JOURNALISMUS & PRESSEFREIHEIT ANGELEGENHEIT DES GEHEIMDIENSTES / WIE EUROPA SICH PUTIN ANNÄHERT

 Putinfans in Italien : Atomwaffen gegen die NATO? Das wär’s! Geheimdienstausschuss.

FAZ 13-5-22 – Sergej Lawrow doziert, Moderator Guiseppe Brindisi hört zu. Im italienischen Fernsehen tauchen „Putinversteher“ auf. Die nennen das Massaker von Butscha „Fake News“ und wollen, dass die Ukraine kapituliert. Im Parlament kommt die Frage auf, ob das noch Journalismus ist.

Nach dem Skandalauftritt des russischen Außenministers Sergej Lawrow in einer Talkshow des Berlusconi-Senders Rete4 beschäftigt sich der Geheimdienstausschuss

des Parlaments in Rom mit der ungefilterten Verbreitung russischer Propaganda im italienischen Privatfernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI.

Lawrow hatte in der Sendung „Zona Bianca“ am 1. Mai unwidersprochen Moskaus Begründung für den Überfall der Ukraine bekräftigt. Er dozierte, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden. Den Hinweis, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst Jude sei und wohl keine Nazi-Regierung führen könne, wies Lawrow zurück: „Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“

Neben Lawrow kamen seit Kriegsbeginn am 24. Februar in den wöchentlich rund zwanzig Talkshows der verschiedenen italienischen Fernsehsender auffällig viele kremlnahe Journalisten und Experten zu Wort. Mehrfach luden mehrere Kanäle die russische Journalistin Nadana Friedrichson ein. Sie arbeitet für den Sender „Zvezda“, den das Verteidigungsministerium in Moskau betreibt. Ziel der „russischen Spezialoperation“ in der Ukraine sei es, den Krieg zu beenden, „den das von den USA gestützte Regime in Kiew“ begonnen habe, sagte Friedrichson. Auch die Sprecherin des ­russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, wird gerne zugeschaltet. Wie Lawrow in seinem denkwürdigen Auftritt bezeichnet sie immer wieder das Massaker von Butscha nahe Kiew als Fake News.

„Vielleicht ist es an der Zeit, es knallen zu lassen?“

Wladimir Solowjow, Fernsehmoderator und enger Vertrauter von Wladimir Putin, steht wie Außenminister Lawrow auf der EU-Sanktionsliste, kann sich aber öfters im italienischen Fernsehen frei äußern. Frei bewegen in Italien – zumal in Como, wo er zwei Villen mit Seeblick besitzt – kann er sich seit dem 24. Februar nicht mehr. In einer seiner letzten Sendungen beim russischen Staatssender „Rossija 1“ fabulierte Solowjow mit seinen Talkgästen über den möglichen Einsatz von Atomwaffen gegen die NATO. „Vielleicht ist es an der Zeit, es knallen zu lassen?“, fragte Solowjow einen seiner geladenen „Militärexperten“. Der antwortete: „Ja, das wär’s!“

Aber auch einheimische „Putiniani“, die Pendants zu den Putin-Apologeten in Deutschland, verbreiten sich im italienischen Fernsehen ausgiebig. Am häufigsten Alessandro Orsini, Soziologe und Terrorismusexperte an der Römer Universität LUISS. In regelmäßigen Auftritten beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI 3 ruft Orsini Putin zum Sieger des Krieges aus und fordert die Ukrainer zur Kapitulation auf – um des Weltfriedens willen. Weil Orsini mit seinen Thesen der Sendung „Carta Bianca“ von Bianca Berlinguer, der Tochter des langjährigen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Italiens, Enrico Berlinguer, krawallige Aufmerksamkeit und Quote bringt, sollte er einen festen Vertrag über 2500 Euro je Auftritt erhalten. Nach Protesten in der Öffentlichkeit und aus den Reihen der RAI ist es nun aber fraglich, ob es zu dem Vertrag kommt.

Am Donnerstag wurde Carlo Fuortes, Generaldirektor der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie RAI, vom Geheimdienstausschuss in Rom dazu befragt, warum Personen, die entweder direkt vom Kreml bezahlt werden oder dessen Propaganda verbreiten, so viel Raum in den Talkshows der verschiedenen RAI-Sender bekommen. Der Parlamentsausschuss will herausfinden, ob das noch Journalismus ist oder ob es sich dabei um „eine von russischen Regierungsvertretern geplante Desinformationskampagne“ handelt.