HUMAN RIGHTS REPORT – DEMOKRATISCHES TÜRKEI FORUM Dezember 2012

Demokratisches Türkeiforum (DTF)

Die folgenden Nachrichten wurden im Dezember 2012 vom DTF erfasst (übersetzt).

Straffreiheit für die Mörder von Journalisten (2)

Im Rahmen eines UN Planes von Aktionen zur Sicherheit von Journalisten und dem Phänomen von Straflosigkeit (en: UN PLAN OF ACTION ON THE SAFETY OF JOURNALISTS AND THE ISSUE OF IMPUNITY)  hat das unabhängige Kommunikationsnetzwerk BIA eine Artikelserie zu ermordeten Journalisten in der Türkei gestartet. Die Artikel sind momentan nur in Türkisch zu finden. Der erste Teil dieser Serie befindet sich im Monatsbericht November 2012.

•          Emel Gülcan: Metin Göktepe Cinayeti (1. Dezember 2012)

•          Erol Önderoglu: Tüm Metin Göktepe’leri Yaşatmak! (1. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Mehmet İhsan Karakuş Cinayeti (2. Dezember 2012)

•          Leena Reikko: Ne İşim Var Burda? (2. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Uğur Mumcu Cinayeti (3. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Orhan Karaağar Cinayeti (4. Dezember 2012)

•          Füsun Özbilgen: Gazeteci Katlinde Gazetecilerin Görevi (5. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Çetin Abayay Cinayeti (5. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Yaşar Parlak Cinayeti (6. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: “Cinayet Soruşturmasında Yapılacaklar Bellidir” (7. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: İzzet Kezer Cinayeti (7. Dezember 2012)

•          Emel Gülcan: Hrant Dink Cinayeti (8. Dezember 2012)

•          Fethiye Çetin: Hrant Dink Cinayeti, Kovuşturma ve Yargılama (8. Dezember 2012)

 

 

Weitere Selbstmorde im Militär

Das auch vom DTF öfter aufgegriffene Thema von vermeintlichen Selbstmorden von Soldaten  ist in der Türkei erneut auf die Tagesordnung gekommen. Besonders schockiert war es für die Öffentlichkeit zu hören, dass mehr Soldaten durch Selbstmord ums Leben kamen, als im aktiven Kampf (mit der PKK). So berichtet die Zeitung Gazete Vatan vom 02.12.2012, dass in den letzten 10 Jahren 818 Soldaten im Kampf “gefallen” seien; es aber 934 Fälle von Selbstmorden gegeben habe. Zu dieser Zahl, die offiziell bestätigt wurde, seien in den letzten 3 Tagen (72 Stunden) vier weitere Selbstmorde hinzugekommen.

Einer von ihnen sei İsmail Akça, der sich in seiner Einheit in Şırnak das Leben genommen haben solle.  Ein anderer sei der 20-jährige Mert Evren Akdağ, der sich am 30. November 2012 in seiner Einheit in Bergama (bei Izmir) das Leben genommen haben soll.

Unter der Überschrift In einer Woche vier, seit Beginn des Jahres 66 Selbstmorde im Militär greift die Nachrichtenagentur Firat am 17. Dezember 2012 das Thema erneut auf. In Diyarbakır, Kreis Ergani soll sich der aus Rize stammende Soldat Burak Kasar das Leben genommen haben, indem er sich mit seinem G-3-Gewehr in die Brust schoss. Bei dem Bergkommando in Hakkari soll der aus Adapazarı stammende Soldat Savaş Bozanbonar bei einem Selbstmordversuch schwer verletzt worden sein. Er werde im Staatskrankenhaus in Hakkari behandelt.

Am 15. Dezember 2012 braucht sich in Van, Kreis Başkale in der Grenzstation Albayrak (Dêr) der Soldat Davut Yardımcı um. Am 13, Dezember 2012 nahm der Soldat Bekir Yılmaz, der seit 3,5 Monaten seinen Wehrdienst leiste ein MP 5 Maschinengewehr auf der Gendarmeriestation Yeşilkaraman im Kreis Aksu in der Provinz Antalya und schoss sich in den Kopf. Sein Leichnam wurde in seine Heimatstadt Samsun gebracht.

Unterdessen ließ die Initiative für Rechte der Soldaten (Asker Hakları İnisiyatifi) über Twitter verlauten, dass es seit Anfang des Jahres 65 Selbstmorde gegeben habe, von denen aber nur 47 in der Presse erwähnt wurden. Mit dem Tod von Burak Kasar hat sich die Zahl auf 66 erhöht. Der IHD hatte im Jahr 2011 43 zweifelhafte Morde im Militär aufgelistet, im Jahr 2010 waren es 47. Offiziell wurden für den Zeitraum von 1991 bis 2001 815 Selbstmorde im Militär angegeben.

 

Bilanz der ersten 10 Monate

Anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte (10. Dezember) haben der Menschenrechtsverein IHD und die Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) eine gemeinsame Erklärung heraus gegeben. . Das unabhängige Netzwerk Bianet hat am 10. Dezember 2012 daraus einen Artikel mit dem Titel “Sıfır Tolerans Lafta Kaldı” gemacht. Es wurde zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass das Massaker in der Provinz Şırnak im Kreis Uludere in den Dörfern Roboski und Bujeh, bei dem 34 Personen, darunter 19 Minderjährige getötet wurden, nach mehr als einem Jahr immer noch nicht aufgeklärt ist. Sodann wurde eine Bilanz von Menschenrechtsverletzungen in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. September 2012 gezogen. Demnach wurden

•          425 Personen bei Gefechten getötet (185 Soldaten, Polizisten und Dorfschützer, 224 Militante der PKK und 16 Zivilisten)

•          16 Personen starben durch Landminen

•          14 Personen starben durch Bomben in Ortschaften

•          35 Personen wurden bis Ende November Opfer von extralegalen Hinrichtungen oder von Schüssen seitens der Sicherheitskräfte

•          In den Gefängnissen starben 69 Personen, 13 davon verbrannten im Gefängnis von Urfa

•          In Polizeihaft verloren neun Personen ihr Leben auf zweifelhafte Weise

•          Bis Ende November 2012 meldeten sich 506 Personen bei der TIHV, um sich wegen der Folgen von Folter behandeln zu lassen. 217 gaben an, im Jahre 2012 gefoltert worden zu sein

•          Der IHD verzeichnete in den ersten 10 Monaten des Jahres 397 Beschwerden wegen Folter

•          Vier Personen kamen bei Polizeieinsätzen der Polizei gegen DemonstrantInnen ums Leben

•          Es wurden 564 Publikationen beschlagnahmt. Der Zugang zu 22.536 Internet-Seiten wurde gesperrt

•          301 Personen wurden aufgrund der von ihnen geäußerten Ansichten zu mehr als 900 Jahren Haft verurteilt; weitere 1.088 stehen wegen Meinungsäußerungen vor Gericht.

Türkei: Spitzenreiter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Am 24. November 2012 fand in Istanbul eine Treffen zur “Freiheit der Medien und Meinung in der Türkei” statt. Darüber berichtete Fikret İlkiz in Bianet vom 10.12.2012. Er zitierte zunächst Aussagen des Präsidenten der Europäischen Journalisten-Föderation, Arne König, der seine Rede damit begann zu sagen, dass in den 1990er Jahren die Türkei das Land mit den meistern ermordeten Journalisten war und nun einen vorderen Platz bei der Zahl der inhaftierten Journalisten einnehme. Insgesamt aber sei die Situation in Europa nicht erfreulich. Gerade Ungarn habe keine Bedenken, die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Die interessantesten Bemerkungen aber machte die Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Işıl Karakaş. Sie sagte, dass seit der Einrichtung des Gerichts im Jahre 1959 (in den ersten Jahren waren Entscheidungen einer Kommission vorgeschaltet, DTF) bis zum Ende des Jahres 2011 die Türkei das Land sei, zu dem es die meisten Entscheidungen auf eine Verletzung der Menschenrechte gegeben habe. In dieser Zeit habe das Gericht in ungefähr 15.000 Fälle auf eine Verletzung entschieden. Mehr als 2.700 (18,5%) beträfen die Türkei. Es lägen mit Stichtag vom 31. Oktober 2012 zwar mehr Beschwerden aus Russland (30.100) im Vergleich zur Türkei (17.100) vor, aber 90% der Beschwerden aus Russland würden nicht zugelassen. In Bezug auf die Türkei liegt die Rate bei 40%.

Bei Urteilen zur Meinungsfreiheit liegt die Türkei mit Abstand vorn. In 207 Verfahren wurde bei Beschwerden aus der Türkei auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit entschieden. An zweiter Stelle liege Österreich mit 32 Urteilen, in denen eine Verletzung der Meinungsfreiheit moniert wurde. Dabei sei Österreich schon seit Beginn der Tätigkeit des EGMR im Jahre 1959 (also 52 Jahre) dabei, während die Türkei dem Mechanismus erst im Jahre 1990 beigetreten sei (die Urteile also nur einen Zeitraum vom 21 Jahren umfassten).

 

Ergenekon Verfahren stehen vor einem Urteil

In Radkal vom 14.12.2012 berichtet Altan Öymen vom letzten Stand der Ergenekon Verfahren. In einem Fernsehprogramm hatte der Vorsitzend der Anwaltskammer Istanbul, Ümit Kocasakal folgenden Zahlen genannt:

•          Es gibt 21 Anklageschriften zu Ergenekon, die 17.000 Seiten umfassen

•          Mehr als 100.000 Telefonate wurden abgehört und es gitb 44 geheime Zeugen

•          Gegen 3.000 Personen wurde ermittelt und 580 kamen in U-Haft

Zuerst gab es ein Ergenekon Verfahren. Da ging es um einen Anschlag auf den Staatsrat und ein Bombenattentat auf die Zeitung Cumhuriyet. Dann kam ein zweites Verfahren hinzu. Später tauchten Bezeichnungen wie “Plan zum Kampf gegen die Reaktion” oder “Internet Memoradum” auf. Alles wurde in einem Topf geworfen. Dabei ist noch nicht einmal klar, dass die Existenz einer Organisation namens Ergenekon nachgewiesen werden kann. Derzeit befasst sich die 13. Kammer für schwere Straftaten mit den Anträgen der Verteidigung. Dann kommt das Plädoyer der Staatsanwälte und die letzten Worte der Angeklagten und der Verteidigung. Erst dann kann ein Urteil gefällt werden.

Begnadigung für kranke Gefangene

In einer Antwort, die der Justizminister Sadullah Ergin auf eine Anfrage der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der BDP, Pervin Buldan stellte er fest, dass unter dem Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer 252 Personen, darunter viele, die am Wernicke Korsakow Syndrom erkrankt waren, begnadigt wurden, während es unter dem Staatspräsidenten Abdullah Gül gerade mal 26 Personen waren, die aus gesundheitlichen Gründen begnadigt wurden. Der Nachricht in Radikal vom 22.12.2012 zufolge befinden sich weitere 258 Gefangene mit tödlicher Erkrankung im Gefängnis. Nach dem Gesetz 5275 zum Strafvollzug bietet der Artikel 16 die Möglichkeit den Vollzug einer Strafe bei Krankheiten, deren Behandlung unter Haftbedingungen nicht möglich ist, auszusetzen. Nach Artikel 104 der Verfassung von 1982 hat der Staatspräsident die Möglichkeit, rechtskräftig verurteilte Personen zu begnadigen. Diese Möglichkeit ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Person an einer dauerhaften Krankheit leidet, eine Behinderung hat oder “altert”.

Der Minister Ergin gab für die sieben-jährige Amtszeit von Sezer folgende Zahlen zu Begnadigungen an:

•          Im Jahr 2000 wurden 12 Personen begnadigt

•          Im Jahr 2001 wurden 15 Personen begnadigt (darunter auch Mitglieder illegaler Organisationen, die am Wernicke Korsakow Syndrom litten)

•          Im Jahr 2002 wurden 92 Personen begnadigt (darunter auch Mitglieder illegaler Organisationen wie DHKP/C, TİKKO oder MLKP, die am Wernicke Korsakow Syndrom litten)

•          Im Jahr 2003 wurden 123 Personen begnadigt (darunter auch Mitglieder illegaler Organisationen, die am Wernicke Korsakow Syndrom litten)

•          Im Jahr 2004 wurden 9 Personen begnadigt

•          Im Jahr 2005 wurden 5 Personen begnadigt

•          Im Jahr 2006 wurden 2 Personen begnadigt

 

Für die Amtszeit von Abdullah Gül wurden folgende Zahlen genannt:

•          Im Jahr 2008 wurden 3 Personen begnadigt (darunter auch ein Mitglied von TIKKO)

•          Im Jahr 2009 wurden 7 Personen begnadigt

•          Im Jahr 2011 wurden 8 Personen begnadigt

•          Im Jahr 2012 wurden 8 Personen begnadigt

In 10 ½  Jahren starben 1734 Gefangene

Nach einer Meldung in Bianet vom 26.12.2012 hat der Justizminister Sadullah Ergin eine Anfrage des CHP Abgeordneten für Tunceli, Hüseyin Aygün zur Zahl der in Haft verstorben Gefangenen beantwortet und dabei folgende Zahlen angegeben (die Zahlen für 2012 beziehen sich auf den Zeitraum bis zum 18. Juli 2012):

Jahr    2002  2003  2004  2005  2006  2007  2008  2009  2010  2011  2012  Summe

Verstorben   89       163    54       59       157    176    211    196    252    268    109    1734