HPG / PKK Wochen-Rückblick : Operationen und Aktionen der Guerilla

ANF, YH, YG, Semdinlihaber, DIHA – 19.8.2012 – Die türkische Presse, Regierung und Militär versuchten in der letzten Woche erneut durch Desinformationskampagnen die Lage in den kurdischen Regionen als befriedet und die Guerilla in Panik und auf der Flucht befindend darzustellen. Dazu dienten dem türkischen Staat unter anderem in den türkischen Medien immer wieder gerne veröffentlichte, offensichtlich gefälschte Funkprotokolle. Diese staatliche Darstellung der Ereignisse wird allerdings von der sich immer weiter ausweitenden „revolutionären Operation“ der Guerilla Lügen gestraft. Während der türkische Staat den erfolgreichen Abschluss der Operation gegen die Guerilla in der Region um Colemêrg (Hakkari) erklärt, finden Dutzende Guerillaaktionen in der Region statt und die Guerilla führt immer häufiger Straßenkontrollen durch. So sind mittlerweile mehrere Straßenkontrollen, bei denen sich die Guerillas freundlich und selbstsicher oft stundenlang aufhalten, mittlerweile auch auf Video dokumentiert.

Region Colemêrg: Guerilla erweitert kontrolliertes Gebiet

Die Guerillakräfte bauten in der letzten Woche ihre Stellungen weiter in Richtung der Provinzhauptstadt Colemêrg (Hakkari) aus. Es kam wieder zu gleichzeitigen Angriffen auf mindestens 12 Polizeistationen und Militärbasen, es wurden weitere strategische Gipfel erobert.

Gever: Guerilla zeigt offen Präsenz in der Stadt

Ein Novum fand am28. Jahrestag des bewaffneten Kampfes, dem 15. August, in der Stadt Gever (Yüksekova) statt. Die Guerilla führte zum ersten Mal eine Kontrolle und eine Kundgebung im Zentrum der kurdischen Stadt durch. Die durch schwere Waffen und Raketenwerfer geschützten Guerillas konnten sich so entspannt mit der Bevölkerung unterhalten und sie über die aktuelle Lage aufklären. Viele jubelten den Guerillas zu und feierten den 15. August mit Salutschüssen und Feuerwerk und erinnerten damit ebenfalls an die gefallenen Kämpfer. An etlichen strategischen Punkten in der Umgebung hatte eine große Zahl Guerillas Stellung bezogen, um eine Intervention durch Polizei oder Militär im Ansatz zu verhindern.

Abgeordnetendelegation in Şemzînan (Şemdinli) – „Wir haben in Şemzînan nicht den Staat sondern die Guerilla gesehen!“

Am 17.08.12 bereiste eine Delegation von Abgeordneten verschiedener linker Parteien, der Partei für Frieden und Demokratie (BDP), der sozialistischen ESP und EMEP und anderer linker Parteien die Dörfer um Şemzînan in der Region Colemêrg. Dabei wurde der Konvoi, der aus Dutzenden Fahrzeugen bestand, von der Guerilla gestoppt und intensive Gespräche geführt. Die Guerillas hielten sich auch hier, am helllichten Tag mehr als eine Stunde am Konvoi auf. Sie hielten eine Rede, in der sie betonten, dass in der Region ein schwerer Krieg stattfindet und Hunderte Soldaten gefallen seien. Der türkische Staat und die türkischen Medien belügen die Bevölkerung über die Kriegsrealtität in Şemzînan. Daher forderten die Guerillas insbesondere die türkischen Medienvertreter auf, die Realität aus der Region zu berichten. Sie betonten weiterhin, dass sie nicht nur für Kurdistan kämpfen, sondern für die Demokratisierung der Türkei: „Die Presse wird durch die Nachrichten, die sie von hier veröffentlicht, zum Komplizen des Krieges. Seit Monaten starben in diesen Bergen Hunderte Soldaten, aber es ist sehr bedauerlich, dass dies in keiner Weise von der Presse richtig dargestellt wurde. Wir wissen, dass hinter all dem Ministerpräsident Erdoğan steht. Damit zeigt Erdoğan, dass er weder vor der kurdischen noch vor der türkischen Bevölkerung Respekt hat.“

Viele der Teilnehmer am Konvoi begrüßten die Guerillas mit Parolen und insbesondere zwischen den Friedensmüttern und den Guerillakämpfer spielten sich emotionale Szenen ab. Die BDP-Abgeordneten Gülten Kışanak und Ertuğrul Kükçü berichteten von ihren Eindrücken aus der Region: „Wir haben in Şemzînan nicht den Staat, sondern die Guerilla gesehen!“ Kışanak erklärte weiter: „In keinem Gebiet, welches wir besuchten gab es Kräfte des Staates oder des Militärs. Wir haben nur am Ausgang von Şemzînan einen besetzten Militärposten gesehen. Nachdem wir diesen Punkt passiert hatten, haben wir kein einziges Militärfahrzeug mehr gesehen.“

Guerilla erringt Kontrolle über weitere Regionen in Colemêrg

Während die Kontrolle der Guerilla über große Teile der Landkreise Şemzînan, Çelê (Çukurca) und Teilen der Region Gever weiter andauert, führte die Guerilla in der direkten Umgebung der Provinzhauptstadt Colemêrg (Hakkari) am Abend des 16.08.2012 eine gleichzeitige Operation gegen etliche militärische Ziele durch und eroberte strategische Positionen. Eine Guerillaaktion dieses Ausmaßes hatte es in der direkten Umgebung von Colemêrg zum letzten Mal vor 15 Jahren gegeben.

Die Stadt Colemêrg liegt in einem Talkessel, der nur durch das passieren des Depin-Kontrollpunktes zu betreten oder zu verlassen ist. Dieser Kontrollpunkt ist bekannt für schwerste Übergriffe auf die Bevölkerung und ist von Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs wie auch des Geheimdienstes besetzt. Am 16.08. griff die Guerilla gegen 18:30 Uhr diesen Militärstützpunkt und die Stellungen, die ihn beschützen, von drei Seiten aus an – es folgte ein zweistündiges Gefecht. Die Zahl der gefallenen und verletzten Soldaten konnte nicht festgestellte werden, allerdings verließen acht Krankenwagen mit Toten oder Verletzten den Bereich. Die Guerilla gewann im Rahmen dieser Operation die Kontrolle über den Sümbül-Berg, welcher die Stadt Colemêrg überragt und an dessen Ausläufern der genannte Depin-Kontrollpunkt liegt. Am Sümbül-Berg finden nun in unregelmäßigen Abständen Gefechte statt. Damit kontrolliert die Guerilla nun auch ein strategisches Gebiet in der direkten Umgebung der Provinzhauptstadt. Die andauernde Operation der Guerilla in dieser Region veranlasste nun ebenfalls am 18.08. den türkischen Innenminister zu einem Überraschungsbesuch in der Region und des Depin-Kontrollpunktes.

Innenminister Şahin in Colemêrg nicht willkommen

Der türkische Innenminister Idris Naim Şahin wurde bei einem Besuch in Colemêrg (Hakkari)) am 18. August mit Protesten empfangen. Şahin, der vor seiner Ankunft die Militärkaserne am Stadteingang besuchte, verbrachte den Abend zunächst in einem Hotel, wohin er die Stadtverordneten aus Colemêrg zu einem Abendessen eingeladen hatte. Diese lehnten allerdings die Einladung ab. Anschließend wollte Şahin geschützt durch Spezialeinheiten der Polizei einen Spaziergang durch die Innenstadt von Colemêrg unternehmen, wurde allerdings von wütenden Protesten der Bevölkerung empfangen. Die Polizei griff die Demonstranten mit Gasbomben an und schoss in die Luft, um die Menschenmenge zu verstreuen. Şahin versteckte sich daraufhin zunächst in einem Geschäft und entschloss sich kurzerhand direkt mit einem gepanzerten Fahrzeug der Polizei in das Haus des Gouverneurs zu fahren. Bei den anschließenden Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und der Bevölkerung wurde mindesten ein Polizist verletzt. Die Situation in der Stadt ist weiterhin angespannt. 

Şemzînan – 26. Tage unter Guerillakontrolle – PKK-Fahne weht über der Stadt

Am 17.08. ist der 26. Tag der Guerillakontrolle über große Teile des Kreises Şemzînan. Das Militär dringt nicht mehr in die Regionen vor sondern führt nur noch Bombardierungen mit Artillerie und der Luftwaffe durch, um die Zivilbevölkerung aus der Region zu vertreiben. Die Guerilla Stellungen befinden sich hier in direkter Umgebung der Stadt Şemzînan – so beispielsweise auf dem Goman-Berg, der die Stadt überragt. Mittlerweile wehen auf diesem Berg von der Stadt aus sichtbar die Fahnen der PKK und der Guerilla HPG.

Schlechte Versorgungslage der türkischen Armeestützpunkte zeigt Folgen: „Entweder sie [die Soldaten] werden abgezogen oder sie ergeben sich“

Viele Militärstützpunkte in der Region Şemzînan sind über den Landweg nicht mehr zu erreichen. Die Militärstützpunkte in der Region Şemzînan werden mittlerweile 24 Stunden von der Guerilla überwacht und es konnte festgestellt werden, dass die Blockade der Stützpunkte Wirkung zeigt. Sie konnten weder ihren logistischen Bedürfnissen beispielsweise nach ausreichend Nahrungsmitteln, noch denen nach Munition gerecht werden. Etliche Wachposten werden mittlerweile nur noch durch Puppen besetzt, um die massiven Verluste zu kaschieren. Für die türkischen Soldaten sind ihre Stützpunkte zu Gefängnissen geworden.

Das Mitglied des KCK-Exekutivrats Duran Kalkan hatte am 08.08. gegenüber ANF zur Lage folgendes erklärt: „Das Militär in den ländlichen Regionen ist umzingelt und kann die Militärbasen nicht verlassen. Das ist nicht nur in Şemzînan so, ebenfalls im Geliyê Zap Gebiet, im Zagros, Cilo und Çarçela bis hin nach Gostê und Govendê. Das türkische Militär kann nicht dorthin vordringen. Die Guerilla hat etliche Basen umstellt. Entweder sie werden abgezogen oder sie werden sich ergeben.“

Angriff auf Polizeidirektion von Şemzînan

Am 16.08. gegen 17:40 Uhr wurde die Polizeidirektion von Şemzînan Ziel eines Guerillaangriffs. Dabei starben fünf Mitglieder einer Spezialeinheit.

Frauenguerilla YJA-Star greift Brigadekommandantur von Şemzînan an

Nach Angaben der YJA-Star griffen Frauenguerillaeinheiten am 16.08. zwischen 14:00 und 15:00 Uhr die Brigadekommandantur von Şemzînan an. Dabei wurde das Kommandogebäude zum Teil zerstört. Am 17.08. schlug die YJA-Star in der Region Şemzînan erneut zu. Bei einem Angriff auf das Garê-Regiment starben mindestens 3 Soldaten.

Gever – Guerilla schneidet Versorgungswege des Militärs ab

Wie wir oben schon berichtet haben, können Guerillaeinheiten nun auch mitten in der Stadt Gever agieren. Weiterer Beleg dafür ist auch der Angriff der Guerilla am 10.08. gegen 21.30 Uhr auf die Militärkommandantur im Stadtzentrum. Teile des Landkreises sind nun schon seit mehr als einem Monat unter Guerillakontrolle und Militärbasen wie Oramar und Şitaza von der Versorgung abgeschnitten. Auch hier versucht die türkische Armee die Positionen vor allem durch Artilleriebeschuss zurückzugewinnen.

Straßenkontrollen der Guerilla

Am 11.08. führte die Guerilla eine dreistündige Straßenkontrolle auf der Straße nach Oramar durch. Dabei wurde ein Lastwagen, der den Şitaza-Militärstützpunkt mit Nahrungsmitteln versorgen sollte gestoppt und abgebrannt. Der Fahrer wurde von der Guerilla festgenommen.

Guerilla zerstört Versorgungsbrücke des Militärs

Nachdem die Guerilla vor etwa zehn Tagen die Brücke zum Militärstützpunkt Şitaza beschädigt hatte, diese jedoch vom türkischen Militär wieder aufgebaut worden war, wurde sie nun am 11.08. von der Guerilla vollständig zerstört.

25 tote Soldaten nach schweren Gefechten auf zehn Militärstützpunkte

Als am frühen Morgen des 17.08. türkische Soldaten zu einer Operation in das Geliyê-Doskî-Gebiet in der Region Gever ausrücken wollten, führte die Guerilla zehn Angriffe auf die Operationskräfte des türkischen Militärs durch. Dabei starben etwa 25 Soldaten, dreißig weitere wurden verletzt. Die Armee antwortete mit Artilleriebombardement.

Versorgungsflug zum Umkehren gezwungen

Da das Militär seine Stützpunkte in Oramar und Şitaza nicht mehr über den Boden erreichen kann, brach am 11.08.12 ein Versorgungskonvoi, bestehend aus Sikorsky-Hubschraubern begleitet von Kobra-Kampfhubschraubern, auf. Gegen diesen Konvoi führte die Guerilla ebenfalls eine Aktion durch, so dass dieser umkehren musste.

Festnahmeaktionen der Guerilla

Auch in dieser Woche setzte die kurdische Guerilla ihre Festnahmeoperationen gegen Funktionäre des türkischen Staatsapparats und seiner Paramilitärs weiter fort. Heraus stach dabei die Festnahme des CHP-Abgeordnete Hüseyin Aygün, welche die Guerilla als Aktion auf eigene Initiative einer Guerillaeinheit in Dêrsim charakterisierte. Hüseyin Aygün wurde nach weniger als 48 Stunden wieder frei gelassen.

Die Festnahme des CHP Abgeordneten Hüseyin Aygün

In der internationalen Presse wurde insbesondere die kurzfristige Ingewahrsamnahme des Abgeordneten der kemalistischen CHP, Hüseyin Aygün, Thema. Eine Guerillaeinheit hatte ihn in der Nähe der kurdischen Stadt Ovacık in der Provinz Dêrsim gestoppt und aufgrund seiner Unterstützung von Staudammprojekten und der Assimilationspolitik in Dêrsim in Gewahrsam genommen. Nach weniger als 48 Stunden kam Hüseyin Aygün am 14.08. wieder frei und sorgte für einen Skandal in den türkischen Medien. Er erklärte gegenüber der Presse: „Mein zweitägiges Abenteuer in den Bergen ist heute zu Ende gegangen. Die Organisation hat mitgeteilt, dass sie diese Aktion zum Zwecke politischer Propaganda ausgeführt habe. Sie sagten, sie wollen mit der Aktion einen Aufruf zum Frieden und zum Waffenstillstand machen. Von mir haben sie verlangt, ich solle mich im Parlament noch stärker für einen Waffenstillstand einsetzen. […] Es gab mir gegenüber keinerlei Drohungen. Sie verlangten lediglich, dass die CHP mehr Mühen aufbringen soll, dem fließenden Blut Einhalt zu gebieten. … Sie haben diese Aktion durchgeführt, um nach Ankara eine Friedensbotschaft und die Forderung nach einem Waffenstillstand zu richten. Sie haben ihre Aktion für erfolgreich erklärt und mich verabschiedet. Sie haben mich umarmt und geküsst. Sie sagten mir, ich solle meine Geschwister auf den Bergen nicht vergessen und ich versprach ihnen, dass ich für den Frieden arbeiten werde.“

Aufgrund seiner Erklärungen wird nun diskutiert gegen ihn ein Verfahren wegen Propaganda für eine verbotene Organisation einzuleiten.  Weiterhin nahm die Guerilla unter anderem einen Funktionär des Regionalgouverneurs der Region Pasûr (Kulp) in der Provinz Amed (Diyarbakır) fest.

YJA-Star zerstört Neubau für Militärstützpunkt in Roboskî/Şirnex

Die Frauenguerilla YJA-Star griff in der Nähe des Dorfes Roboskî in der Provinz Şirnex eine Baustelle einer Militärbasis an – die Baustelle bestand aus zwei Teilen, ein Teil wurde von der Guerilla komplett zerstört, während der Bereich in dem die Bauarbeiter schliefen bewusst verschont wurde.

 

Fazit – Erfolge der Guerilla sind nicht mehr zu verheimlichen

Der türkische Staat versuchte mit aller Anstrengung die Ereignisse der letzten Wochen unter den Teppich zu kehren, die Guerillaoperationen in der Region Colemêrg haben jedoch ein nicht mehr zu verheimlichendes Ausmaß erreicht und so erschüttern Bilder von Guerilla Checkpoints in der Region die türkische Öffentlichkeit. Der Generalstab und der Ministerpräsident Erdoğan, die behaupteten, die Guerilla sei mit Hunderten von Verlusten schwer geschwächt und in Panik, wurden vor der türkischen Öffentlichkeit nun Lügen gestraft. Es bleibt abzuwarten, wie die weitere Vorgehensweise des türkischen Staates aussehen wird, für die kurdische Freiheitsbewegung sind diese letzten Wochen jedoch sehr erfolgreich, noch nie, seit dem 15. August 1984 hat die Guerilla eine so große und langandauernde Kontrolle über Gebiete in Nordkurdistan erlangen können und diese wird offensichtlich Schritt für Schritt, Berg für Berg ausgebaut. Unsere Berichterstattung ist gerade auf die Region Colemêrg gerichtet, aber in allen nordkurdischen Regionen finden im Moment Guerillaaktionen statt. So starben beispielsweise in Hatay fünf Soldaten, in Wan in dieser Woche mindestens 18. Sowohl aus Amed, Wan, Bedlis, Cewlik, Hatay, Mersin, Dersim, Antep, Mêrdin, Cizîre und vielen anderen Regionen sind Aktionen bekannt geworden, über die in diesem Rahmen nicht berichtet werden konnte.