HERZLIJA-SICHERHEITSKONFERENZ ISRAEL / SYRIEN – ÄGYPTEN – IRAN.
“Syrien erinnert in furchtbarer Weise an Bosnien”
Clemens Wergin. 15.3.2013 – Auf der Herzlija-Konferenz in Israel beraten Mächtige, wie man die Gefahr aus Syrien am besten eindämmt. Israel fürchtet nicht nur die Bedrohung aus Iran. Ein Problem ist auch die sunnitische Achse.
Wenn Obama kommende Woche Israel besucht, dann wird er die Erfahrung eines zweigeteilten Landes machen. Auf der einen Seite sind da die Offiziellen und Sicherheitsexperten, die äußerst beunruhigt sind darüber, dass sich um die kleine israelische Insel Staaten und damit auch alte und verlässliche Gewissheiten auflösen und der Iran zum finalen Sprint zur Atombombe ansetzt.
Und auf der anderen Seite sind da die ganz normalen Bewohner dieser Insel. Die Israelis, die laut neusten Umfragen noch optimistischer in die Zukunft blicken als im vergangenen Jahr. Das jedenfalls ergaben die “Herzlija Indizes” der gleichnamigen Konferenz, die jedes Jahr eine ausgesuchte Schar an Nahostexperten und Außenpolitik-Aficionados in die kleine israelische Stadt am Meer bringt. Und die Zahlen geben den israelischen Optimisten zunächst Recht. Bei den wirtschaftlichen Parametern des Index hat Israel, das ehemalige Entwicklungsland, quasi aufgeschlossen zum Durchschnitt der EU und der OECD-Länder. Israel hat europäische Krisenländer wie Griechenland, Spanien, Portugal und Irland sogar überholt und hat den großen Vorsprung zu den arabischen Ländern in der Region noch weiter vergrößert. Bei allen internen Problemen der Lastenverteilung und großer Einkommensunterschiede ist Israel doch ein blühendes, schnell wachsendes Land mit geringem Schuldenstand. Und die umfangreichen Gasfunde vor Israels Küste werden ein weiteres tun, um die das Land wirtschaftlich zu stärken.
Bürger wiegen sich in Sicherheit
Nach Meinung der meisten Sicherheitsexperten in Herzliya wiegen sich die israelischen Bürger jedoch in trügerischer Sicherheit. Der große Nachbar Ägypten steht kurz vor dem Bankrott, einige Analysten geben dem Land nur noch ein Vierteljahr, bis es seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Die Wirtschaft befindet sich im freien Fall, Kairos Vorrat an ausländischen Währungen ist aufgebraucht, ohne die das 80-Millionen-Volk nicht ernährt werden kann, weil man auf Lebensmittelimporte aus dem Ausland angewiesen ist. Und die regierenden Muslimbrüder haben es nicht geschafft, von einer Oppositionspartei zu einer verantwortlichen Regierungskraft zu mutieren und die Wirtschaft zu stabilisieren. Nach 40 Jahren Ruhe an der südlichen Front ist der ägyptische Sinai zum Aufmarschgebiet für Terroristen geworden, die gegen Israel vorgehen. Sollte die Regierungsmacht in Äypten gänzlich zusammenbrechen, manche Experten in Herzlija reden schon jetzt von einem “scheiternden Staat”, dann käme das einem israelischen Albtraum gleich. Auch im Norden braut sich ein Albtraum zusammen. Syrien bricht auseinander und wird zum Tummelplatz für internationale Terroristen. “Die Terrororganisationen kämpfen jetzt gegen Assad” sagte Generalstabschef Benny Gantz in Herzliya “und wir sind dann die nächsten auf ihrer Liste”. Syrien verfügt über weltweit eines der größten Arsenale von Massenvernichtungswaffen. Und wenn die in der chaotischen Bürgerkriegssituation in die Hände von Terrororganisationen gelangen, “dann werden sie sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch gegen uns einsetzen” meint Israels oberster Militär.
Zerfällt Syrien in Territorien?
Syriens Herrscher Baschar al-Assad bildet mit dem Iran, der libanesischen Terrororganisation Hisbollah und der extremistischen Hamas die radikale antiisraelische Achse in der Region. Aber zu den Entwicklungen in Syrien haben die israelischen Analysten und Offiziellen eine zutiefst gespaltene Einstellung. Einerseits hofft man auf einen Sturz Assads, weil das Iran und Hisbollah entscheidend schwächen würde. Andererseits hat Assad wenigstens die nördliche Grenze im Golan ruhig gehalten. Und ob es nach seinem Sturz in Syrien noch eine Zentralgewalt geben wird, die in der Lage ist die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens auf dem Golan sicherzustellen, ist fraglich. “Wir werden nach dem Sturz Assads die Entstehung einer schwachen Zentralgewalt in Syrien erleben, die mit regionalen Kräften verhandeln muss”, meint etwa Eyal Zisser von der Universität Tel Aviv und einer der führenden Syrienexperten Israels. Andere sehen das Land gar in autonome Territorien zerfallen, in Sunnistan, Alawistan und Kurdistan. Sollte es Teheran nicht gelingen, Assad trotz erheblicher Anstrengungen an der Macht zu halten, dann würden Iran und Hisbollah versuchen, die Alawitengebiete zu halten und die dortige Gemeinschaft zu einer Art syrischen Hisbollah zu machen. “Hisbollah und Iran bereiten sich schon auf die Zeit nach Assad vor” sagt Militärgeheimdientschef Aviv Kochavi.
Iran und Hisbollah haben Miliz aufgestellt
Nach israelischen Erkenntnissen haben Iran und Hisbollah schon eine eigene Miliz aufgestellt, die im Moment 50.000 Kämpfer umfasst und der zerfallenden syrischen Armee bei der Bekämpfung der Aufständischen hilft. Diese Miliz soll auf 100.000 Kämpfer wachsen und nach einem Sturz Assads die Alawitengebiete gegen die Rebellenmilizen behaupten. Die libanesische Hisbollah will in jedem Fall einen machtvollen Fuß im Nachbarland behalten.
Es wird nach einem Sturz Assads jedenfalls sehr schwer, die destruktiven Kräfte einzufangen. “Syrien erinnert mich in einer furchtbaren Weise an Bosnien” sagte Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, das deutsche Pendant zur Konferenz in Herzlija.
“Wir haben dem Morden dort viel zu lange zugeschaut und dann waren die Wunden zu tief, um wieder zu heilen”. So ähnlich sieht das Shmuel Bar vom Interdisciplinary Centre in Herzlija: Im Machtkampf nach dem Fall Assads werde es zu vielen Massakern kommen. “Der Bürgerkrieg im Libanon wird uns im Vergleich dazu als Picknick vorkommen.” Ischinger plädierte in vorsichtigen Worten dafür, die moderaten Teile der Opposition zu bewaffnen, um Assad möglichst schnell von der Macht zu vertreiben. “Waffen kommen so oder so in die Region” so Ischinger. “Und wenn wir nichts tun, dann werden wir nach dem Fall Assads auch keine Freunde in Syrien haben”. In Herzlija wurde auch deutlich, welch große Zweifel in der Region hinsichtlich der zukünftigen Rolle der USA herrschen. Es hat sich der Eindruck durchgesetzt, dass die USA sich möglichst rausziehen wollten aus Nahost, dass sie ihre Rolle als Führungsmacht vernachlässigen und sich lieber gen Asien orientieren. Die Partner Amerikas, von Israel über Jordanien bis zu den prowestlichen Golfscheichtümern, haben das Gefühl, in einem Schrottauto ohne Bremsen einen steilen Berg hinunterzufahren, während der alte Fahrer, Amerika, sich davongemacht hat.
Westen zu naiv gegenüber Arabischer Revolution
Viele israelische Experten werfen den Amerikanern und Europäern vor, die Folgen der arabischen Revolutionen nicht ausreichend bedacht zu haben. “Wir haben es Euch doch gesagt” war eine Art Leitmotiv der Diskussionen. “Der Westen hat die arabischen Revolutionen viel zu naiv begrüßt”, meint Strategieexperte Boaz Ganor. “Die traditionellen Regime wurden durch islamistische ersetzt, die nicht an einem demokratischen Prozess interessiert sind.”
Der Kampf im die Seele Arabiens ist nicht einer zwischen Autokratismus und Demokratie, so sehen es viele hier, sondern einer zwischen den Kräften des Modernismus gegen jene der Tradition. Und zu diesen traditionellen Kräften gehören eben auch die Muslimbrüder, die sich als stärkste politische Kraft in Tunesien, Marokko und Ägypten durchgesetzt haben und gerade versuchen, auch die syrische Revolution zu dominieren. Manche Experten sehen aber schon eine Gegenbewegung entstehen, weil die Muslimbrüder offensichtlich nicht in der Lage sind, die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme dieser Länder zu lösen.
Die arabischen Revolutionen haben zu einer Schwächung staatlicher Strukturen geführt, auch der Sicherheitsapparate, die radikale und terroristische Elemente in Schach hielten. Das entstehende Machtvakuum lädt Dschihadisten in der ganzen Welt ein, in von Regierungen nicht mehr beherrschte Räume vorzustoßen, sei es in Libyen, in Nordmali, im Sinai oder in Syrien.
“Die Grenzen sind nicht mehr gesichert, was die Infiltration von Terroristen und Flüchtlingen ermöglicht”, sagt Geheimdienstchef Kochavi. Auch al-Qaida habe sich inzwischen angepasst und nutze die Räume, die die arabischen Revolutionen eröffnet haben. Die Organisation versuche, sich zu “glocalisieren” und von einer internationale Kraft zu einer zu werden, die auf je unterschiedliche Weise in lokale Zusammenhänge vordringt.
Es entwickeln sich asymetrische Bedrohungen
Auch Kochavi sieht Israel von all diesen negativen Entwickungen geradezu umzingelt. In Herzlija rutsch dem sonst so coolen General an einer Stelle ein aus tiefstem Herzen kommendes “oh Mann, diese Wirklichkeit sieht vielleicht schlimm aus” heraus. Zwar muss Israel derzeit nicht damit rechnen, in einen Krieg mit regulären Armeen der Nachbarstaaten verwickelt zu werden – aber das ist ohnehin seit 40 Jahren nicht mehr vorgekommen.
Dafür entwickeln sich an allen vier Grenzen des Landes asymmetrische Bedrohungen, gegen die es sich zu wappnen gilt. Turbulente Zeiten in Nahost, die nach Meinung von Kerstin Müller von den Grünen durchaus noch ein oder zwei Jahrzehnte anhalten könnten. Die bisherige, aus dem Kalten Krieg stammende Ordnung im Nahen Osten bricht gerade zusammen. Und es scheint sich ein sehr viel älteres Ordnungsprinzip neu herauszubilden – die Teilung der Region in sunnitische und schiitische Lager. Zwar war es unter den Experten umstritten, ob man wirklich schon von einer neuen sunnitischen Achse reden könne.
Elliott Abrams, einstiger Sicherheitsberater von George W. Bush, sieht ein Zusammengehen der sunnitischen Kräfte als Reaktion auf die schiitische Achse zwischen Iran, Hisbollah und Syrien. Und je religiöser die sunnitischen Länder werden, meint Shmuel Bar, desto deutlicher werde auch die Frontstellung gegen die schiitische Achse werden. Diese sunnitische Front werde sich erst wieder auflösen, wenn die vom Iran ausgehende Gefahr in der Region gebannt sei.
Die Angst Israels hat zwei Aspekte
Die Angst vor dem Iran in Israel und der sunnitischen arabischen Welt hat zwei Aspekte: Irans destabilisierendes Eingreifen in vielen Ländern der Region einerseits, und sein Atomprogramm andererseits. In Sachen Bombe scheinen die Israelis sich nun mehr auf die Amerikaner verlassen zu wollen als bisher.
Die klare Ansage von Barack Obama, dass er die iranische Bombe verhindern wolle und keine Eindämmungspolitik verfolge, hat viele Israelis ein wenig beruhigt. Zwar sehen sie, wie der Iran sich immer weiter an die Möglichkeit zum “Break Out” heranpirscht. Kochavi sagte jedoch, dass Iran nicht so schnell vorankomme, wie Irans Führer gehofft hätten. Teheran sei auch derzeit sehr vorsichtig, “keine roten Linien zu überschreiten”.
Und selbst ein Hardliner wie der ehemalige Sicherheitsberater von Premier Benjamin Netanjahu, Uzi Arad, konzedierte, dass Obama seiner Meinung nach nicht bluffe was ein militärisches Eingreifen gegen Irans Atomanlagen anbelange. Nun sei es wichtig, dem diplomatischen Prozess noch eine Chance zu geben und ihn nicht mit unbedachten israelischen Zwischenrufen zu torpedieren.
Kurz vor seinem Besuch versuchte Obama die Israelis noch einmal zu beruhigen. In einem Interview mit dem israelischen Sender “Arutz 2” sagte der US-Präsident, dass Iran “mehr als ein Jahr” brauche, um eine Bombe zu bauen. Das Fenster für Diplomatie stehe also nicht lange offen. “Und wir wollen diese Zeitspanne auch nicht bis ins letzte ausreizen”, so der Präsident. Wenigstens in diesem Punkt, das wurde in Herzlija mehrfach deutlich, haben sich die Positionen Amerikas und Israels deutlich angenähert.