Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV) : Großverfahren gegen Anwälte in der Türkei: Urteile ohne Beweisaufnahme erwartet
(Berlin) – Am 19. Dezember 2013 wird das sogenannte KCK-Verfahren gegen 46 Anwältinnen und Anwälte in Silivri bei Istanbul fortgesetzt. Der vorsitzende Richter hat für diesen Termin die Schlussanträge angekündigt, obwohl eine Beweisaufnahme bisher nicht stattgefunden hat. Die Sorge um den Rechtsstaat in der Türkei eint die Anwaltschaften in Deutschland und der Türkei.
“Es ist zu erwarten, dass unsere Kolleginnen und Kollegen ohne Beweise verurteilt werden – ein ungeheuerlicher Verstoß gegen die Regeln eines fairen Verfahrens”, sagte Rechtsanwältin Gilda Schönberg, die den Prozess gemeinsam mit deutschen und internationalen Anwaltsorganisationen seit dessen Beginn im Sommer 2012 verfolgt. Die türkische Strafprozessordnung sehe genauso wie die deutsche zwingend eine Beweisaufnahme vor.
“Für die Verfolgung von “Feinden der Regierung” gelten in der Türkei andere Regeln, das normale Strafprozessrecht wird einfach nicht angewendet”, sagte der Istanbuler Rechtsanwalt Hüseyin Boğatekin in Berlin. “Vertritt man Mandanten, die von der Regierung als “Terroristen” angesehen werden, muss man auch als Anwalt mit Strafverfolgung rechnen”, so Rechtsanwalt Ramazan Demir, der wie Boğatekin im KCK-Verfahren Kolleginnen und Kollegen verteidigt.
“Dort, wo Freiheiten eingeschränkt werden, werden zuerst Anwältinnen und Anwälte angegangen”, kommentierte Rechtsanwältin Gül Pinar, DAV-Prozessbeobachterin beim KCK-Verfahren. “Sie sollen mundtot gemacht werden!” Das KCK-Verfahren sei nur eines von drei Großverfahren, die in der Türkei zurzeit gegen Anwältinnen und Anwälte geführt werden und in denen eklatante Verfahrensverstöße beobachtet werden. Folge ist, dass Kolleginnen und Kollegen, die in politischen Verfahren verteidigen ein großes persönliches Risiko eingehen.
Seit Mitte 2012 stehen 46 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vor Gericht. Bisher haben lediglich acht Verhandlungstage stattgefunden. Der Beschleunigungsgrundsatz gilt auch im türkischen Recht. Im KCK-Verfahren wurde er bisher nicht beachtet. Jetzt will der Richter den Prozess plötzlich beenden. Von den Angeklagten wurden 36 im November 2011 in Untersuchungshaft genommen, 15 befinden sich immer noch in Haft. Unklar ist, aus welchen Gründen einige entlassen wurden, andere aber nicht. Anklagevorwurf ist die angebliche Mitgliedschaft in der Union der Gemeinschaft Kurdistans (KCK). Es drohen Haftstrafen von bis zu 22 Jahren. Die angeklagten Anwältinnen und Anwälte waren an der Verteidigung von Abdullah Öcalan beteiligt oder hatten andere inhaftierte Mandanten besucht. Nun wird ihnen von der Staatsanwaltschaft unterstellt, nicht lediglich ihren anwaltlichen Pflichten nachgekommen zu sein, sondern die Interessen und Anliegen ihrer Mandanten zu teilen.
Im sogenannten ÇHD-Verfahren sind weitere 22 Anwältinnen und Anwälte angeklagt. Auch ihnen wird die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Alle sind Mitglieder der Zeitgenössischen Juristenvereinigung (ÇHD), einer Mitgliedsorganisation der EJDM, einer europäischen Juristenvereinigung, die sich für die Menschenrechte einsetzt. Sie waren an der Strafverteidigung von angeblichen DHKP-C Mitgliedern beteiligt, einer Organisation die als Terrororganisation eingestuft wird. Ihnen wird Mitgliedschaft oder Leitung dieser Organisation vorgeworfen.
Ein drittes Verfahren richtet sich gegen die 10 Mitglieder des Vorstands der Istanbuler Rechtsanwaltskammer, darunter deren Präsident. Diese hatten sich in einem Strafverfahren für die Rechte der dort tätigen Verteidiger eingesetzt und müssen sich nun wegen des angeblichen Versuchs “die Justiz zu beeinflussen” vor Gericht verantworten.
Die Plädoyers und die Urteilsverkündung in dem KCK-Verfahren werden am 19. Dezember 2013 um 09:30 Uhr erwartet.
Die Adresse des Gerichts lautet: Adresse: Ceza İnfaz Kurumları Kampüsü Semizkumlar Mah., Silivri / İSTANBUL.