LA NATIVITE DU SEIGNEUR  &   „DER DEUTSCHE ALLTAG!“ :   DEUTSCHE HERZEN –  DEUTSCHE HELDEN (KARL MAY)

„Weihnachten Committed unseren vollen Spirit zu erreichen“ – Von Kurt Kister (SZ) via Juergen Kaube (FAZ) en route  Hölderlin !  – 

(Wobei sie von allen Götter & Guten Geistern längst verlassen sind!“

  1. Dezember 2020 / Von Kurt Kister (SZ)

Sehr geehrter Herr  B. ………

das Jahr neigt sich dem Ende zu, und ich könnte jetzt den großen Rückblick mit Gesichtsmaske vornehmen und noch einmal darüber philosophieren, was alles anders war 2020. Übrigens ist es leider fast üblich geworden, dass alle möglichen Menschen die Jahreszahl mit dem Wörtchen „in“ versehen – also: In 2020 trugen wir alle Masken. Das ist Unsinn und stammt aus derselben Quelle wie der Cola-ho-ho-ho-Weihnachtsmann. Das globale Digitalenglisch sickert mehr und mehr in alle Sprachen ein, was wiederum dazu führt, dass man Sätze liest wie diesen: „In 2020 haben wir uns committed, unsere Visionen nachhaltig und voller Spirit zu erreichen.“

emand Ihnen zum Beispiel sagt, er wolle Visionen erreichen, lesen Sie als Gegenmittel sofort ein Buch von Max Frisch – einem der nicht vielen Schweizer, die prägnant, beeindruckend, ja brillant schreiben können (konnten) – und dann wissen Sie, warum manche Abteilungsleiterin und die meisten Geschäftsführer über die Weihnachtstage zum Beispiel das nicht lange „Berliner Journal“ von Frisch abschreiben sollen müssten – und zwar mit der Hand. Dabei könnten sie Unblubb-Sprache lernen.

Aber eigentlich will ich keinen Rückblick schreiben, und über Masken und die Seuche habe ich mich in diesem Brief immer wieder genug ausgelassen. Außerdem ist das gar kein Brief, sondern eine elektronische Rundsendung, von der der SZ-Vertriebschef möchte, dass sie wirkt wie ein persönlicher Brief, weil das die „Kundenbindung“ stärke. Nun bin ich ein alter Besserwisser, und deswegen erinnere ich mich selbst daran – ist es verwerflich, gegenüber sich selbst besserwisserisch aufzutreten? – , dass die höhere Kunst des Briefschreibens der Briefwechsel ist. Die digitale Versendung eines Textes an sehr viele Menschen wiederum macht es unmöglich, in einen Briefwechsel einzutreten, selbst wenn am Ende solcher Ersatzbriefe, auch am Ende dieses Briefes, eine E-Mail-Adresse steht. Eine fleißige und kompetente Mitarbeiterin liest jede Woche all die Reaktionen auf den Deutschen Alltag, beantwortet sie und schickt die eine oder andere auch an mich weiter.

Weil der Computer mit seinen programmierten Fähigkeiten, die ich nicht als Intelligenz bezeichnen möchte, nicht mal als künstliche, durch die Einsetzung des Namens in die Anrede den Eindruck erwecken kann, ich schriebe jedem Leser, jeder Leserin einen persönlichen Brief, möchte mancher und manche von Ihnen in einen Briefwechsel eintreten. (Schon wenn ich diese Anrede „…von Ihnen“ wähle, nehme ich Teil an der benevolenten Täuschung, dass sich der Deutsche Alltag persönlich an Sie und eigentlich nur an Sie richtet – ah, schon wieder, „an Sie…“).

Dabei ist der Deutsche Alltag nichts anderes als ein wöchentlicher Text, den der Computer an alle verschickt, die ihr Einverständnis gegeben haben, dass sie ihn bekommen. Und ich schreibe ihn bisher jede Woche so, dass Sie mich hinter diesem Text zu sehen, vielleicht sogar kennenzulernen glauben. Dieser Eindruck ist durchaus berechtigt, denn könnte ich bei der Abfassung eines solchen Textes so sehr von meiner Person abstrahieren, dass ich „persönlich“ werden könnte, ohne mich selbst darin wiederzufinden, hätte ich zum Beispiel bayerischer Ministerpräsident oder Aufsichtsrat werden sollen und nicht Texteschreiber, jedenfalls kein solcher Texteschreiber. Und weil wir am Ende dieses Jahres sind, das manche Veränderung mit sich gebracht hat: Als Chefredakteur musste ich früher immer wieder mal und manchmal so heftig von mir selbst abstrahieren, dass ich für meine älteren Tage beschlossen habe, diesen Abstraktionsgrad deutlich zu verringern. Wenn man gern liest, manchmal auch noch gern schreibt, und außerdem die Entfernung zwischen sich und einem selbst nicht zu groß werden soll, ist es auf die Dauer besser, nicht Chef zu sein.

 

Apropos lesen: Ich schreibe kein Tagebuch und lese dennoch gerne die Tagebücher von Leuten, die gut schreiben können (siehe auch Frisch, Max oder Mann, Thomas, selbstverständlich Kafka, Franz und auch Jünger, Ernst). Genauso geht es mir mit Briefwechseln. Weil gleich Weihnachten ist, 2020 so ein Na-Sie-wissen-schon-Jahr war und ich die Tage wieder mal im Briefwechsel von Thomas Mann und Hermann Hesse gelesen habe, erschienen 1968 bei Suhrkamp, habe ich mir gedacht, es könnte den SZ-Vertriebschef („Kundenbindung“) und Sie freuen, wenn ich im Januar einer oder einem von Ihnen diesen Briefwechsel als verspätetes Weihnachtsgeschenk schicke. Schreiben Sie also an die unpersönliche Antwortmailadresse, und die kompetente Frau Eder wird im Januar aus den Mails eine auslosen, und der oder die Alltagsleser/in bekommt dann von mir das Suhrkamp-Buch mit dem Briefwechsel von Mann und Hesse geschickt. Das ist persönlich gemeint, schon allein weil Suhrkamp unter Siegfried Unseld ein Verlag war, der das Geistesleben der damaligen Bundesrepublik geprägt hat wie kein anderer. Außerdem mag ich Sätze wie diese, die zu lesen sind in einem Brief von Thomas Mann an Hermann Hesse vom 4. Januar 1949: „Die Welt ist voller Narren. Aber gutgeartete Leute von Herz und Kopf gibt es auch eine ganze Menge.“

 

Weil Sie diesen Brief lesen, zähle ich Sie jetzt einfach mal zu den gutgearteten Leuten von Herz und Kopf. Wer, so wie Sie, die SZ liest, sie vielleicht sogar schon lange abonniert hat, muss ja eigentlich im Sinne Thomas Manns gutgeartet von Herz und Kopf sein, denn schließlich ist so eine Zeitung über die Jahre, gar Jahrzehnte ein Lebensbegleiter. Hätte die Seuche dieses Jahr nicht so grässlich dreingeschlagen, hätten wir größer gefeiert, dass die SZ vor 75 Jahren, im Oktober 1945, zum ersten Mal erschienen ist. Das ging, wie so vieles, etwas unter im Jahre 2020. Die Herstellung der Zeitung, digital wie gedruckt, funktionierte auch ohne die körperliche Anwesenheit vieler Kolleginnen und Kollegen relativ gut; große Teile von Verlag und Redaktion sind seit März im sogenannten Home- Office, das man zwar zu Hause absolviert, das aber deswegen keineswegs eine professionelle Heimat geworden ist. Zeitungmachen lebt auch vom Reden und Sichbegegnen; virtuelle Konferenzen sind manchmal erstaunlich effizient, oft aber auch eine elektrische Ersatzhandlung mit ausgeprägter Labergefahr.

 

Bevor ich nun doch noch mit einem Jahresrückblick anfange, verabschiede ich mich von Ihnen, vom Vertriebschef und auch vom Deutschen Alltag. Die nächsten Wochen nehme ich frei, und weil der Mensch „erstens schwach, zweitens bequem ist“ (Hermann Hesse im Oktober 1951 im Brief an Thomas Mann), kommt der Deutsche Alltag erst im neuen Jahr, im Januar wieder. Bleiben Sie bis dahin gutgeartet, stecken Sie sich nirgends an, und wenn Sie die neuen Zeiten mögen, dann feiern Sie Silvester doch einfach am Bildschirm. Irgendjemand hat mir erzählt, es gäbe jetzt schon virtuelle Weinproben, bei denen man sich den Wein schicken lässt und sich dann mit Gleichbeschickten unter Anleitung eines Sommeliers vor die jeweils eigene Bildschirmkamera setzt. Das ist wahrlich eine schöne neue Welt.

Ihr

Kurt Kister

KAUBE : Weihnachten im Lockdown : Die eigentlich Beschenkten

 

Weihnachten war als Fest seit jeher umstritten und belastet. Muss man sich im Lockdown Sorgen um seinen Fortbestand machen?

  • Jürgen Kaube – Veröffentlicht/Aktualisiert: 24 Dec 2020   FAZ

Virtuelle digitale Solo-Weinprobe vor dem Bildschirm, angeleitet von einem Studio-Sommelier ….

 

Mit Hölderlin wächst das Rettende auch

Gespräch Hölderlin-Trost in der Corona-Krise: “Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch” “Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch” – die berühmten Verse aus Hölderlins Patmos-Hymne gelten auch in der gegenwärtigen Corona-Lage.20.03.2020

Hölderlin-Trost in der Corona-Krise: “Wo aber Gefahr ist …

www.swr.de › swr2 › literatur › hoelderlin-geburtstag-tros…

 

MÖGE EIN GNÄDIGES  VIRUS EUCH ALLE VERNICHTEN !