MENSCHENRECHTSBERICHT TÜRKEI FEBRUAR 2013 / DTF

Demokratisches Türkeiforum (DTF) – Meldungen im Februar 2013 – Die folgenden Nachrichten wurden im Januar 2013 vom DTF erfasst (übersetzt). Für externe Links wird keine Verantwortung bezüglich des Inhalts und der Dauerhaftigkeit übernommen.

Kurdisch vor Gericht

Schon Ende Januar 2013 hatten auch deutsche Medien über eine Gesetzesänderung berichtet, die es Angeklagten erlaubt, sich vor Gericht in Kurdisch zu verteidigen.[1]] Dies hat zu einer entspannteren Atmosphäre gerade auch in den als KCK Verfahren bekannt gewordenen Prozessen geführt. Es könnte der Eindruck entstehen, als ob die Angeklagten, die sich teilweise seit einigen Jahren in Untersuchungshaft befinden, bald freigelassen werden, nachdem sie sich zur Sache (in Kurdisch) geäußert haben.

Das DTF hatte schon im November 2012 unter dem Titel Das Recht vor Gericht Kurdisch zu sprechen darüber berichtet, welche Einschränkungen es gibt. So müssen Angeklagte, die sich auch in Türkisch ausdrücken können, einen Dolmetscher selber bezahlen. Des Weiteren werden für Angeklagte, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind, Dolmetscher nur in zentralen Phasen der Verhandlung eingesetzt: das sind die Verlesung der Anklageschrift, das Plädoyer und bei eigenen Einlassungen zu Beginn und Ende des Verfahrens. Bisher sind auch nur wenige Angeklagte freigelassen worden. So berichtete Bianet vom 18.02.2013, dass im zentralen KCK Verfahren vor der 6. Kammer für schwere Straftaten in Diyarbakır, in dem 175 Personen angeklagt und 108 von ihnen in Untersuchungshaft sind, gerade einmal 10 Angeklagte freigelassen wurden. Das waren die Bürgermeister von Yenişehir, Fırat Anlı, von Şırnak, Ahmet Ertak, von Dicle, Abdullah Engin, von Kızıltepe, Ferhan Türk, der ehemalige Bürgermeister von Batman, Hüseyin Kalkan, der Soziologe Aslan Özdemir, sowie Fadile Bayram, Takibe Tugay, Hasan Öner und Kazım Kurt. Alle anderen Angeklagten verbleiben mindestens bis zum 6. Mai 2013 in Haft, denn dann wird die nächste Verhandlung stattfinden.

Keine Ermittlungen gegen Schulbehörde

Unter der Überschrift Keine Ermittlungen zu “Hassbüchern” berichtete die Tageszeitung Radikal vom 12. Februar 2013, dass gegen den Leiter der Kreis-Schulbehörde von Maltepe (Istanbul), Faik Kaptan und den Direktor der Zweigstelle, Muzaffer Doğan keine Ermittlungen geführt werden, obwohl sie die Verteilung von Büchern mit rassistischem Inhalt an die Schulen erlaubt hatten. Die Schulbehörde im Kreis Maltepe hatte dies mit Schreiben vom 21. September 2012 genehmigt und den Schulen mitgeteilt, dass die Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität des Landratsamts Maltepe Bücher und Lesezeichen des Verlags “Büyük Adım Yayınları” an Schüler der Klassen 5, 6, 7 und 8 sowie 400 Taschen an bedürftige Schüler finanziere. In den 15 Büchern einer „Biografie-Reihe Büyük Adım“ (Große Schritte) ist kein Verfasser genannt.

Am 19. Oktober 2012 hatte wiederum Umay Aktaş Salman über die Verteilung der Bücher berichtet[2] und dazu folgende Zitate aus den Büchern angeführt:

  • Charles Robert Darwin: Er war Jude und hasste seine große Nase und unregelmäßigen Zähne. Lieber als die Schule besuchte er den Zoo und warf den Affen Nüsse zu.
  • Albert Einstein: Albert fing erst mit vier Jahren zu sprechen an. Er war kommunikationsgestört. Er lief ohne Strümpfe herum, wusch sich nur einmal im Monat und aß gerne Seife. Unser Genie war schmutzig und dreckig.
  • Charlie Chaplin: Sein Vater war ein Hungerleider, der sich im Zirkus durchzuschlagen versuchte. Ihr wisst ja, wer in Amerika zu Geld kommt, wechselt entweder die Frau oder kauft ein neues Auto. Charlie tat beides, er kaufte tolle Autos und fing an, hinter attraktiven Frauen her zu sein.

Der Vorsitzende von Niederlassung 5 der Lehrer-Gewerkschaft Eğitim Sen, Mehmet Aydoğan, erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Kartal und forderte, dass die Bücher eingezogen werden. Die Staatsanwaltschaft wandte sich an die Schulbehörde, die wiederum Inspektoren beauftragte, die Sache zu untersuchen. Das Ergebnis teilte dann der Landrat von Maltepe, Ahmet Okur mit. Die Bücher seien in der Absicht verteilt worden, die Freude der Schüler am Lesen zu wecken und es sei nicht festgestellt worden, dass der Inhalt den Schülern oder der Gesellschaft schade.

Bedrohliche Proteste am Schwarzen Meer

Der Demokratische Kongress der Völker (HDK), wollte Mitte Februar 2013 auf einer Tour durch die Schwarzmeer-Region für die laufenden Friedensgespräche zwischen Abdullah Öcalan, dem inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, und Vertretern der Regierung werben. Am 18. Februar besuchten die Delegationsmitglieder, die gleichzeitig Abgeordnete der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) sind, Sırrı Süreyya Önder, Levent Tüzel, Sebahat Tuncel und Ertuğrul Kürkçü die Stadt Sinop. Es war die zweite Station ihrer Reise. Doch die Veranstaltung im Lehrerhaus konnte nicht stattfinden. Eine Gruppe von 200 Menschen demonstrierte gegen die Abgeordneten. Das Lehrerhaus wurde mit Steinen und brennbarer Flüssigkeit beworfen. Die Abgeordneten konnten das Gebäude erst nach zehn Stunden unter Polizeischutz verlassen.[3]]

Nachdem auch in der nächsten Stadt, Samsun, die Situation zu eskalieren drohte, wurde die Reise abgebrochen. Unterdessen beschuldigten sich vor allem die bürgerlichen Parteien gegenseitig, für die Provokationen verantwortlich zu sein. Nach einer Nachricht in Radikal vom 20.02.2013 wies der Sprecher der Republikanischen Volkspartei (CHP), Haluk Koç die Vorwürfe der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der BDP zurück, dass Mitglieder seiner Partei an dem Vorfall beteiligt waren und beschuldigte die AKP, dass Provokateure aus ihren Reihen stammten, Der Bürgermeister von Sinop, Baki Ergül, der der CHP angehört, sei gar nicht in Sinop gewesen. Der ehemalige Vorsitzende der Jugendabteilung der AKP in Boyabat (Kreisstadt in der Provinz Sinop) sei der Drahtzieher hinter den Vorfällen.

In einer Pressekonferenz, über die u.a. Bianet vom 20.02.2013 berichtete, nahmen die Mitglieder der HDK Delegation, Sebahat Tuncel, Sırrı Süreyya Önder, Ertuğrul Kürkçü und Levent Tüzel ihre zunächst erhobenen Vorwürfe gegen den Bürgermeister von Sinop zurück, beharrten aber auf der Feststellung, dass unter denjenigen, die Steine auf das Lehrerhaus warfen, auch Mitglieder der CHP waren. Als Partei stünde die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) zwar nicht hinter der Sache, aber aus deren Reihen seien ebenfalls Aggressoren gekommen.

Knochen eines Verschwundenen gefunden

Nach einem Bericht von Mesut Hasan Benli in Radikal vom 24.02.20013 hat die Rechtsmedizin in Istanbul festgestellt, dass Knochen, die bei Ausgrabungen in der Provinz Mardin, Kreis Dargeçit gefunden wurden, von Mehmet Emin Aslan stammen, der nach seiner Festnahme im Jahre 1995 “verschwunden” war. Ende Oktober 1995 hatte die Gendarmerie von Dargeçit 9 Personen unter dem Verdacht, die PKK zu unterstützen, festgenommen. Zwei von ihnen, Hazni Doğan (11) und Hayat Altınkaynak (28) wurden wieder freigelassen, aber die anderen Personen blieben “verschwunden”. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Dargeçit dauerten bis 2009, hatten aber keinen Erfolg. Auf beharrliches Verlangen des Menschenrechtsvereine IHD und der Angehörigen fanden am 17. Februar 2012 Ausgrabungen in der Nähe des Dorfes Bağözü statt. In einem Brunnen wurde ein verbrannter Schädel und einige Knochen gefunden. Sie wurden zur Rechtsmedizin in Istanbul geschickt. Hier wurde festgestellt, dass ein Knochen von Mehmet Emin Aslan (damals 19 Jahre alt) stammt. Die Rechtsmedizin in Istanbul fragte nun bei den Familien von Abdurrahman Coşkun und Süleyman Seyhan nach DNA Material, um dies mit anderen Knochen zu vergleichen.

Hintergrund: Eine Nachricht zum Verschwinden der Dorfbewohner befindet sich in Özgür Politika vom 8. März 1996.[4] Demnach wurde von den sieben verschwundenen Personen die Leiche von Süleyman Seyhan (65) gefunden. Die anderen Personen, Abdurrahman Coşkun (12), Abdurrahman Olcay (12), Davut Altunkaynak (12), M.Emin Aslan (19). Nedim Akyön (12) und Seyhan Doğan (13) aber blieben verschwunden. Nach dieser Nachricht sollen die Festnahmen im Zusammenhang mit der Ermordung der Lehrer Ökkeş Kaya (28) und Gürkan Arıtürk (25), sowie des Unternehmer Selim Korkmaz stehen. Sie waren am 28. Oktober 1995 entführt worden. Ihre Leichen wurden nach einer Meldung in Hürriyet vom 31. Oktober 1995, am Vortage in der Nähe des Dorfes Bağözü gefunden. Der Gouverneur des Ausnahmezustandes sagte, dass die drei Personen von PKK Militanten “standrechtlich” erschossen wurden.

KDV inhaftiert

Nach einer Meldung bei Bianet vom 28.02.2013 wurde gegen den Kriegsdienstverweigerer (KDV) Ali Fikri Işık (56) ein Haftbefehl vom Militärgericht in Edirne ausgestellt und er wurde in das Militärgefängnis Edirne eingewiesen. Gegen Işık war schon am 9. Juni 2012 ein Haftbefehl ausgestellt worden, der am 19. Oktober 2012 mit der Auflage, sich binnen zwei Tagen bei seiner Einheit zu melden, aufgehoben worden war. Das Verfahren gegen ihn ging aber weiter. Am 19. Dezember 2012 hatte das Gericht weitere Berichte der Militärkrankenhäuser in Çorlu und Kasımpaşa angefordert. Dort war Ali Fikri Işık als tauglich eingestuft worden. Das Gericht hatte sich auf den 27. Februar 2013 vertagt. In dieser Sitzung wurde dann der Haftbefehl mit der Begründung ausgestellt, dass er erneut Fahnenflucht begangen habe, als er sich im Oktober 2012 nicht bei seiner Einheit meldete.

Ali Fikri Işık ist als Journalist für die Tageszeitung Taraf aktiv. Der mit ihm befreundete Journalist Fehim Işık sagte, dass Ali Fikri Işık in einen Hungerstreik getreten sei. Sein Anwalt Hanifi Barış befinde sich im Ausland, so dass er derzeit nicht anwaltlich vertreten sei.