HANNELORE KRAFT (SPD) & DIE GUELEN BEWEGUNG

Politiker suchen zunehmend die Nähe zum umstrittenen Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen – zum Entsetzen vieler Beobachter. Sie warnen, hier werde eine reaktionäre Bewegung salonfähig gemacht. Von Till-R. Stoldt – DIE WELT 1.12.2013.

Weiß NRWs Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) immer, mit wem sie sich auf Gespräche einlässt? Hat Hannelore Kraft ein Faible für Machos? Für Menschen, die Frauenzüchtigung als Mannesrecht ansehen? Diese Frage provozierte die Ministerpräsidentin, als sie jüngst eine umstrittene islamische Gruppierung mit ihrer Aufmerksamkeit beehrte: die Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen.

Kritiker werfen seiner Bewegung vor, ein reaktionäres Weltbild zu lehren und Gewalt gegen Frauen zu verharmlosen. Dennoch besuchte Kraft im Oktober die Eröffnungsfeier der NRW-Redaktion der türkischen Zeitung “Zaman”. Und die gilt als Sprachrohr der Bewegung. Zudem gewährte sie dem Online-Blatt “DTJ”, das laut Kritikern der Gülen-Bewegung nahesteht, ein Interview.

Zu Krafts Entschuldigung muss man hinzufügen: Sie steht nicht allein. Seit Jahren feiern die Landtagspräsidenten in NRW das Fastenbrechen mit Vertretern der Gülen-Bewegung, die im sogenannten Rumi-Forum organisiert sind. Obendrein ließen sich auch nicht muslimische Medienschaffende in NRW auf Kooperationen mit den “Fethullahcis” (den Anhängern Gülens) ein.

Höchste Zeit, Frau Kraft und manch andere aus ihrem Schlaf zu wecken, meint Yilmaz Kahraman im Gespräch. Der Islamwissenschaftler und Bildungsbeauftragte der Alevitischen Gemeinde Deutschlands leitet im Auftrag des Bundesfamilienministeriums das Projekt “Zeichen setzen” zur Stärkung von “demokratischen Werten und Toleranz bei Zuwanderern”. In Kürze wird unter Kahramans Leitung eine Handreichung zum Umgang mit den Anhängern Fethullah Gülens erscheinen.

Die Deutschen zucken mit den Achseln. Wer aber türkischer Abstammung ist, erkennt den Prediger Fethullah Gülen auf dem Foto sofort. In “Der lange Arm des Imam. Das Netzwerk des Fethullah Gülen” haben sich die Filmemacher Yüksel Ugurlu und Cornelia Uebel das Phänomen einmal angeschaut.

Welt am Sonntag: Herr Kahraman, weiß die NRW-Ministerpräsidentin, wen sie salonfähig macht, wenn sie Medien aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung beehrt?

Yilmaz Kahraman: Das müsste sie zumindest wissen. Sie hat einen Expertenstab, der für sie erkundet, welche Gesprächspartner problematisch sind und welche nicht. Umso rätselhafter finde ich, dass niemand darüber debattiert, wie deutsche Politiker mit dem Gülen-Netzwerk umgehen sollten.

Welt am Sonntag: Sind die Fethullahcis hierzulande einfach zu unbedeutend, als dass man sie wachsam beäugen müsste?

Kahraman: Das glaube ich nicht. Das Gülen-Netzwerk hat hierzulande eine sehr starke Lobby. Auch in Deutschland sind sie über ihre Medien und Bildungseinrichtungen zu einem Machtfaktor geworden.

Welt am Sonntag: Laut dem Kenner Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) betreibt dieses Netzwerk hierzulande “rund 150 Nachhilfezentren, knapp 20 Schulen, viele Kitas, eine Reihe von Dialoginstitutionen sowie ein kleines Medienimperium, das Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender vereint”. Und dieses Netzwerk wachse permanent, auch in Deutschland.

Kahraman: Ja, aber damit bewegt sich die Zentralstelle am unteren Rand der Schätzungen. Laut anderen Experten liegt zum Beispiel die Zahl der Nachhilfezentren bei rund 400. In der Türkei ist das Gülen-Netzwerk …

Welt am Sonntag: … dem weltweit fünf Millionen Menschen angehören sollen …

Kahraman: … noch weit einflussreicher. Wen es dort entmachten möchte, den kann es auch entmachten. Fakt ist, dass in der Türkei Journalisten, Polizisten oder Bürgermeister unterschiedlichster Couleur wegen aberwitziger Anklagen, etwa wegen Stalinismus-Verdachts, inhaftiert wurden, nachdem sie das Netzwerk kritisiert hatten. Als der bekannte Journalist Ahmed Sik ein Buch über die Unterwanderung des türkischen Staates durch das Gülen-Netzwerk veröffentlichte, wurde es sofort verboten. Er selbst kam ins Gefängnis, weil er angeblich zum “tiefen Staat” gehöre.

Welt am Sonntag: Also zu einer Verschwörergruppe, die einen Putsch geplant haben soll.

Kahraman: Das Erschreckende am Fall Sik ist, dass er selbst vor Jahren daran beteiligt war, diesen “tiefen Staat” aufzudecken. Der Vorwurf gegen ihn ist also absurd.

Welt am Sonntag: Für welche Ziele nutzt die Gülen-Bewegung hierzulande ihre Macht? Ihre Vertreter betonen, sie engagierten sich für Frieden, Dialog, Toleranz und eine gute Bildung vornehmlich türkeistämmiger Jugendlicher. Klingt wunderbar.

Kahraman: Ja, wenn sie mit Deutschen sprechen, geben sich Anhänger des Netzwerkes sympathisch. Allerdings erwarte ich von deutschen Politikern, dass sie nicht nur auf Sonntagsreden achten, sondern sich mit den Lehren Fethullah Gülens beschäftigen. Zum Beispiel mit seinem reaktionären Frauenbild.

Welt am Sonntag: Wird Gülen nicht der Ausspruch zugeschrieben, Frauen sollten Kampfsport treiben, um sich verteidigen zu können? Wirkt emanzipiert.

Kahraman: Dann schauen Sie mal in die kommentierte Koranausgabe der Gülen-Bewegung. Dort wird die Polygamie als der westlichen Monogamie überlegen gefeiert, wobei natürlich nur der Mann ein Recht auf mehrere Frauen hat, nicht umgekehrt. Auch werden Frauen dort als den Männern charakterlich unterlegen beschrieben, es mangele ihnen geschlechtsbedingt an Sachlichkeit und Unparteilichkeit. Und das Erziehungs- und Züchtigungsrecht des Mannes über seine Frau wird gleichfalls betont. Sogar die bekennende Gülen-Sympathisantin und US-Religionssoziologin Helen Rose Ebaugh kritisiert, Gülen mache “den Wert der Frauen an ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter fest”.

Welt am Sonntag: Gülen lehrt laut EZW, der “Weg des Propheten” verlange eine “Islamisierung des Lebens mit all seinen Institutionen”. Ist er Islamist?

Kahraman: Gülen lehnt den säkularen Staat ab und distanziert sich nicht eindeutig vom traditionellen Schariaverständnis. Sobald im Namen des Islam aber politische Ansprüche verfolgt werden, droht Gewalt.

Welt am Sonntag: Obwohl Gülen-Anhänger unermüdlich Begriffe wie Toleranz und Frieden im Munde führen.

Kahraman: Wie gesagt: Es lohnt ein Blick hinter die Sonntagsreden. Nachweislich hat Gülen zum Beispiel bestimmte Alevitengruppen in der Türkei als “Brut aus Armeniern und Assyrern” beschimpft.

Welt am Sonntag: Er hat Aleviten “beschimpft” mit der Unterstellung, in Wirklichkeit seien sie Christen?

Kahraman: Das ist in seinen Augen offenkundig ein schwerer Vorwurf. Außerdem ist Gülen keineswegs der Kosmopolit, als den seine Anhänger ihn darstellen. Tatsächlich hat er ganz offen seine Nähe zu den türkischen Rechtsextremisten, den sogenannten Grauen Wölfen, betont. In den 90er-Jahren unterstützte er sie sogar massiv finanziell.

Welt am Sonntag: Selbst die von Ihnen zitierte Religionssoziologin Ebaugh bedauert, es führe kein Weg vorbei an dem Befund, dass die Bewegung “ausgesprochen nationalistisch” sei.

Kahraman: Nicht nur das, Gülen hat sich auch offen hinter rechtsradikale Mörder gestellt. 1978 verübten türkische Rechtsextreme in Maras ein grausames Massaker an Hunderten Aleviten. Den Anführer des Gemetzels, Muhsin Yazicioglu, rühmte Gülen als aufrechten Anatolier und guten Charakter. Dabei war Yazicioglu nicht nur ein Mörder, sondern auch führender Kopf einer rechtsextremen Partei in der Türkei. Was würden Sie von jemandem halten, der den edlen Charakter der NSU-Mörder und der NPD-Führungsfiguren besingt?

Welt am Sonntag: Eins muss man dem Netzwerk lassen: Die Privatschulen bieten offenbar ordentliches Niveau. Und im Unterricht selbst spielt Religion keine Rolle.

Kahraman: Ja, aber im Umfeld der Schulen, bei Freizeiten, beim Nachhilfeunterricht und in den Wohngemeinschaften der Gülen-Bewegung wird laut Aussteigern ideologisch indoktriniert. In ihren Schulen können die Gülen-Leute in aller Ruhe den Nachwuchs dafür suchen. Trotzdem glaube ich, dass die interkulturelle Kompetenz und das Engagement des Lehrpersonals an Gülen-Schulen groß sind. Aber wenn es den Gülen-Leuten angeblich nur um gute Bildung geht – warum bringen sie ihr Engagement dann nicht in staatliche Schulen ein?

Welt am Sonntag: Was raten Sie Hannelore Kraft?

Kahraman: Wenn sie sich das nächste Mal mit Gülen-Leuten trifft, sollte sie zumindest vorbereitet sein und ein paar kritische Fragen mitbringen.

http://www.welt.de/regionales/koeln/article122406456/Bei-politischen-Anspruechen-des-Islam-droht-Gewalt.html