Massenmörder Assad hat den Westen ausgetrickst / Die neue Arabische Welt ?
Richard Herzinger – 6-11-2013 – DIE WELT – Während sich Obama als Held der Abrüstung inszeniert, weil Syriens Diktator Assad seine Chemiewaffen vernichten lässt, kann dieser umso ungestörter weiter morden. Die neue arabische Welt ist die alte.
Für Syriens Präsident Assad ist das Abkommen über die Vernichtung der Chemiewaffen ein Glücksfall. Mindestens bis kommenden Sommer, wenn die Zerstörung der Bestände abgeschlossen sein soll, hat der Diktator nun jedenfalls die Garantie, dass ihn der Westen bei seinem blutigen Alltagsgeschäft nicht stören wird
Mit dem Abkommen über die Vernichtung der Chemiewaffen des Assad-Regimes ist der Bürgerkrieg in Syrien schlagartig aus dem Blick der Weltöffentlichkeit geraten. Dabei geht der Krieg der syrischen Diktatur gegen die eigene Bevölkerung jetzt eben auf “nur” konventionelle Weise unvermindert weiter.
6,5 Millionen Menschen sind inzwischen im eigenen Land auf der Flucht, und die Zahl der Notleidenden insgesamt, die zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, hat sich nach UN-Angaben seit September um 2,5 Millionen auf etwa 9,3 Millionen erhöht.
In den von Assads Armee belagerten Regionen breitet sich Unterernährung aus, und im Nordosten Syriens ist die Kinderlähmung ausgebrochen. Angesichts dieser sich in apokalyptische Dimensionen steigernden Katastrophe erscheint der von Russlands Autokraten Wladimir Putin eingefädelte Deal bezüglich der syrischen Chemiewaffen als Ausdruck von blankem Zynismus.
Den Chemiewaffendeal fädelte Putin ein
Assad erntet jetzt Lob von den UN wie von Washington, weil er den vereinbarten Zeitplan zur Erfassung seines Giftkampfstoff-Arsenals eingehalten hat. Bis August kommenden Jahres hat der Massenmörder nun Zeit, seine Massenvernichtungswaffen zu entsorgen. Geld, das er für die Fortsetzung seines Vernichtungsfeldzugs braucht, muss er für deren Unschädlichmachung übrigens nicht abzweigen, denn für die Kosten kommt die internationale Gemeinschaft auf.
Mindestens bis kommenden Sommer, wenn die Zerstörung der Chemiewaffen abgeschlossen sein soll, kann Assad nun sicher sein, bei seinem blutigen Alltagsgeschäft vom Westen nicht gestört zu werden. Mehr noch, seit ihm Obama durch sein Abrücken von militärischen Sanktionen und sein Eingehen auf die russische Vermittlungsinitiative Gelegenheit gegeben hat, sich als Held der Abrüstung zu inszenieren, ist Assads Regime in den westlichen Hauptstädten wieder zum hoffähigen Gesprächspartner avanciert.
Putins Kalkül, das Giftgasarsenal seines Schützlings preiszugeben, um ihm dafür den Status der Unantastbarkeit zu versichern, ist aufgegangen. Indessen scheint sich im Westen der Konsens durchzusetzen, das herrschende Regime in Damaskus sei angesichts immer schlimmerer islamistischer und dschihadistischer Umtriebe in Syrien doch als das kleinere Übel zu betrachten. Wobei ignoriert wird, dass mit jedem Tag, an dem Assads Schergen weiter morden dürfen, immer mehr verzweifelte Oppositionelle in das Lager der Extremisten getrieben werden. Keine effektivere Förderung des Dschihadismus ist denkbar, als Assad an der Macht zu halten.
Obama gilt als der schwächste Präsident aller Zeiten
Vergessen scheint, dass die USA wie die EU dessen Sturz schon vor eineinhalb Jahren zur Voraussetzung für eine Friedensregelung in Syrien erklärt hatten. Mit dieser Wendung und der Preisgabe der syrischen Zivilbevölkerung an die Willkür ihres Schlächters haben sich die USA als einstige maßgebliche Ordnungsmacht im Nahen Osten um den Rest ihrer Glaubwürdigkeit gebracht.
In diplomatischen Kreisen arabischer Staaten macht man kein Hehl mehr daraus, dass man Obama für den schwächsten US-Präsidenten aller Zeiten hält und die einstige Supermacht als Faktor in der Region abgeschrieben hat.
Nicht nur in Israel, sondern auch in arabischen Hauptstädten beobachtet man zudem Washingtons Annäherung an Teheran in der Frage des iranischen Atomprogramms mit größtem Misstrauen. Die Gefahr ist akut, dass sich Obama von der nur scheinbar gemäßigten neuen Führung der Islamischen Republik einen faulen Kompromiss abhandeln lässt, der es Irans Theokratie erlauben würde, seine Nuklearbewaffnungspläne auf Schleichwegen weiter zu verfolgen.
Teherans Triumph
Der Triumph Teherans wäre dann komplett: Sein arabischer Verbündeter, das Assad-Regime, bliebe an der Macht, und die internationalen Sanktionen, die den iranischen Machthabern Existenzängste bereitet haben, würden gelockert.
Arabische Mächte wie Ägypten und Saudi-Arabien, die sich auf Amerikas Abschreckungsmacht nicht mehr verlassen wollen, werden in diesem Fall ihrerseits den Bau einer Atombombe vorantreiben.
Freilich stellt sich die Frage, was denn – außer gelegentlichen starken Worten – ihrerseits die Arabische Liga anzubieten hat, um das unter iranischer Beteiligung fortgesetzte Töten in Syrien zu stoppen. Zumal Saudi-Arabien, das die Islamisten in Syrien mit Waffen ausstaffiert, seinerseits im eigenen Land ein Unterdrückungssystem aufrechterhält, das Frauen nicht einmal das Autofahren erlaubt.
Aus der Traum des arabischen Aufbruchs
Assads Überleben steht auch exemplarisch für die Kontinuität despotischer Gewaltherrschaft in der arabischen Welt, die sich endgültig gegen die von enormen Hoffnungen begleiteten Ansätze zu einem arabischen Aufbruch in die Freiheit durchzusetzen droht.
Stehen doch auch in Ägypten die Chancen für einen demokratischen Entwicklungsweg nicht gut. Zwar ist es zu begrüßen, dass dem abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und seinen Komplizen in der Muslimbruderschaft jetzt der Prozess gemacht wird. Wären die islamistischen Muslimbrüder an der Macht geblieben, hätte dies zu einer noch brutaleren Diktatur geführt, als es die Mubaraks war.
Wer dem ägyptischen Militär vorhält, sein Vorgehen gegen Mursi sei ein “Putsch” gewesen, unterschlägt, dass dessen Sturz ursächlich auf einen gewaltigen Massenaufstand der ägyptischen Gesellschaft gegen die anmaßende Herrschaft der Muslimbruderschaft zurückging. Als eine Art Staat im Staate hatten diese die Freiheitsideale von Ägyptens Anti-Diktaturbewegung usurpiert, um sie ins Gegenteil zu verkehren.
Doch lassen auch die neuen Machthaber kaum Anzeichen erkennen, ihr autoritäres Regiment zugunsten demokratischer Institutionen aufzugeben. Die ägyptische Justiz wäre jedenfalls glaubwürdiger, verfolgte sie ebenso die zahlreichen vom Militär zu verantwortenden Verbrechen.
Der Westen hat jeglichen Einfluß verloren
Indes ist der Einfluss des Westens auch hier fast auf null gesunken. Zog er es doch vor, sich nach Mursis Sturz mit den Muslimbrüdern zu solidarisieren, um sich dann halbherzig doch den neuen Machthabern anzudienen. Seit aber die USA jüngst die Militär- und Wirtschaftshilfe für Kairo gekürzt haben, ernten sie dort kaum noch mehr als Verachtung.
Es scheint, als sei die neue Zeit in der arabischen Welt im Wesentlichen die alte. Mit dem Unterschied, dass der Westen aus dem Spiel ist.