Entwarnung! Alles gut mit dem Islam in Deutschland / Henryk M. Broder

MESOP WARNUNG !

Wir sollen muslimische Feiertage einführen – aber uns nicht vor einer Islamisierung fürchten? Ob sie droht, ist keine Frage der Quantität, sondern der Einstellung der Mehrheitsgesellschaft.Vor beinahe elf Jahren, im Februar 2004, gab es im Lübecker Theater eine Diskussion im Vorfeld der Bewerbung der Stadt zur Kulturhauptstadt Europas. Mit dabei auch “ein leibhaftiger Nobelpreisträger”, der kurz zuvor einen Vorschlag unterbreitet hatte: “Man möge doch eine Lübecker Kirche zur Moschee umwidmen.”

Es war Günter Grass, die “Lübecker Ein-Mann-Lichterkette”, der “wieder einmal den G-Punkt einer Klientel stimuliert hatte, die im Bestreben, nicht intolerant zu scheinen, einen Masochismus pflegt, der der Selbstaufgabe nahekommt”, schrieb damals Gunther Latsch im “Spiegel”. Er war nicht der Einzige, der von der Idee wenig angetan war. “Zu provokativ”, befand die damalige Bischöfin von Holstein-Lübeck, Bärbel Wartenberg-Potter. “Man könnte ja das Günter-Grass-Haus zur Moschee machen”, meinte der Vorsitzende der Nordelbischen Kirche, Bischof Hans Christian Knuth.

Neun Monate später, im November 2004, sagte der Grüne Hans-Christian Ströbele, er befürworte die Einführung eines “gesetzlichen Feiertages” für die in Deutschland lebenden Muslime. Im Gegenzug könnte “einer der vielen christlichen Feiertage” abgeschafft werden. Fünf Jahre später tischte Ströbele den Vorschlag wieder auf. “Ein gesetzlicher Feiertag wäre ein gutes Zeichen, dass wir den Islam als Weltreligion ernst nehmen.” Außerdem könnten Muslime ihre Nachbarn zum gemeinsamen Feiern einladen. Ströbeles Anregung verhallte unerhört.

Wolfgang Schäuble in der Moschee

Weitere fünf Jahre und zahllose Debatten weiter stellt sich die Lage ganz anders dar. Trotz der Blutbäder in Syrien und im Irak, trotz des Aufstiegs des Islamischen Staates und der Ausrufung eines Kalifats, trotz der zahllosen Anschläge und Selbstmordattentate, die im Namen Allahs und seines Propheten begangen werden, trotz aller Umtriebe einheimischer Salafisten, die ihre Verachtung für die “Ungläubigen” ganz ungeniert ausleben, trotz alldem nimmt die Bereitschaft, sich mit dem Islam zu arrangieren, nicht ab, sondern zu. Oder gerade deswegen.

Kein Mensch würde es heute riskieren, den Islamverstehern einen “Masochismus” zu attestieren, der einer Selbstaufgabe nahekommt. Es wird penibel zwischen Islam und Islamismus differenziert, als ob das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun hätte. “Wovor sich die Menschen zu Recht fürchten, ist nicht der Islam, sondern der islamistische Terror”, sagt Wolfgang Schäuble. Woher will der Finanzminister das wissen? Hat er bei Allensbach eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben? Oder gar selbst in Neukölln recherchiert? Wie viele Moscheen hat er besucht, um beurteilen zu können, welche dem Islam dienen und welche den Islamismus propagieren?

Derweil bringt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Idee eines muslimischen Feiertages wieder ins Gespräch. Man denke darüber nach, das Feiertagsgesetz zu ändern, um “islamische Feste als religiöse Feiertage” anerkennen zu können. Zugleich überbieten sich Politiker aller Parteien darin, dem leicht irritierten Volk zu versichern, eine “Islamisierung” finde nicht statt. Es ist, als würden Meteorologen angesichts eines heraufziehenden Gewitters den Leuten raten, ihre Regenmäntel daheim zu lassen.

Warum haben wir keine “Asien-Konferenz”?

Die Frage ist: Wie definiert man “Islamisierung”? Natürlich wird der Sonntag nicht auf den Freitag verlegt. In den Kantinen der Bundeswehr wird nicht halal gekocht. Der Kölner Dom bleibt ein katholisches Gotteshaus. Die Herstellung und der Konsum alkoholischer Getränke werden nicht verboten. Hopfen und Malz dürfen weiter angebaut, Schweine gezüchtet werden. Alles bleibt, wie es ist. Beinahe.

Die “schleichende Landnahme”, die der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky beschreibt, findet nicht nur in den Schulen und auf den Straßen der “Problemviertel” statt. Seit über 13 Jahren, genauer: seit dem 11. September 2001, wird der öffentliche Diskurs zu einem erheblichen Teil von einem Thema und seinen vielen Facetten dominiert. Vorbei die Zeiten, da über Dosenpfand, Eigenheimzulage und Pendlerpauschale debattiert wurde.

Heute geht es um die Mängel “unserer Willkommenskultur”, um Ehrenmorde und Intensivtäter, um das Kopftuch im Unterricht und die Burka im Supermarkt, um die Befreiung von Klassenfahrten und Sportunterricht, um Gebetsräume in Schulen, um “kultursensible Pflege” in Kliniken, um die Grenzen der Meinungsfreiheit, um Respekt vor religiösen Gefühlen.

Eine weitgehend säkulare Gesellschaft, in der sogar die Kirchen das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat bejahen und die Intellektuellen nach wie vor der Ansicht sind, Religionen seien “Opium fürs Volk”, hat ihr Herz für das Religiöse entdeckt, allerdings nur für ein Angebot aus dem großen Supermarkt der Religionen – und zwar ausgerechnet das Angebot, das seine Präsenz im öffentlichen Diskurs der Gewaltbereitschaft verdankt, mit der es immer wieder Respekt einfordert. Dies festzustellen, gilt bereits als “islamophob”, ungeachtet der Tatsache, dass es eben keine “Asien-Konferenz” beim Innenminister gibt und der “Migrationshintergrund” der Japaner, die in Düsseldorf leben, nicht einmal wahrgenommen wird.

   Ab wann könnte man denn in Sachsen von der Gefahr einer Islamisierung sprechen? Ab 40.000, also einem Prozent? Oder müssten es schon zehn Prozent sein?

Aber in Sachsen gehen die Uhren anders. Da seien Demonstrationen gegen die Islamisierung sinnlos, denn in dem Freistaat, so heißt es immer, würden nur 4000 Muslime leben, gerade mal ein Promille der Bevölkerung. Diese Argumentation ist, ohne dass es ihren Protagonisten bewusst wäre, wohlwollend rassistisch. Sie unterstellt, dass es auf die Menge ankommt. Ab wann könnte man denn von der Gefahr einer Islamisierung sprechen? Ab 40.000, also einem Prozent? Oder müssten es schon zehn Prozent sein?

Dabei kommt es auf die Zahl, wenn überhaupt, zuletzt an. Entscheidend ist nicht einmal das Verhalten der Minderheit, sondern die Haltung der Mehrheitsgesellschaft. Wenn über die Umwidmung von Kirchen in Moscheen geredet wird, wenn Weihnachtsmärkte in Wintermärkte umbenannt werden, wenn ahnungslose Ignoranten sich dafür starkmachen, dass in den Weihnachtsgottesdiensten muslimische Lieder gesungen werden, wenn die Generalsekretärin der SPD den Begriff “Islamischer Staat” mit einem Bann belegen möchte, weil er die Ehre der Muslime verletzt (der Begriff und nicht das, was der Islamische Staat anstellt), dann kann von der Gefahr einer Islamisierung nicht die Rede sein, dann ist sie bereits in vollem Gange.

Natürlich braucht Deutschland Zuwanderung. Natürlich müssen Flüchtlinge aufgenommen werden. Natürlich kann eine Nation, die von der Globalisierung profitiert, sich nicht von der Welt abschotten. Das sind alles Binsen, so selbstverständlich, dass nur noch über das Wie geredet werden muss.

Wenn sich aber eine nationale Einheitsfront formiert, in der die christlichen Kirchen, der Zentralrat der Juden, die Gewerkschaften, das Handwerk, die Arbeitgeber und die üblichen Verdächtigen aus dem Kulturbetrieb Seit an Seit marschieren und alle, die an dieser Prozession nicht teilnehmen wollen, zu Dumpfbacken, Nationalisten, Rassisten, Nazis und einer “Schande für Deutschland” erklärt werden, dann stimmt irgendetwas nicht mit der gelebten Demokratie in unserem Land.

Der Evangelist Matthäus würde Amok laufen

Dann sind wir nicht auf dem Wege in eine neue DDR, sondern bereits mittendrin. Dann werden wieder Sündenböcke gebraucht und gebrandmarkt. Wobei es nicht um das Wohl der Flüchtlinge und Zuwanderer geht, sondern darum, ein Gesellschaftsmodell zu retten, das sich als dysfunktional erwiesen hat. Eine Politik des “Weiter-so!”, des “Augen zu und durch!” des “Uns geht es ja noch gut!”

Möglicherweise ist, wie bei den beiden anderen großen Projekten, dem Euro und der Energiewende und einigen kleineren wie dem Berliner Flughafen, der Point of no Return bereits überschritten. Und weil man nicht zurückkann, muss man weiter machen, koste es, was es wolle. Denn ein U-Turn wäre noch teurer und mit dem Eingeständnis verbunden, dass man sich geirrt hat.

Also wird rumgeeiert. Kurz vor Heiligabend gab der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, ein Interview, in dem er auf die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, antwortete: “Ich kann mir nicht vorstellen, zu sagen: Die Muslime gehören zu Deutschland, aber ihre Religion nicht.”

Nach einer solchen Antwort wäre Matthäus (“Eure Rede aber sei: Ja, ja, nein, nein. Was drüber ist, das ist von Übel”) Amok gelaufen und hätte den Bischof seines Amtes enthoben. Weil aber kein Evangelist eingriff, machte der EKD-Vorsitzende weiter. Er verurteilte die Verbrechen des IS, verwies aber zugleich auf das Gebot der Feindesliebe: “Wenn ein IS-Kämpfer von einer Granate zerfetzt wird, dann ist das Anlass zur Trauer, weil ein Mensch gestorben ist.”

Amen.

http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article135806015/Entwarnung-Alles-gut-mit-dem-Islam-in-Deutschland.html