“DIVERSITÄT” IST DIE HERRSCHAFTSPAROLE DAFÜR – „VIELFALT“ ZUM VERSCHWINDEN ZU BRINGEN !   DAS „NICHTIDENTISCHE“ WIRD DIFFAMIERT ALS QUERDENKEN

Noch feindseliger geht nicht – Der Fall Monika Maron und das alternativlose deutsche Meinungsklima

Deutschland scheint sich eingerichtet zu haben zwischen links oder rechts, Gut oder Böse. «Umstritten» heisst das Zauberwort, mit dem ein konstruktiver Dialog erstaunlich erfolgreich verhindert werden kann. Weshalb der Fischer-Verlag mit dem Rausschmiss einer grossen Autorin einen Fehler gemacht hat.

Claudia Schwartz NEUE ZÜRCHER ZEITUNG –  2. Dez 020 – Wann hat die Stimmung in Deutschland derart umgeschlagen? Ausgerechnet in diesem Land, das ich gerade wegen seiner Debattenkultur so schätzte. Weil hier jeder Einwand – ja: auch gerne bis zum Exzess – diskutiert wurde.

Erschien eine Ansicht auch noch so überdreht, es wurde hart, oft polemisch, aber immer produktiv und mit dem nötigen Respekt für den Andersdenkenden miteinander geredet. Weil es in Deutschland historisch gute Gründe gibt, den Leuten den Mund nicht zu verbieten.

Lange ist’s her. Oskar Roehler hat im Roman «Selbstverfickung» den Wetterumschwung ziemlich präzise vorausgesagt, als er vor drei Jahren seinen Protagonisten aus unruhigen Träumen erwachen und in kafkaesker Lakonik feststellen liess, «dass er nicht mehr linksliberal war». Was in dieser Gesellschaft «schlimmer» sei, als sich «in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt zu haben».

Tatsächlich hat sich, was deutsche Diskussionskultur einmal ausmachte, zusehends in einem von moralischer Belehrung, Hypersensibilität und ideologischem Machtkampf geschwängerten Meinungsklima auseinanderdividiert. Ein Land scheint sich alternativlos eingerichtet zu haben zwischen links oder rechts, Gut oder Böse.

Der Fischer-Verlag und die höhere Moral

Mit dem kürzlich erfolgten Rausschmiss der Schriftstellerin Monika Maron aus dem Fischer-Verlag nach vierzig Jahren Zusammenarbeit ist eine neue Dimension erreicht. Dieselben Medien, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit darüber empörten, dass Angela Merkel in ihrem Büro wegen der politischen Haltung Emil Noldes in der NS-Zeit auf ein Bild des Expressionisten verzichtet, zeigen viel Verständnis für den Verlag, der sich wegen offensichtlicher politischer Meinungsverschiedenheiten nach gemeinsamen Jahrzehnten menschlich anmassend und intellektuell armselig von seiner Autorin trennt.

Womit Fischer sich selber von jener Tradition des Hauses weit entfernt, die man als (fadenscheinige) Begründung für diese Trennung erst anführt: nämlich die Werte eines im Nationalsozialismus drangsalierten Verlages, dessen jüdische Eigentümerfamilie ins Exil gedrängt wurde. Genauso gut könnte man nun die höhere Moral im Hinweis auf die Biografie Marons anführen: Wäre nicht schon der Umstand allein, dass Maron 1981 ihr Romandebüt bei Fischer im Westen herausbrachte, weil die DDR-Zensur mit der Gesellschaftskritik in «Flugasche» ihre Probleme hatte, ein Grund für das Festhalten an der deutschen Schriftstellerin gewesen?

Der Verlag aber konnte (oder wollte) sich erklärtermassen nicht arrangieren damit, dass Maron ein paar zerstreut publizierte Essays einer befreundeten Dresdner Buchhändlerin zur Verfügung gestellt hatte, wobei diese die Texte in einer Buchreihe unter dem Namen «Exil» herausgab und ausserdem mit Götz Kubitscheks sehr rechtslastigem Verlag Antaios zusammenarbeitet. Natürlich sind das Rahmenbedingungen, über die man gerade im Fall einer so prominenten Schriftstellerin in Deutschland diskutieren soll. Weil das schnell in jene Richtung driftet, wo prominente AfD-Mitglieder Geschichtsklitterung gerne mit der Pose des eigenen Opferdaseins wegen angeblicher gesellschaftlicher Ausgrenzung verbinden.

Gespaltenes Land

Ist ein solcher Fehler – Maron hat sich von dem Label «Exil» distanziert – Grund genug für einen Eklat? Zumal dieser geeignet ist, das Ansehen einer Schriftstellerin zu zerstören, deren politische Aussagen manchen ein Dorn im Auge sind?

Wenn der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in seiner Analyse über «Das gespaltene Land» Deutschland die Diagnose eines zunehmend feindseligeren gesellschaftlichen Klimas ausstellt, dann haben wir mit dem vorliegenden Fall ein schlagendes Beispiel. Laut Maaz ist ein probates Mittel in diesem Meinungskampf, dass politische Korrektheit nicht mehr als Kompass für sozialen Respekt dient, sondern vielmehr eingesetzt wird als Zwangsmassnahme gegen unliebsame Positionen.

Zwar betont der Fischer-Verlag, das Ganze habe keinesfalls mit den «persönlichen Ansichten und Meinungsäusserungen» von Maron zu tun. Aber wie bitte will der Verlag «persönliche Ansichten» einer Autorin von ihrem im eigenen Hause aufgelegten Werk trennen? Ein Schelm, wer dabei Böses denkt, hat sich doch Maron in den vergangenen Jahren deutlich gegen den Meinungsstrom zu Wort gemeldet – etwa mit ihrer Kritik am Gender-Sprech oder mit dem expliziten Zweifel, ob eine so grosse Einwanderung, wie Deutschland sie 2015 erlebte, überhaupt verkraftbar zu gestalten sei. Mit solchen Gedanken provozieren auch ihre beiden jüngsten Werke «Munin oder Chaos im Kopf» (2018) und «Artur Lanz», was zu angeblich unüberwindbaren Differenzen zwischen Autorin und Verlag geführt hat.

Wer als «umstritten» gilt

Wahr ist, dass der Fischer-Verlag Maron hier indirekt zur Unperson erklärt, zu einer Schriftstellerin mit fragwürdigem Charakter gemacht hat und eine Stimmung gegen die Autorin entfacht, die sie nun ins Reich der «Umstrittenen» verweist. So nämlich, mit dem Attribut der «umstrittenen Autorin», überschrieben die Medien fast einhellig ihre Kommentare nach Bekanntwerden des Rauswurfs.

«Umstritten» aber heisst – absurderweise – das Zauberwort, mit dem ein konstruktiver Dialog in Deutschland mittlerweile erstaunlich erfolgreich verhindert werden kann. Und: Wer oder was erst einmal mit dem Stempel «umstritten» versehen ist, muss nach der einhelligen Mehrheit weg. Im Jahr 2020 hat dieser Versuch gesellschaftlicher Ausgrenzung bereits einige prominente Dichter und Denker eingeholt wie Lisa Eckhart, Thilo Sarrazin, Dieter Nuhr.

Unter diesem Aspekt war in der Debatte um Monika Maron dann auch erstaunlich wenig vom Selbstverständnis der in der DDR sozialisierten Autorin die Rede. Dabei war ihr Leitthema immer die «geistige Unabhängigkeit» im Schreiben wie im Leben. Sie äusserte sich immer wieder gegen Disziplinierungs- und Massregelungsversuche, gegen «Duckmäuserei und Versorgungsdenken» der eigenen Berufsgattung. Dass Maron sich von einer Freundin distanzieren würde, nur weil ihr Verlag das fordert, war also wirklich nicht zu erwarten. Man hätte sich im Gegenteil fragen müssen, was mit dieser widerständigen Autorin los sei, hätte sie sich derart kujonieren lassen.

Vergessen zu gehen scheint in diesem Streit auch, dass nicht die Widerlegung «das erste Ziel des Miteinander-Redens, sondern das Erkennen des Andern in seiner Andersartigkeit, vielleicht auch Fremdheit» wäre, wie es der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen formuliert, der mit dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun ein Buch verfasst hat über «Die Kunst des Miteinander-Redens». Es scheint diesbezüglich kein Zufall zu sein, dass Deutschland gerade zum bevorzugten Terrain für Seelenklempner avanciert. Bücher mit Titeln wie «DIALOG statt Spaltung! Verantwortungsbewusst kommunizieren und Brücken bauen in unserer Gesellschaft» (von Patrick Nini) oder «Kurzschlusspolitik. Wie permanente Empörung unsere Demokratie zerstört» (von Henrik Müller) empfehlen sich schon einmal als passendes Geschenk fürs Friedensfest.

Mittlerweile geht es so weit, dass eine Mehrheit der Deutschen zumindest in Umfragen angibt, lieber mit der eigenen Meinung zurückzuhalten, als offen zu sagen, was sie denkt. Diese Erfahrung unserer Gegenwart, in der «es Mut braucht, um die eigenen Bedenken, Sorgen und Bedrohungsgefühle öffentlich zu äussern, ohne dafür abgestraft zu werden», hält Hans-Joachim Maaz übrigens «für ein ernstes Zeichen von Demokratieverlust».

«Was ist passiert?»

Wieso Maron denn angeblich so «umstritten» sei, hat bisher übrigens auch keiner erklärt. Sie ist mir in all den Jahren weniger als umstrittene denn als streitbare Autorin aufgefallen, die ihre Meinung sagt, auch wenn es dem DDR-System, oder heute eben: dem Mainstream nicht passt.

Indem Fischer sich von Maron trennte, hat der Verlag vielleicht den Streit beigelegt, nicht aber den Konflikt beendet, was sich noch einmal deutlich gezeigt hat, nachdem Maron beim Verlag Hoffmann und Campe Aufnahme gefunden hatte. In einem Interview mit der «Welt» nach ihrem Befinden befragt, verweist Maron sichtlich erfreut auf den dort verlegten Schriftsteller Heinrich Heine. Schon bläst ihr der nächste eisige Wind entgegen in der Frage, ob sie sich denn jetzt mit dem Schriftsteller im Exil vergleichen wolle. Nein, will sie nicht und erwähnt deshalb ihre bereits 1989 in der Zeitschrift «DU» formulierte Liebeserklärung an Heine. «Sie freuen sich, dass Sie dokumentieren können, dass Sie schon 1988/1989 Ihrer Liebe zu Heine Ausdruck verliehen haben», entgegnet daraufhin die Redaktorin. Und: «Heine, Zensur, Exil, Anti-Ressentiment – wieso stellen Sie dann jetzt, bei der Bekanntgabe des Verlagswechsels, diesen Zusammenhang her?»

Kann die Geringschätzung eines Gegenübers und seines Arguments überhaupt noch grösser sein? Wer so fragt, der hat jedenfalls kein Interesse an einem ernsthaften Austausch auf Augenhöhe, sondern will Vorurteile befestigen. Im besagten Gespräch sah sich Maron darüber hinaus genötigt, zu betonen, dass sie selber aus einer polnisch-jüdischen Familie stamme. Und auf ihre Aussage, wenn «wir schon in den Parlamenten keine wirkliche Opposition mehr haben, muss es sie doch gesellschaftlich geben», wird ihr unterstellt, dass das nun gerade so klinge, «als ob Sie Deutschland heute mit der DDR vergleichen wollten».

Abgesehen von der Würdelosigkeit solchen Umgangs steht damit eine Gesellschaftskritik Marons krass verdreht da. Die Schriftstellerin hatte zum 30-Jahre-Jubiläum des Mauerfalls in der NZZ geschrieben, dass es ihr fernliege, die BRD mit der DDR zu vergleichen, dass aber die schwindende Meinungsfreiheit sie schon auch an die einstigen Repressionen erinnere.

Monika Maron ist keine Angepasste. Dass unsere Zeit sich der Meinungsdiktatur des Mainstream unterwirft, davon handelt «Artur Lanz». In der Erzählung geht es im Grunde um die Frage, weshalb es keine Helden mehr gibt beziehungsweise wer es heute eigentlich noch zum Helden bringen könnte. Zum Beispiel jene, die noch auszusprechen wagen, was sie denken? Zu ihnen zählt gewiss Monika Maron. Bitter ist, dass im Streit mit dem Fischer-Verlag sich der Kreis in einem widerständigen Schriftstellerinnenleben entlang der deutsch-deutschen Geschichte hier ungut schliesst.

«Was ist passiert in diesen 30 Jahren der Einheit, dass Lebensläufe nicht mehr ankommen wollen und Biografien wieder verloren gehen mitten in unserem Land», gibt angesichts des Falls Fischer – Maron der Publizist Johann Michael Möller zu bedenken. Gute Frage.