“Grundsätzlich verfehlt ist es, kulturelle Identitäten zu stärken” / Kritische Islamkonferenz in Deutschland

Michael Schmidt-Salomon (GIORDANO BRUNO STIFTUNG)

Humanismus und Aufklärung sind keine exklusiven Kulturgüter des Westens

Nachdem mehrere Verbände ihre Teilnahme an der Deutschen Islamkonferenz des Innenministeriums abgesagt haben, wird unter dem Motto “Selbstbestimmung statt Gruppenzwang!” am 11. und 12. Mai 2013 in Berlin eine sogenannte “Kritische Islamkonferenz” stattfinden. Mitveranstalter ist der 1967 geborene Philosoph Michael Schmidt-Salomon. Dieser gilt mit seiner These “Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind” als radikaler Kritiker nicht nur der Kirchen, sondern auch des Christentums und der christlich-bürgerlichen Moral.

Michael Schmidt-Salomon

Humanismus und Aufklärung sind keine exklusiven Kulturgüter des Westens

Was würden Sie zu dem Vorschlag sagen, alle sich als “islamisch” bezeichnenden Länder, Organisationen und Menschen einfach in Ruhe zu lassen. Zu uns kommt doch auch keiner und verhängt Sanktionen, weil unser Bundeskanzler viermal heiratet oder unsere Mädchen nicht in die Koranschule dürfen oder weil Gustl Mollath unschuldig eingesperrt wird?

Michael Schmidt-Salomon: Nun, in einer globalisierten Welt, in der entfernteste Regionen durch vielfältige wirtschaftliche und politische Beziehungen miteinander vernetzt sind, ist es gar nicht möglich, sich nicht einzumischen. Die Frage ist nicht, ob wir uns einmischen, sondern wie wir uns einmischen. Dass die Kriege, die in den letzten Jahren gegen “islamische Länder” geführt wurden, die Probleme eher verschärft als gelöst haben, ist evident. Dennoch meine ich, dass die Vertreter des deutschen Staates sich auf internationaler Ebene sehr wohl für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen sollten. Das gilt natürlich auch für die Zusammenarbeit mit Ländern unter islamischer Führung.

Wir sollten endlich begreifen, dass Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Steinigungen von sogenannten “Ehebrecherinnen” oder Hinrichtungen von Schwulen und Apostaten keine Ausdrucksformen einer “anderen Kultur” sind, sondern Verbrechen, die als solche auch benannt und bekämpft werden müssen. Ich weiß, dass es einige Leute gibt, die einen derartigen Einsatz für die Menschenrechte als “Kulturimperialismus” deuten. Aber das beruht auf einem schwerwiegenden und politisch verheerenden Missverständnis: Denn Humanismus und Aufklärung sind keine exklusiven Kulturgüter des Westens, sondern elementare Bestandteile eines “Weltkulturerbes der Menschheit”!

In diesem Zusammenhang wäre jede westliche Überheblichkeit unangebracht, schließlich verdankt sich der zivilisatorische Aufstieg Europas in der Renaissance-Zeit nicht zuletzt den Impulsen des “muslimischen Kulturkreises”, der das reiche Erbe der Antike pflegte, während im “christlichen Westen” jahrhundertelang alles vernichtet wurde, was im Widerspruch zur Bibel stand.

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Herr Schmidt-Salomon, Sie erwähnten mir gegenüber, die Beschneidung in Deutschland wäre längst verboten worden, wenn sie nur ein muslimisches Ritual gewesen wäre. Wie bringt unsere Gesellschaft Gerechtigkeit in die gesetzliche Regelung von Religionen, Kulten und Bräuchen?

Michael Schmidt-Salomon: Wir müssen dafür sorgen, dass die säkularen Rechtsnormen für alle gelten. Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Achtung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes. So dürfte es beispielsweise nicht länger hingenommen werden, dass Angestellte in katholischen Krankenhäusern oder Altenheimen, die 100prozentig öffentlich finanziert werden, ihre Arbeitsstelle verlieren, bloß weil sie einen geschiedenen Partner heiraten, in einer homosexuellen Beziehung leben oder sich zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch bekennen. Arbeitsverträge, die derart gravierend in die Grundrechte der Angestellten eingreifen, sind “sittenwidrig”, werden aber bislang noch über die Sonderrechte der Religionsgemeinschaften legitimiert.

Kein Wunder, dass die Islamverbände solche Rechte für sich auch sichern möchten. Da wir Muslimen nicht verweigern dürfen, was wir Christen oder Juden zubilligen, stehen wir vor der Alternative, entweder die Privilegien der Islamverbände auf- oder die Privilegien der Kirchen abzurüsten. Ich trete hier entschieden für die zweite Option ein, nämlich für den Abbau religiöser Sonderrechte und die klare Trennung von Staat und Religion! Mit einem konsequenten Laizismus ließen sich bereits viele Ungerechtigkeiten vermeiden. Allerdings reicht Laizismus alleine nicht aus, um die Ausbildung problematischer Parallelgesellschaften zu vermeiden. Aus diesem Grund setzen wir mit der “Kritischen Islamkonferenz” auf das Leitbild der “transkulturellen Gesellschaft”, die das Individuum aus starren kulturellen Normierungen befreit und es dazu befähigt, kulturelle Vielfalt tatsächlich als Bereicherung statt als Bedrohung zu erleben.

Darf ich Sie so verstehen, dass Sie ein sich durch ständigen Austausch und Vermischung wandelndes, multikulturelles Weltbürgertum als einzige Chance sehen, den Clash of Civilizations zu vermeiden?

Michael Schmidt-Salomon: Tatsächlich wäre schon sehr viel gewonnen, wenn wir endlich einsehen würden, dass es “die deutsche Kultur” ebenso wenig gibt wie “die islamische Kultur” und dass es völlig absurd ist, Individuen auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppenidentitäten zu reduzieren. Interessanterweise weisen Islamisten und Anti-Muslimisten in diesem Punkt große Gemeinsamkeiten auf: Beide fokussieren die Gruppe – nicht das Individuum, beide halten zwanghaft an der “Scholle” ihrer jeweiligen Tradition fest und verteidigen ihr angestammtes kulturelles Getto reflexartig gegen das vermeintlich Feindliche des “Fremden” (“die Ungläubigen” hier – “die Muslime” dort). Dieser Denkungsart treten wir mit der Kritischen Islamkonferenz entgegen, indem wir aufzeigen, dass wir allesamt “kulturelle Mischlinge” sind, die von der Erfahrung der “Anderen” enorm profitieren.

Sind Menschen mit ethnischen und religiösen Abgrenzungswünschen nun Angsthasen in der Welt postmoderner Unübersichtlichkeit oder aber heroische Widerständler? Immerhin gehört doch heute Mut dazu, etwa die Existenz Gottes, hierarchische Familienordnungen oder Einwanderungsquoten zu fordern.

Michael Schmidt-Salomon: Das kann man so oder so sehen. Fakt ist aber: Wer es nicht gelernt hat, seine eigenen traditionalen Borniertheiten zu überwinden, fühlt sich einer Welt, in der der Wandel zum Dauerzustand geworden ist, von dem großen Angebot alternativer Lebensstile schnell überrollt. Der aus dieser Überforderung resultierende Hass gegenüber dem “Fremden” ist eine der zentralen Grundlagen des sogenannten “Kampfs der Kulturen”, der von Rechtsextremisten unterschiedlichster Couleur, von Islamisten wie von Anti-Muslimisten, kräftig befeuert wird. Leider hat die offizielle Politik dazu kein Gegenmittel gefunden, sondern durch eine fehlgeleitete Integrationspolitik dazu beigetragen, dass die Individuen auf religiöse oder ethnische Gruppenidentitäten festgenagelt werden, was die Emanzipation des Einzelnen behindert und die Entwicklung von Parallelgesellschaften fördert.

Eine rationale, humanistische Kritik am Islamismus darf nicht mit fremdenfeindlichem Anti-Muslimismus verwechselt werden

Sie sehen eine Analogie zwischen Anders Breivik und den Attentätern von Boston. Diese entziehen sich ja den geheimdienstlich erfassbaren Strömungen eines vernetzten Terrorismus und wachsen völlig isoliert inmitten unseres Alltags heran. Worauf sollten wir also achten, wenn wir derartige Gewaltpotentiale präventiv identifizieren möchten?

Michael Schmidt-Salomon: Solche Attentate werden wir nicht verhindern können – es sei denn, wir würden einen totalen Überwachungsstaat einrichten, der all die Freiheiten untergräbt, die durch ihn geschützt werden sollen. Totale staatliche Kontrolle kann also beim besten Willen nicht die Lösung sein! Wir können als Gesellschaft aber durchaus im Vorfeld einiges dafür tun, dass sich die Individuen nicht so schnell in das Kokon einer zweifelhaften Gruppenidentität einkapseln. So wäre es hilfreich, wenn “Integrationspolitik” künftig vornehmlich als “Emanzipationspolitik” verstanden würde. Schließlich geht es nicht darum, “fremde Kulturen” in eine wie auch immer geartete “deutsche Kultur” zu integrieren, sondern den einzelnen Individuen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Hierzu ist es notwendig, die Sprachkompetenz und Bildung der Betroffenen zu stärken, ihnen zu vermitteln, welche Rechte und Pflichten sie in einem modernen Verfassungsstaat besitzen, und alle Formen von Diskriminierung abzubauen, die in Deutschland noch immer existieren.

Grundsätzlich verfehlt ist es, “kulturelle Identitäten” zu stärken, die die individuelle Emanzipation und das verträgliche Zusammenleben der Menschen eher behindern als fördern. Mit einer solchen Politik spielt man den Gegnern der offenen Gesellschaft, sowohl Islamisten als auch Anti-Muslimisten, in die Hände.