DIE AKTUELLE SPALTUNG IN DER TÜRKISCHEN COMMUNITY IN DEUTSCHLAND

Die Proteste in der Türkei spalten die Gesellschaft in zwei gegensätzliche Lager. Diese politischen Grabenkämpfe lassen die Türken in Deutschland nicht unberührt. Auch in der Bundesrepublik wird der Ton unter den Türken immer schärfer. Das zeigt sich besonders an der jüngst wachsenden Kritik an der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. (TGD) und dessen Vorsitzenden Kenan Kolat.

Anfang Juni kritisierte Kenan Kolat in einem Gespräch mit der WELT  den harten Durchgriff Erdogans mit den Demonstranten. Er warf der Regierung versagen vor und bezeichnete den übermäßigen Polizeieinsatz als eine »faschistoide Herangehensweise«. Seine klaren und offenen Worte nahmen die Medienvertreter gerne an. So erklärte Kolat am 17. Juni im ARD Morgenmagazin , dass die Jugendbewegung rund um den Gezi-Park gegen eine Willkürherrschaft kämpfe. Diese öffentlichen Äußerungen des Vorsitzenden der TGD sorgen indes für großen Unmut innerhalb der türkischen Community in Deutschland. »Die TGD spricht nicht für mich«, heißt eine Parole, die sich seit einigen Tagen in den Social-Media-Plattformen verbreitet.

Der universelle Vertretungsanspruch der TGD stößt damit auf extremen Gegenwind. In ihrer Selbstbeschreibung definiert sich der Verein als eine Einrichtung zur Wahrnehmung der Belange und Interessen der Deutschland-Türken. Kenan Kolat ist seit 2005 dessen Vorsitzender und dient der Politik und den Medien als treuer Ansprechpartner in diversen gesellschaftlichen Fragen. Anfang März bekundete Kolat beispielsweise seine Solidarität mit Homosexuellen und sprach sich für die volle Gleichstellung von Schwulen und Lesben aus.

Seine liberale Haltung zur Homosexualität brachte ihm bereits damals viel Ärger ein. Auf verschiedenen Plattformen wurde Kolat stark angefeindet: »Oh man da spricht so ein Depp angeblich für die ganze Gemeinde prost Mahlzeit sag ich da nur […] bald kann ne Bäuerin sogar ihren Esel heiraten«, protestiert Sayidah M. auf Facebook.

 

Der Frontalangriff des TGD-Vorsitzenden auf die AKP-Regierung hat offenbar das Fass zum überlaufen gebracht. Auf Twitter und Facebook hat sich ein Widerstand gegen die TGD organisiert, die sich von ihren Inhalten und Vertretungsanspruch distanziert. Fast 6.000 Mitglieder zählt eine Facebook-Gruppe, die sich mit Petitionen und Plakaten zur Wehr setzt und sich klar mit Erdogan solidarisiert. Offiziell lautet die Kritik, dass die TGD keine demokratische Legitimierung besitze, um für alle Türken in Deutschland sprechen zu können. Die politischen und gesellschaftlichen Ansichten der TGD würden auf die türkische Gesamtgesellschaft in Deutschland projiziert werden, die so nicht korrekt seien. Ohnehin würde die TGD nur der deutschen Politik nach dem Mund reden, so die Kritiker.

 

Unterstützt wird diese Anti-Kolat-Bewegung, dem seine Kritiker auch mangelnde Sprachbeherrschung vorwerfen, von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die als inoffizieller Ableger der türkischen Regierungspartei AKP gilt. Unter anderem organisieren sie für den 7. Juli eine Pro-Erdogan-Veranstaltung in Düsseldorf, für die sie auch kostenlose Reisebusse stellen, um genug Menschen zu mobilisieren. Im Weiteren ist auch das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) mit von der Partie. Die Namensähnlichkeit mit der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) ist kein Zufall, denn sie gilt als islamische Lobbypartei, die Erdogan und seiner politischen Linie nahe steht.

Die vermeintlich links-liberale Haltung Kolats und seiner TGD, die mehrheitlich dem rot-grünen Lager zugeordnet wird, steht nun einer islamisch-konservativen Front gegenüber, die ein neues Zeitalter einläuten will. Der Wunsch ist eine Großorganisation, geführt und getragen von nationalistischen und islamischen Kräften, die im Deckmantel einer scheinbar aufgeklärten und demokratischen Akademikerkaste türkische Interessen durchsetzen möchte.

Diese Gegenbewegung zur TGD gestaltet sich zunehmend als Sammelbecken für Gruppierungen wie Milli Görüs, Fethullah Gülen-Anhänger, Graue Wölfe  und weiteren konservativ-islamischen Kräften.

Die verbalen und öffentlichen Attacken auf die TGD hat der Verein selbst bisweilen nicht offiziell kommentiert. Kenan Kolat und die Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. müssen sich nun gut überlegen, wie sie diesem Trend entgegen wirken können ohne ihre privilegierte Stellung zu gefährden.

Serap Cileli