Deutsches Vertrauen in den Herrn Asad

“Deutsche Wirtschaft, Deute Linke, Deutsche Friedensbewegung : alle “vertrauen in Herrn Assad!”

Ulrich Schmid, Berlin – Neue Zürcher Zeitung – 2.1o.2013 – Laut Angaben des deutschen Wirtschaftsministeriums von Anfang dieser Woche erlaubten die zuständigen Behörden zwischen 1998 und 2011 den Export von rund 360 Tonnen Chemikalien nach Syrien. Vor vierzehn Tagen war man noch von einer Menge ausgegangen, die nur etwa einen Drittel so hoch lag.

Erinnerung an Halabja

Man muss sich weder mit linker noch mit grüner Politik anfreunden, um die Empörung zu verstehen. Deutscher Aussenpolitik konnte nicht verborgen bleiben, dass sich Asad in den letzten Jahren eine der weltweit grössten Giftküchen einrichtete, dass er ein Chemiewaffenprogramm vorantrieb und dass das Land zu den lediglich sieben Staaten zählte, die sich weigerten, die Chemiewaffenkonvention zu unterzeichnen. Bekannt musste auch gewesen sein, dass Asad über Sarin und andere Nervengase verfügte und dass er Ambitionen zeigte, seine Bestände laufend zu vergrössern. Kommt dazu, dass sich unter den Chemikalien, deren Export das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) bis 2011 genehmigte, auch etwa 270 Tonnen Fluoride befanden, die zur Herstellung von Sarin verwendet werden können. Natürlich hätte man sich auch daran erinnern können, dass in den achtziger Jahren nebst vielen anderen westlichen auch mehrere deutsche Firmen Anlagen lieferten, die zur Herstellung jenes Gases geeignet waren, mit dem der irakische Diktator Saddam Hussein in Halabja rund 5000 seiner Bürger vergaste.

Sarin ist eines der Gifte, die laut internationalen Befunden in Halabja zur Anwendung kamen. Auch am 21. August kam in der Nähe von Damaskus Sarin zum Einsatz, über 1400 Menschen verloren dabei ihr Leben. Laut Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin machte die syrische Seite geltend, die ausgeführten Chemikalien würden zur Fluorierung des Trinkwassers oder zur Bearbeitung von Metallen in der Schmuckindustrie eingesetzt. Als sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können, bedürfen die fraglichen Chemikalien einer besonderen Exportgenehmigung des Bafa. Deutschland als EU-Land orientiert sich dabei an den Richtlinien, die in einem europäischen Verhaltenskodex für Waffenausfuhren aus dem Jahre 1998 fixiert sind.

Auf die Frage, wie denn kontrolliert werde, ob die exportierten Chemikalien in Syrien tatsächlich nur zivil genutzt würden, antwortete das Bafa, die Exportlizenzen seien erst nach sorgfältiger Prüfung aller Risiken, auch von Missbrauchs- und Umleitungsgefahren, erteilt worden. In allen Fällen sei die geplante zivile Verwendung der Güter plausibel dargestellt worden. Man habe davon ausgehen können, dass die Güter allein für zivile Zwecke in der privatwirtschaftlichen Industrie verwendet würden. Dabei habe man sich nicht nur auf die «exportkontrollrechtlich vorgeschriebenen Endverbleibszusicherungen» der syrischen Empfänger, sondern auch auf eigene Erkenntnisse, etwa nachrichtendienstlicher Art, gestützt.

Für den Abgeordneten der Linkspartei van Aken ist dies unfassbar. Es sei politischer Wahnsinn, einer Diktatur mit Chemiewaffenprogramm ausgerechnet diese Chemikalien zu liefern, sagte van Aken. Deutschland müsse nun lückenlos aufklären, was tatsächlich mit den Chemikalien geschehen sei, und zudem darlegen, warum und von wem diese Lieferungen genehmigt wurden. Van Aken möchte, dass das gesamte Exportkontrollsystem sowohl für Dual-Use-Güter als auch für Waffen überprüft wird. Lieferungen solcher Produkte an Länder, die die Chemiewaffenkonvention nicht unterzeichnet haben, sollten sofort verboten werden. Doch nicht nur Linke protestierten. Michael Spaney etwa, Direktor des israelfreundlichen Mideast Freedom Forum Berlin, erklärte, die vom Wirtschaftsministerium angeführte Plausibilität der zivilen Nutzung widerspreche aller Erfahrung im Umgang mit Unrechtsregimen. Die Exportgenehmigungen hätten nie erteilt werden dürfen. Besonders problematisch ist für Spaney, dass die Genehmigung des Bafa noch bis April 2011 galt, als Asad bereits die damals noch friedlichen Proteste niederschiessen liess.

Unklare Ursache

Als Keule zur Bearbeitung des politischen Gegners eignet sich die Syrien-Affäre gewiss nicht. Die umstrittenen Exporte gehen mindestens bis ins Jahr 1998 zurück, als die rot-grüne Regierung Schröders ihre Arbeit aufnahm. Verantwortlich sind also beide Volksparteien. In der Regel zeigten in den letzten Jahren Sozialdemokraten sogar mehr Verständnis für Despoten vom Schlage eines Asad oder Ghadhafi als Unionspolitiker. Spaney erinnert daran, dass 2008 der damalige Aussenminister Steinmeier meinte, es sei an der Zeit, «Syrien aus der Problemecke» herauszuholen – sehr zum Missfallen Kanzlerin Merkels, die eine Gesprächsbereitschaft gegenüber Damaskus für unangebracht hielt, solange Syrien Libanon diplomatisch nicht anerkannte.

Was das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bewogen haben mag, so lax mit einer so heiklen Materie umzugehen, ist schleierhaft. Dass subalterne Beamte in Eigenregie entschieden, die Exporterlaubnis für die Chemikalien zu erteilen, kann man sich kaum vorstellen. Dies legte die These einer «politischen» Entscheidung nahe. Doch wer könnte Lust verspürt und vor allem die Autorität besessen haben, dafür zu sorgen, dass Deutschland in einem Atemzug mit Asad und seinem Giftgas genannt wird, zumal, wenn der Gesamtwert der beanstandeten Exporte lediglich bei etwas über 300 000 Euro lag? Es geht hier nicht um handfeste materielle oder strategische Interessen wie beispielsweise im Fall der Lieferung von Leopard-Panzern an Saudiarabien. Weder Millionen von Euro noch Hunderte deutscher Arbeitsplätze noch das Bemühen um die Schaffung eines auch Israel zusagenden militärischen Gleichgewichts am Golf stehen auf dem Spiel. Denkbar ist eigentlich nur Schlamperei, das achtlose Befolgen von einmal festgelegten, aber veralteten Richtlinien.