DIE NEUE DEMOKRATISCHE BASISPARTEI “GEZI” : „Erdogan hat Angst vor uns“

Handelsblatt 25-11-2013 – Anhänger der Gezi-Park-Bewegung haben in der Türkei eine Partei gegründet. Im Interview spricht ihr Vizechef Erhan Imrak über die Ziele der Bewegung, die Forderung nach einem neuen politischen System und Geldprobleme.

Herr Imrak, was für eine Partei ist die neue Gezi-Partisi?

Erhan Imrak: Wir verstehen uns als Dachorganisation für Menschen unterschiedlicher politischer und sozialer Richtungen und verschiedener Religionen: Sozialisten, Muslime, Lesben, Homophobe und Christen arbeiten bei uns zusammen. Uns verbindet, dass wir für Menschenrechte, Demokratie, Meinungsfreiheit und gegen die aktuelle türkische Regierung kämpfen. Unser Anführer ist kein Vorsitzender, wie man ihn von anderen Parteien kennt. Alle Mitglieder haben bei uns gleich viel zu sagen. Egal, ob sie Präsident, Vize-Präsident oder normales Mitglied sind. Das ist für uns Demokratie.

Kann eine Partei funktionieren, in der Menschen mit so unterschiedlichen Idealen und Denkweisen zusammenarbeiten?

Auf jeden Fall. Jeder von uns will versuchen, seine politische Richtung hinten an zu stellen und helfen, die Türkei zu einem besseren Land zu machen. Natürlich gibt es bei uns Konflikte, aber das ist doch das Gute: Nur, wenn wir streiten und diskutieren, kommen wir auf neue Ideen, die uns voranbringen. Wir können ein Vorbild für Regierungskritiker in anderen Ländern sein. Viele Staaten haben horrende Schulden gemacht, schauen Sie nur nach Europa oder in die USA. Politische Systeme auf der ganzen Welt funktionieren nicht richtig oder brechen sogar zusammen, das haben wir im Arabischen Frühling gesehen. Wir als Gezi-Partisi glauben, dass ein Volk selbst entscheiden muss, wohin sich sein Land entwickelt. Das ist keine Entscheidung, die eine Regierung alleine treffen kann.

Was genau soll sich denn in der Türkei ändern?

Wir wollen, dass die Türkei demokratischer wird. Jeder soll sagen dürfen, was er denkt, ohne dafür bestraft oder unterdrückt zu werden. Das ist unser erstes Ziel.

Wie hat die Regierung unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan auf Ihre Partei reagiert?

Ich glaube, dass Erdogan vor der Gezi-Park-Bewegung Angst hat. Das hat schon das Polizeiaufgebot gezeigt, mit dem er sie unterdrücken wollte. Uns als Partei unterschätzt er aber, weil wir noch nicht so viele Mitglieder haben. Bisher gab es eher kleine Angriffe – vermutlich kamen sie von der Regierung: Man hat versucht, unseren Facebook-Account zu knacken und unsere Mailkonten wurden gehackt. Vielleicht wird es noch ein halbes Jahr dauern, aber schon bald werden wir genug Mitglieder haben, um eine echte Gefahr für die Regierung zu werden.

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