Gehasst und bewundert / Zur Entwicklung des deutschen Türkenbildes

JOSEPH CROITORU

Über das Bild, das man sich seit der Aufklärung in Deutschland von Arabern und Persern machte, liegen mittlerweile umfangreiche Untersuchungen vor. Auf das Türkenbild trifft dies hingegen nicht zu. Dessen Entwicklung versucht nun der türkische Historiker Necmettin Alkan von der Technischen Universität in Trabzon nachzuzeichnen (“Die Wahrnehmung der türkischen Geschichte und der Türken in deutschen Quellen 1745-1845” in: Türkisch-deutsche Beziehungen. Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart, hrsg. von Claus Schönig, Ramazan Çalïk und Hatice Bayraktar, Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2012). Der Autor hat sechs einschlägige Enzyklopädie-Einträge und vierzehn Bücher aus dem genannten Zeitraum untersucht.

Er stellt, vor allem in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts, eine Tendenz zur Versachlichung bei der Darstellung türkischer Geschichte und Sitten fest. Und auch wenn in den zwanziger Jahren in Deutschland durch den griechischen Nationalaufstand alte antitürkische Empfindungen wieder aufkamen, so war eine gänzliche Rückkehr zum überwiegend negativen Türkenbild des vorigen Jahrhunderts nicht mehr möglich.

Das von Alkan angeführte älteste Beispiel, der Eintrag “Türcken” im zwischen 1731 und 1754 entstandenen Zedler-Lexikon, vermischte noch bei der Erläuterung der religiösen Gebote im Islam deutlich Wahrheit und Fiktion. Dem Stereotyp vom triebbetonten Osmanen trug die hier referierte Legende der Beschneidung Rechnung. Dieser zufolge habe Adam, als er im Paradies die “geile Art” seines Glieds “ihm abgemercket” habe, beschlossen, es wegzuschneiden. In dem Augenblick, da er das Messer ansetzte, habe ihn jedoch der Engel Gabriel daran gehindert und ihm befohlen: “Wenn er Gott ja einen gefälligen Dienst mit Todtung und Dämpfung der fleischlichen Begierden erzeigen wolle; so solle er nur das heimliche Glied ein wenig beschneiden.”

Waren um diese Zeit die Berichte über die Herkunft des Türkenvolkes noch von märchenhaften Schilderungen dominiert, wurden sie allmählich von historisch fundierten Erklärungsversuchen abgelöst. Allerdings schrumpfte schon bald das Interesse an der vorislamischen Geschichte der Türken. Sie wurden nun, wie etwa in der “Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste” von 1835, so gut wie ausschließlich mit dem Islam und dem Osmanischen Reich in Verbindung gebracht.

Auffällig konstant blieb eine gewisse Bewunderung für das häufig als edel beschriebene Aussehen der Türken oder auch für ihre wiederholt gerühmte Tapferkeit. Allerdings änderten solch romantisch angehauchte Vorstellungen kaum etwas an dem letztlich herabwürdigenden Ton, mit dem man in deutschen Publikationen den Osmanen begegnete, die in kultureller Hinsicht für primitiv gehalten wurden. So bezeichnete sie Ernst Moritz Arndt in seinem “Geist der Zeit” von 1806 als “ewige Barbaren”, die es aus Europa zu verjagen galt. Der Ruf nach der Befreiung osmanisch besetzter europäischer Gebiete war schon fünf Jahre zuvor in Johann Gottlob Heynigs Polemik “Europa’s Pflicht die Türken wieder nach Asien zu treiben und Griechenland mit dem Occident zu vereinigen” erklungen. Während des griechischen Nationalaufstands wurde diese Forderung immer lauter, und Heynigs Pamphlet, das ebenfalls das Bild von den Türken als kulturlosen Barbaren pflegte, erschien innerhalb weniger Jahre in zwei weiteren Auflagen.

Für die damals aber nach wie vor vorhandene Faszination durch die Türken als “edle Wilde” spricht der Umstand, dass etwa ein Werk wie Wilhelm Kloss’ “Beschreibung der türkischen Völker, ihrer Sitten und Gebräuche” im Jahr 1829 stattliche vier Auflagen erzielen konnte. Hier wurden die Osmanen wohlgemerkt sogar nach philhellenischem Muster idealisiert, so dass nach einer Lobeshymne auf ihre äußere Erscheinung der Verfasser konstatierte, dass sie durch die “vollkommene Harmonie aller Glieder und durch eine seltene Muskelfülle uns ein Ideal der griechischen Form vor die Augen” führe.

Tatsächlich scheinen sich die Deutschen damals bei der Beurteilung der Türken so sehr polarisiert zu haben, dass der Militärhistoriker Ernst von Skork in seinem ebenfalls 1829 erschienenem Werk “Das Volk und Reich der Osmanen: in besonderer Darstellung ihrer Kriegsverfassung und Kriegswesens” leicht zwei gegensätzliche Lager der “Lobredner” und der “Verdammer” ausmachen konnte.

Dass die Osmanen ein Fremdkörper innerhalb Europas waren und dass ihr Reich sich im Niedergang befand, darüber herrschte nur anderthalb Jahrzehnte später bereits Übereinstimmung. Noch spielten die Türken eine Rolle auf dem Welttheater, vermerkte 1846 Johann Georg Krünitz’ “Oeconomische Encyclopädie”. Aber es habe bereits der “letzte Akt” im historischen Drama ihres Reiches begonnen, das seinem “Untergange allmählich entgegenreift, wenn nicht in Zukunft eine gewaltsame Umgestaltung der Dinge ein neues kräftigeres Leben in den nach und nach absterbenden Organismus dieses Volks bringt”.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.11.2012, Nr. 272, S. N4