IWF stellt Türkei ein miserables Zeugnis aus / TÜRKISCHE WIRTSCHAFT VOR DEM KOLLAPS

Von IAN TALLEY – Wallstreet Journal – 7.10.2013 – Der Internationale Währungsfonds ist eigentlich für eine sehr diplomatische Sprache bekannt. Insofern sind die jüngsten Aussagen über die Politik der türkischen Zentralbank als scharfer Tadel zu verstehen. Der IWF erklärte dem türkischen Notenbank-Gouverneur Erdem Basçi, er müsse “mit unmittelbarer Priorität” die Zinsen anheben, um die fast ungezügelte Inflation zu zähmen.

Das hohe Kreditwachstum, die hartnäckig hohe Inflation und das sich ausweitende Handelsdefizit “erfordern allesamt positive reale Zinsen, insbesondere bei den einwöchigen Repo-Sätzen”, heißt es im jährlichen Bericht des Fonds zur türkischen Wirtschaft. Der türkische Notenbankchef Erdem Basci mit dem Währungszeichen der Lira. Derzeit muss Basci viel Geld ausgeben, um die Landeswährung zu stützen.

Als nächstes kritisierte der IWF die Zentralbank dafür, dass sie sich zu sehr auf ihre Währungsreserven verlasse, um die Folgen der Kapitalflucht zu dämpfen. Mehr als 15 Prozent ihres Devisenbestands hat die Bank hierfür bereits aufgewendet. “Die Machthaber sollten Devisenverkäufe nur dafür nutzen, exzessive Volatilität zu bekämpfen. Wechselkursinterventionen können kein Ersatz für die richtige geldpolitische Grundhaltung sein”, erklärte der IWF. Wie eine Menge anderer Schwellenländer weltweit steckt auch die Türkei in der Zwickmühle, Inflation bekämpfen zu müssen, während sich die eigene Währung abschwächt, weil ausländische Investoren ihr Kapital in Massen abziehen. Seit die US-Notenbank begonnen hat, über einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik zu sprechen, haben die Anleger weltweit die Risiken ihrer Depots überprüft und neu bewertet. In der Folge hat der Leitindex des türkischen Aktienmarktes in den vergangenen sieben Monaten ein Drittel seines Werts eingebüßt, der Kurs der Landeswährung Lira ist eingebrochen und die Anleiherenditen haben sich verdoppelt.

Besonders skeptisch zeigt sich der IWF hinsichtlich der Fähigkeit des Landes, künftige Phasen hoher Volatilität zu meistern. Entsprechend sieht er in einer weiteren Abwertung der Lira und einer anhaltenden Kapitalflucht “große Herausforderungen für die türkische Wirtschaft”.

Weitere Abwertung und Kapitalflucht drohen

Die wohl schärfste Kritik des IWF richtet sich aber gegen den politischen Rahmen, in dem die Notenbank handeln muss. Dieser sei zu komplex, stelle auf zu viele Ziele ab und untergrabe letztlich ihr Mandat: “Der aktuelle Rechtsrahmen hilft nicht dabei, das Inflationsziel der Behörde zu erreichen und könnte den monetären Transmissions-Mechanismus geschwächt haben”, heißt es von Seiten des Fonds. Anders ausgedrückt: Die Geldpolitik erreicht die Wirtschaft nicht. In einer Zeit, in der die Anleger ihre Depots sehr genau im Auge haben und versuchen, Gewinner von Verlierern zu unterscheiden, werde “der Rechtsrahmen zunehmend von den Märkten in Frage gestellt, was die Kommunikationspolitik erschwert”, kritisiert der IWF weiter. “Eine Normalisierung des Rahmens würde die Glaubwürdigkeit steigern und die Kommunikation erleichtern.”