GESAMT-MENSCHENRECHTSREPORT TÜRKEI MAI 2013

Demokratisches Türkeiforum (DTF)

Die folgenden Nachrichten wurden im Mai 2013 vom DTF erfasst (übersetzt). Für externe Links wird keine Verantwortung bezüglich des Inhalts und der Dauerhaftigkeit übernommen.

 Inhaftierte Journalisten

Das unabhängige Kommunikationsnetzwerk BIA veröffentlichte am 3. Mai 2013 seinen Bericht zur Pressefreiheit für die Monate Januar-Februar-März 2012.  Demnach befanden sich im April 2013 69 Journalisten und 30 Verteiler in Haft. Alles sind wegen Verbindungen zu “terroristischen” Organisationen angeklagt. 44 der Journalisten und 29 der Verteiler kommen von den (pro) kurdischen Medien.

Im Berichtszeitraum kam es zu 34 physischen Angriffen auf Mitarbeiter der Medien. Es wurden 32 Bücher beschlagnahmt. Derzeit sind 450 Verfahren wegen Meinungsdelikten bei Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig. Im Berichtszeitraum erkannte der EGMR im Falle von fünf Politikern und neun Publikationen auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit (Artikel 10 der Europäischen Konvention für Menschenrechte) und verurteile die Türkei zur Zahlung von 73.500 Euro Entschädigung.

Zwei Verschwundene identifiziert

Wie das Demokratische Türkeiforum im April 2013 meldete, wurden Grabungen in der Provinz Mardin vorgenommen, wo es um Überreste von Personen ging, die im Jahr 1995 im Kreis Kızıltepe verschwanden. Es wurden 15 menschliche Knochen (von Armen und Beinen) gefunden und zur Gerichtsmedizin in Istanbul geschickt, um zu prüfen, ob sie einer oder mehreren Personen gehören. Nun berichtete Radikal vom 08.05.2013, dass einige Knochen, die schon im Jahre 2008 gefunden wurden, den 1995 in Kızıltepe verschwundenen Brüdern Şemsettin Yalçınkaya und Nejat Yalçınkaya gehören sollen.

Hatice Yaşar verhaftet

Unter der Überschrift Ala Rizgari lideri Yaşar gözaltına alındı (Die Leiterin von Ala Rizgari wurde festgenommen) meldete Radikal vom 9. Mai 2013, dass Hatice Yaşar bei der Einreise in die Türkei festgenommen wurde. Sie sei die Leiterin der nicht mehr existierenden kurdischen Organisation ‘Ala Rizgari’.  Diese Organisation habe sich für den Kampf ohne Waffen entschieden. Nach dem Putsch vom 12. September 1980 sei ein Großteil seiner Mitglieder ins Ausland gegangen. Hatice Yaşar habe sich schon 1979 in Österreich niedergelassen. Hatice Yaşar reiste über den Flughafen in Ankara ein. Ein Gericht ordnete Haft für den Transport an. Es wird erwartet, dass Hatice Yaşar nach Istanbul gebracht wird. Ihr Anwalt Levent Kanat will erfahren haben, dass gegen sie ein Haftbefehl vom 5. Oktober 2012 wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation existiert. In ihrer Akte würden auch Namen führender PKK Funktionäre wie Murat Karayılan, Cemil Bayık, Remzi Kartal, Duran Kalkan und Zübeyir Aydar erwähnt.

Wer ist Hatice Yaşar?

Nach Informationen auf dieser Seite wurde Hatice Yaşar 1951 in der Kreisstadt Haymana bei Ankara geboren. Sie absolvierte die Pädagogische Hochschule Gazi . Vor 1971 war sie innerhalb von Dev-Genç und DDKO in Ankara aktiv. Nach dem Putsch vom 12. März 1971 wurde sie wegen der Mitgliedschaft von Dev-Genç in Ankara angeklagt und war im Militärgefängnis Yıldırım inhaftiert. Sie war die Chefredakteurin der Zeitschrift Rızgari, die ab 1976 herausgegeben wurde. Ab 1978 war sie Chefredakteurin von Ala Rızgari (Flagge der Befreiung). Nach dem Putsch vom September 1980 ging sie mit 150 Freunden aus der Organisation in den Nordirak (das Gebiet, in dem Talabani die Macht innehatte). Mit seiner Hilfe kam sie erst nach Syrien und dann nach Europa.

Hatice Yaşar hat immer wieder Kritik an der PKK geübt. Auf der Internet-Seite von Rizgari stehen einige ihrer Artikel (auch in Deutsch). In der Zeitschrift “Sterka Rızgari” hat sie in der Ausgabe vom Mai-Juni 2002 Details über die Behandlung von weiblichen Militanten in den Reihen der PKK veröffentlicht. . Nach Informationen bei gelawej.net war sie Beraterin von Talabani und hat an der Universität Süleymaniye unterrichtet.

Stimmen zur Verhaftung

Bei Facebook gibt es inzwischen eine Seite Hatice Yasar Serbest Birakilmali (Hatice Yaşar muss freigelassen werden). Dort wurden von vielen Freunden aus der näheren oder weiteren Umgebung Solidaritätsadressen verfasst. Zu ihrem Lebenslauf schrieb Îbrahîm Guçlu ergänzend: “Hatice Yaşar wurde am 18. Januar 1951 in Ankara (Haymana) geboren. An der Pädagogischen Hochschule Gazi studierte sie Französisch. Sie wurde nach dem 12. März (1971) angeklagt und konnte ihr Studium erst nach der Amnestie im Jahre 1974 zu Ende führen. Nach 1980 lebte sie drei Jahre in Südkurdistan. Von hier ging sie erst nach Syrien und dann nach Europa.”

Zu ihrer Verhaftung schreibt er u.a.: “Neben Hatice Yaşar gibt es eine Gruppe von weiteren 40-50 Personen, gegen die ein Haftbefehl ausgestellt wurde. Fast alle kommen aus dem Umfeld von der PKK und KCK. Die ganze Welt aber weiß, dass Hatice Yaşar nicht zu den Funktionären der PKK gehört.”

Auch Taner Akçam meldete sich auf Facebook. Er schrieb u.a.: “Der Haftbefehl gegen Hatice Yaşar klingt wie eine Satire von Aziz Nesin. Sie soll mit Murat Karayılan und anderen führenden Personen der PKK eine geheime Organisation gegründet haben… Man wollte sie eigentlich gleich nach Istanbul bringen, aber eine “unsichtbare Hand” hat das verhindert, so dass sie erst ins Gefängnis von Sincan kam. Eigentlich müsste man sich bei Haco (Hatice) entschuldigen, dass man sie seit 32 Jahren nichts ins Land gelassen hat. Selbst der Staat glaubt nicht an die Komödie, dass sie mit PKK Funktionären eine geheime Organisation gegründet hat. Wenn das kein einfacher Fehler ist, was mag dann dahinter stecken? Wenn sie nicht in kurzer Zeit freigelassen wird, dann müssen wir die Frage diskutieren.”

 Hatice Yaşar wieder frei

Binat vom 10.05.2013 meldete, dass Hatice Yaşar freigelassen wurde. Sie sei am 10. Mai 2013 nach Istanbul gebracht und dort einem Staatsanwalt vorgeführt worden. Er habe ihre Freilassung “aus Mangel an Beweisen” angeordnet.

Ayhan Çarkın nimmt Geständnis zurück

Wie das DTF in dem Sonderbericht Die Geständnisse des Ayhan Çarkın vom 28. Dezember 2011 meldete, hatte Ayhan Çarkın als ehemaliges Mitglied einer Sondereinheit ein umfassendes Geständnis zu Morden seiner Einheit abgelegt. Diese Aussage hat er nach einer Nachricht in Bianet vom 14.05.2013 nun widerrufen. Er machte eine entsprechende Aussage bei einem Richter des nach Artikel 10 des Anti-Terror-Gerichtes geschaffenen Gerichts in Ankara. Dabei behauptete er, sich nun nicht mehr zu erinnern. Er sei drogenabhängig gewesen und habe erst im Gefängnis einen Entzug machen können.

Gleichzeitig meinte er, dass seine Schilderungen zuvor in der Presse gestanden hätten und jedermann das hätte wissen könne. Das Gericht ordnete dennoch die Fortdauer seiner Untersuchungshaft an. Auch die mit ihm inhaftierten Polizisten der Sondereinheit, Ercan Ersoy und Ziya Bandırmalıoğlu verblieben in U-Haft.

 Necati Abay zu langjähriger Haft verurteilt

Wie Bianet vom 22. Mai 2013 meldete, ist der Vertreter der Plattform für Solidarität mit inhaftierten Journalisten (Tutuklu Gazetecilerle Dayanışma Platformu TGDP,) Necati Abay als vermeintliches Mitglied einer terroristischen Organisation zu 11 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. In einer ersten Reaktion sagte der Betroffene: “Es liegen keine Beweise vor. Ich bin aus dem Ermessen der Richter heraus verurteilt worden. Dabei war die Ansicht des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan ausschlaggebend.”

Das Verfahren vor der 12. Kammer für schwere Straftaten in Istanbul endete am 21. Mai 2013. Zuvor hatte die 9. Strafkammer am Kassationshof am 15. Oktober 2012 befunden, dass die erste Strafe vom 4. Mai 2011 gegen Abay mit 18 Jahren Haft zu hoch sei, er aber als Mitglied einer terroristischen Organisation verurteilt werden könne. Am 7. März 2012 hatte Ministerpräsident Erdoğan unter Nennung des Namens von Necati Abay behauptet, dass die TGDP falsche Listen über inhaftierte Journalisten verbreitet. Am 28. Januar 2013 hatten die der AKP nahestehenden Zeitungen Star und Akit mit einem Bild von Necati Abay ihn und die Plattform beschuldigt, “Medien-Terrorismus” zu betreiben.

Necati Abay war als Mitarbeiter der Zeitung Atılım im Jahre 2003 festgenommen. Seitdem lief das Verfahren gegen ihn. Er vertritt die Ansicht, dass sein Beitrag zur Verurteilung des Folterers Sedat Selim Ay, der nun stellvertretender Polizeidirektor in Istanbul ein weiterer Grund für seine Verurteilung war.

Demokratisches Türkeiforum e. V. – Langenhagen 49, 33671 Bielefeld

[1]Eine verkürzte Form des Bericht kann ebenfalls bei Bianet vom 03.05.2013 gefunden werden.

[1]Im April 2012 hatten sich laut Bianet 100 Journalisten und 35 Verteiler im Gefängnis befunden.

[1]Die Namen der beiden Brüder sind in den Listen des Menschenrechtsvereins IHD (siehe eine Liste bei Indymedia) oder auch der Liste von Helmut Obrediek (siehe die englische Seite zu Verschwunden) nicht enthalten. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die Dunkelziffer solcher Ereignisse, DTF

[1]Nach Informationen der Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH), die hier im Internet zu finden sind, wurde die Gruppe Rizgari (Freiheit) 1976 von einer Gruppe kurdischer Intellektueller, darunter auch Hatice Yaşar gegründet. 1978 spaltete sie sich. Die Gruppierung Ala Rizgari (Kurtuluş Bayrağı (t) – Rote Fahne der Befreiung) gab eine gleichnamige Publikation heraus. Hatice Yaşar war die Chefredakteurin