EZIDEN IN DEUTSCHLAND & DER BESUCH ERDOGANS IN BERLIN

 

An: RAMAN; YEK-KOM; Die Kurden.de; NAVEND: Zentrum für kurdische Studien; YXK, Kurdische Studentenvereinigung; CENI, Kurdische Frauenbüro für Frieden; ISKU Informationsstelle Kurdistan & MESOP

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten mit der in der Anlage beigefügten Stellungnahme ezidischer Vereine und Organisationen auf einen politischen Vorgang aufmerksam machen, der von den kurdischen Instituten und Organisationen verurteilt werden sollte. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat während einer Rede vor Anhängern die Eziden und deren Religion in höchstem Maße diffamiert. Dies verdeutlicht unseres Erachtens nur ein Symptom, dass nämlich religiöse Minderheiten in der Türkei in den letzten Jahren verstärkt weder Religionsfreiheit noch Minderheitenschutz in Anspruch nehmen konnten. Die Gewährung von Religionsfreiheit und der Schutz für Minderheiten sind aber gerade elementare Voraussetzung für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Besorgnis erregend sind diese Äußerungen, weil sie von einem führenden Repräsentanten des türkischen Staates stammen. Wir finden, dass gerade auch die kurdischen Vereinigungen auf diese Mißstände aufmerksam gemacht werden sollten, damit solche verbale Entgleisungen von der Öffentlichkeit verurteilt werden.

Wir möchten Euch bitten, den nun folgenden Text als Rundmail an Eure Mitglieder weiter zu leiten bzw. über Eure Homepage auf unsere Stellungnahme hinzuweisen.

Dr. Sefik Tagay – Gesellschaft Ezidischer Akademiker (GEA)

Today is tomorrow. Heute ist morgen. Îro sibê. Bugün yarin. Aujourd’hui, c’est demain.

Stellungnahme zu den jüngsten Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten, R. T. Erdogan, gegen Eziden (Yeziden, Jesiden)

Die unterzeichnenden ezidischen Vereine sind zutiefst besorgt und zugleich entsetzt angesichts der jüngsten Äußerungen, die der türkische Ministerpräsident Erdogan am 21.10.2012 im Rahmen einer Flughafeneröffnung in der türkischen Stadt Elazig getätigt hat. Unter dem frenetischen Beifall zahlreicher Anhänger bezeichnete Erdogan die in der Türkei lebenden Eziden als „Terroristen“, die es zu erblinden gelte, als „Ungläubige“ und „Gottlose“. Erdogan nahm Bezug auf eine internationale Eziden-Konferenz, die am 17. und 18.10.2012 in Diyarbakir, nicht unweit von Elazig, durchgeführt wurde. Die Konferenz sollte dazu dienen, immer noch bestehenden Ressentiments gegenüber den Eziden und der ezidischen Religion in der Türkei Einhalt zu gebieten und Perspektiven eines ezidischen religiösen Lebens in der Türkei aufzuzeigen. Denn heutzutage leben kaum mehr Eziden in der Türkei. Die meisten von ihnen mussten vor allem in den 1980er Jahren ihre Heimat aufgrund anhaltender religiöser Verfolgung verlassen. In Deutschland leben derzeit schätzungsweise 80.000 Eziden. In den letzten Jahren haben gleichwohl vor allem Eziden der älteren Generation den Wunsch geäußert, in ihre Ursprungsheimat zurückzukehren.

Erdogans Äußerungen sind, gerade weil sie von einem führenden Repräsentanten des türkischen Staates stammen, aus mehrfachen Gründen unverantwortlich, inakzeptabel und scharf zu verurteilen:

1. Sie sind dazu geeignet, Hass und Misstrauen zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften in der Türkei zu säen, obwohl es das Bestreben der Türkei sein sollte, die religiöse Vielfalt als ein bestehendes Faktum nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu hegen und zu pflegen.

2. Sie verstärken bestehende Vorurteile gegenüber einer religiösen Minderheit und apostrophieren durch die brachiale Wortwahl Eziden zu gesellschaftlichen Außenseitern.

3. Sie sind – und das zeigen andere Beispiele aus dem Nahen und Mittleren Osten – geeignet, Gewalt gegen Eziden zu legitimieren, weil sie als Terroristen und Ungläubige bezeichnet und damit gleichsam als Vogelfreie gebrandmarkt werden.

Die Geschichte lehrt uns immer wieder, dass führende Repräsentanten eines Staates durch solche diffamierenden und dehumanisierenden Reden sehr viel Unheil zwischen verschiedenen Völkern und Religionsgemeinschaften stiften. Sie spalten und sorgen so für Intoleranz und Vorurteile, die oft in Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung münden. Vor diesem Hintergrund werden Eziden seit Jahrhunderten aufgrund weitverbreiteter Vorurteile, Ressentiments und Klischees in islamischen Ländern verfolgt und unterdrückt.

Erdogan schürt mit seiner ezidenfeindlichen Rede weitere Spannungen zwischen Eziden und Muslimen.

Die Unterzeichner verweisen in diesem Kontext auf die Beitrittsbemühungen der Türkei. Religionsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil der europäischen Werteordnung. Wenn aber führende Repräsentanten eines Gemeinwesens Religionsfreiheit als Exklusivrecht der Mehrheitsreligion sehen, ist der Minderheitenschutz akut gefährdet. Auf diese Weise wird von der Staatsspitze wohlkalkulierte Exklusion betrieben, wo gesellschaftliche Integration geboten wäre. Zudem macht sich der türkische Ministerpräsident unglaubwürdig, wenn er bei anderer Gelegenheit im Rahmen von Beitrittsverhandlungen mit der EU Frieden, Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit in der Türkei propagiert.

In seiner Rede dehumanisiert, diffamiert und dämonisiert Erdogan die Eziden in aller Welt. Die Unterzeichner appellieren an die demokratische Öffentlichkeit, so etwas nicht hinzunehmen. Die Unterzeichner wünschen sich ein friedliches, tolerantes und solidarisches Zusammenleben aller Völker und Religionsgemeinschaften.

Die Unterzeichner

E-ZI-DI – Yezidischer Verein in Ostfriesland e.V. (Leer)

Ezidische Gemeinde Hessen e.V. (Gießen)

Ezidische Jugend e.V.

Ezidischer Kulturverein Augsburg e.V.

Ezidischer Kulturverein Heidekreis e.V.

Ezidischer Rat in Bielefeld und Umgebung e.V.

Ezidisches Kultur- Zentrum in Celle und Umgebung e.V. (Celle)

Föderation der Ezidischen Vereine e.V.

Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen (GEA)

Kaniya sipi e.V. (Bielefeld)

Lalish Zentrum für Ezidische Kultur in Deutschland e.V. (Bielefeld)

Mala Ezidiya Berlin e.V. (Ezidische Gemeinde Berlin)

Mala Ezidiya Nienburg (Ezidische Gemeinde Nienburg)

Mala Ezidiya Sulingen (Ezidische Gemeinde Sulingen)

Mala Ezidiya Wesel (Ezidische Gemeinde Wesel)

Verein der Eziden am unteren Niederrhein e.V. (Kalkar)

Verein der Eziden am unteren Niederrhein e.V. (Kleve)

Vereinigung der Eziden in Siegen

Yezidi-European-Society (YES) e.V.

Yezidische Gemeinde OWL e.V. (Bielefeld)

Yezidisches Forum e.V. (Oldenburg)

Zentralrat der Yeziden in Deutschland

Gesellschaft Ezidischer Akademikern (GEA)

Essen, den 28.10.2012