Merkel trifft Erdogan / Darum wird die Türkei nie in die EU kommen

26.02.2013 –  Von NIKOLAUS BLOME, z.Zt. Türkei – BILD –  Wäre jetzt nicht endlich der Moment, das sage und schreibe 50 Jahre alte Beitrittsversprechen der Europäischen Union wahr zu machen?

Endlich, nach zweieinhalb Jahren Stillstand, sei ein weiteres Kapitel eröffnet worden, betonten Merkel und der türkische Premier Tayyip Erdogan nach einem gemeinsamen Gespräch.

„Wenn wir jetzt ein weiteres Kapitel eröffnen, haben wir wieder einen Schritt getan“, sagte die Kanzlerin. Und Erdogan erinnerte: „Wir haben schon viel gegeben, aber wir haben noch nichts zurück bekommen.“

Doch die Wahrheit ist: Die Türkei wird NIE der Europäischen Union beitreten. Merkel weiß es. Und Erdogan weiß es auch.

An der Wirtschaft liegt es nicht.

Die Chefs der deutschen Dax-Konzerne haben sich darum gerissen, in Merkels Türkei-Tross sein zu dürfen. Einer von vielen Gründen: In Istanbul soll in Rekordtempo der weltgrößte Flughafen entstehen (Minimum 90 Mio. Passagiere/Jahr). Die Ausschreibungen laufen. Milliarden-Aufträge winken auch bei Energie, Maschinenbau, Infrastruktur. Um die Jahrtausendwende stand die Türkei noch vor der Staatspleite, unterwarf sich dann harten Reformen des Internationalen Währungsfonds. Seit einem halben Jahrzehnt wächst die Wirtschaft mit bis zu 9 % pro Jahr, getrieben gerade auch von starken Mittelständlern, nicht nur von wenigen Großkonzernen. In der Euro-Zone dagegen schrumpft die Wirtschaft. Der türkische Staat nimmt mehr ein als er ausgibt, die Schulden sinken. Die in der Euro-Zone explodieren. Die Bevölkerung ist jung, Durchschnittsalter um die 30 Jahre, das Land wird noch bis 2050 wachsen. Europa aber altert.

Gemessen an realer Wirtschaftskraft und Potenzial könnte die Türkei durchaus beitreten. So sehen es auch die Experten der Bundesregierung. Aber politisch geht nichts voran. Weil es beide Seiten offenbar nicht anders wollen oder können.

Seit Oktober 2005 verhandeln die Türkei und die EU offiziell über einen Beitritt. In 35 „Kapitel“ sind die hoch komplizierten Themen (an die 100 000 Seiten Rechtstexte) aufgeteilt.

13 Kapitel sind „eröffnet“, man verhandelt, zum Teil seit Jahren.

Eines ist „abgeschlossen“, aber nicht der Rede wert.

Drei weitere könnten abgeschlossen werden, aber weil die Türkei partout das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt, liegen sie auf Eis.

Ein gutes halbes Dutzend Kapitel wiederum haben EU-Mitgliedsstaaten blockiert, vor allem Frankreich, Zypern, Griechenland. Auch hier kann nicht verhandelt werden.

Drei weitere Kapitel würde die EU eröffnen, aber die Türkei will nicht: Es geht um „öffentliches Beschaffungswesen“, „Wettbewerb“ „Soziales“. Pikant: Ministerpräsident Erdogan persönlich lehnt das ab. „Das geht nämlich an die Machtbasis seiner Partei AKP“, schätzen deutsche Experten. Über die Partei werden gerade in ländlichen Gebieten lukrative Staatsaufträge vergeben, nicht selten an Freunde und Gefolgsleute. Als EU-Mitglied müssten die meisten europaweit ausgeschrieben werden.

Gestern kündigten Merkel und Erdogan an, ein neues Verhandlungskapitel zu eröffnen, das erste seit mehr als zwei Jahren. „Regionalpolitik“. Alles andere bleibt blockiert.

Ratlosigkeit, Resignation macht sich breit. Wollen die Türken überhaupt noch beitreten? Oder sind sie inzwischen zu stark, zu stolz dafür?

Sehen sie sich eher als regionale Führungsmacht denn als einfaches EU-Mitglied, das sich der Brüsseler Kommission unterwirft, nur dasselbe Stimmrecht hat wie Zypern?

Und auf der anderen Seite: Raffen sich die Europäer noch zu einem klaren Angebot auf? Oder versanden die Verhandlungen am Ende ganz so, wie Skeptiker wie Angela Merkel oder der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy schon vor Jahren voraussagten – und in Wahrheit weiterhin auch wollen. „Wenn wir im bisherigen Tempo mit den Kapiteln weitermachen, sind wir rechnerisch in ungefähr 60 Jahren fertig“, spottete ein deutscher Diplomat gestern in Ankara. Das heißt im Klartext: NIE

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