwa zwei Monate reichen“, sagt der FSA-Berater. Die Rebellen seien dazu verdammt, die Blockade zu durchbrechen. Sonst werde es Zehntausenden so ergehen, wie den Menschen in anderen belagerten Städten, die einfach ausgehungert würden.

Nicht nur die Assad-Gegner, sondern auch westliche Diplomaten beschreiben den Vorstoß des Regimes und seiner Verbündeten in erster Linie als ein Mittel, um die seit 2012 umkämpfte Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen und ein in Damaskus lange gehegtes Kriegsziel zu erreichen. In Moskau kündigten Parlamentarier schon „Säuberungen“ an, die sich an die Einnahme der Stadt anschließen würden – „nach Stadtvierteln“ und in einem „langen Prozess“, wie Andrej Krassow vom Verteidigungsausschuss der Duma sagte. Einwohner Aleppos berichteten am Freitag, der Beschuss dauere an. Einige der hungernden Einwohner machten sich auf den Weg. Bis zum Freitagnachmittag schien es indes nicht so, als würden Bevölkerung und Rebellen den Kessel in Scharen verlassen. Auch wenn das russische Staatsfernsehen dem Heimatpublikum eine ältere Frau zeigte, die angeblich durch einen der Korridore Ostaleppo verlassen hatte und laut Übersetzung verkündete, wie stolz sie auf Assad und wie dankbar sie Russland sei. Man rechne damit, dass 200.000 der eingeschlossenen Bewohner das Angebot annähmen, hieß es dazu. Bis zu 300.000 Menschen sind in Ostaleppo eingeschlossen.

Kaum Druckmittel gegen Moskau

Doch Assad-Gegner haben ihre Erfahrungen mit solchen „humanitären Operationen“ gemacht. So warnen Oppositionelle wie Tamer Osman, den Flüchtigen drohten die Festnahme, Verhör oder Schlimmeres. Einen ähnlichen Fall hatte es schon einmal gegeben: 2014 in der Stadt Homs, einer damaligen Hochburg des Aufstands gegen Assad. Auch Homs war eingekesselt und sturmreif geschossen worden. Doch die Menschen, die im Zuge des Waffenstillstandsabkommens die Stadt verließen, wurden nicht mit Mahlzeiten und einem Übergangsobdach belohnt: Sie wurden registriert, verhört. Männer wurden festgenommen, verschwanden in Kerkern, wurden als Kanonenfutter an der Front verheizt. Die örtlichen Mitarbeiter der UN wurden Zeuge des Betrugs. Aber die internationale Gemeinschaft schritt nicht ein.

Der damalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, hatte gehofft, einen humanitären Erfolg zu erzielen, um die Friedensgespräche voranzubringen. In den Reihen der Opposition büßten die UN an Vertrauen ein. Brahimis Nachfolger Staffan de Mistura ist mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Er versucht verzweifelt, den Genfer Friedensprozess am Leben zu erhalten, der von mit Syrien befassten westlichen Diplomaten schon seit Monaten totgesagt wird. Bis zur UN-Generalversammlung im September sieht er die Chance für einen Durchbruch: eine Einigung Amerikas mit Russland. Danach dürften der Wahlkampf in Amerika und die Präsidentenwahl die amerikanische Syrien-Politik lähmen.

Die Vorzeichen, unter denen de Mistura um eine Fortsetzung ringt, haben sich seit Monaten kaum verändert, wie Diplomaten berichten: Das Regime hat kein Interesse an einer Verhandlungslösung. Russland wünscht einen politischen Übergang nach seinen Vorstellungen, will nicht in einen langen Syrien-Krieg verwickelt werden. Dabei hat Moskau es mit einem syrischen Partner zu tun, der sich nicht immer den eigenen Wünschen fügt und im Zweifel auf die Hilfe Irans setzen kann. Amerika hat kaum Druckmittel, um Moskau dazu zu zwingen, energischer auf Assad einzuwirken, um sich zu mäßigen. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau wurde am Freitag wieder einmal die Bereitschaft Assads zu einem Übergangsprozess unter Beteiligung der „gemäßigten Opposition“ bekundet. Von einem Rückzug Assads war keine Rede.

„In den nächsten Tagen wird es harte Schlachten geben“

Zuletzt hatte es allerdings Hoffnung gegeben, dass sich die beiden Mächte mit Blick auf ein gemeinsames Vorgehen in der Syrien-Frage annähern könnten. Die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow hatten sich getroffen, Washington und Moskau wollten sich über einen gemeinsamen Kampf gegen die bisher unter dem Banner von Al Qaida operierende Nusra-Front verständigen. Die Extremistengruppe war stets von Waffenstillständen ausgenommen gewesen. Die Dschihadisten haben diese Gespräche offenbar ernst genommen: Nusra-Anführer Abu Muhammad al Dschaulani verkündete in einer Videobotschaft, die Nusra-Front sei Geschichte. Fortan werde die Gruppe Jabhat Fath al Scham, Front für die Befreiung (Groß-)Syriens, heißen und ihre Verbindung zu ausländischen Akteuren kappen. In den Reihen der Opposition herrschen Zweifel, ob es sich bei der Ankündigung um mehr handelt als einen Etikettenschwindel. Schließlich hatte die Trennung den Segen der Al-Qaida-Führung. In Aleppo, wo auch die Nusra-Front präsent ist, erhielt die Ankündigung Beifall von den anderen Brigaden, wie der Oppositionelle Tamer Osman berichtet.

Aber auch er hat die Worte von John Kirby, dem Sprecher des amerikanischen Außenministeriums vernommen, der sagte, es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Ziele und Handlungen der Nusra-Front mit der Umbenennung änderten. Für Kirbys Chef, Außenminister John Kerry, dürfte der unerwartete russisch-syrische Alleingang in Aleppo ein weit größeres Hemmnis sein, enger mit Russland zusammenzuarbeiten. Ein Diplomat spricht von einem „Schlag ins Kontor“ für die Bemühungen, den Friedensprozess wiederzubeleben. Assad dürfte sich dadurch gestärkt sehen. Eine Niederlage in Aleppo wäre für Assads Gegner ein Schlag, den sie nur sehr schwer verkraften könnten. Assads Herrschaftsanspruch würde durch einen Erfolg in Aleppo enorm gestärkt. Schon mit der Belagerung hat er einige Ziele erreicht: Das Territorium der Rebellen ist noch schwieriger mit Nachschub über die Grenze zur Türkei zu versorgen. Weitere örtliche Waffenstillstände könnten die Macht des Regimes ausbauen. Yezid Sayyigh von der Denkfabrik Carnegie spricht von einem „allmählich erodierenden Patt“ zugunsten des Regimes, das so lange gewinnen könne, wie die Russen seine Offensiven unterstützten.Ein Sturm auf Aleppo wäre für Assad und seine Unterstützer verlustreich, die Sicherung der Stadt würde militärische Ressourcen binden. Die Rebellen haben ein Tunnelsystem zur Verteidigung angelegt und zeigen sich entschlossen. „In den nächsten Tagen wird es harte Schlachten geben“, kündigt der FSA-Berater Usama Abu Zaid an. „Wir werden womöglich scheitern, den Belagerungsring zu brechen“, sagt er. „Aber das Regime wird einige Seelen und Ausrüstung verlieren.“ www.mesop.de