I) DAS BÜNDNIS MIT GOTT AUF DER GRUNDLAGE EINER VERSTÜMMELUNG

Boris Zernikow, Leiter des Deutschen Kinderschmerzzentrums an der Vestischen Klinik Datteln, über die Langzeitfolgen ritueller Vorhautentfernungen:

„Beschneidungsschmerz verändert das Gehirn“

SPIEGEL: Wie stark sind die Schmerzen, wenn ein Junge beschnitten wird?

Zernikow: Sie sind heftig und dauern über Tage an, wenn der Operationsschnitt sich entzündet. Leider hält sich sogar unter Ärzten die überholte Lehrmeinung, Neugeborene und Säuglinge würden weniger oder gar keinen Schmerz empfinden. Bei Neugeborenen ist genau das Gegenteil der Fall: Das schmerzunterdrückende System ist erst einige Monate nach der Geburt funktionstüchtig. Sie empfinden mehr Schmerzen als ein Erwachsener.

SPIEGEL: Mit welchen Folgen?

Zernikow: Der Schmerz bei der Beschneidung verändert das Gehirn. Es kann sich ein Schmerzgedächtnis bilden. Studien haben gezeigt, dass ohne ausreichende Therapie beschnittene Kinder bei späteren Impfungen mehr Schmerz empfinden. Haben Menschen im Babyalter große Operationen mit Schmerzerlebnissen erlitten, brauchen sie bei Eingriffen im späteren Kindesalter mehr Anästhetika. Ihre Schmerzschwelle ist signifikant niedriger. Es liegt nahe, dass für sie später die Gefahr chronischer Schmerzen größer ist.

SPIEGEL: Kann eine Betäubung bei der Beschneidung helfen?

Zernikow: Eine generelle Narkose hilft nicht. Es müssen mit einer betäubenden Spritze direkt die Nervenbahnen blockiert werden, die vom Penis ins Gehirn führen. Selbst in guten Klinik gelingt das dem Anästhesisten in bis zehn Prozent der Fälle nicht ausreichend. Bei rituellen Beschneidung oder anderen weniger fachgerecht Operationen dürfte die Erfolgsquote schlechter aussehen. Zudem werden auch für die Einleitung einer Narkose Spritzen verabreicht und damit Schmerzen ausgelöst für etwas, das nicht zu rechtfertigen ist, weil es für den Eingriff keinen medizinischen Nutzen gibt

SPIEGEL: Sind Beschneidungen im Knabenalter weniger problematisch?

Zernikow: Ja, aber nur, was die negative Entwicklung des Schmerzsystems angeht. Ethis ch berechtigt ist auch in diesem Fall der Eingriff nicht, denn Ärzte einen Eid geleistet, keine Operationen aus nicht-medizinischen Grün en ohne die Einwilligung eines mündigen Patienten vorzunehmen. Was gäbe es beispielsweise für einen Aufschrei, käme ein Achtjähriger für eine Schönheitsoperation unters Messer?