EIN PROZESS IN DEUTSCHLAND GEGEN EINE TZSCHÄPE, BEATE

Shanto Trdic: Dumm gelaufen

Schon vor dem mit viel Spannung, Häme und Heuchelei erwarteten NSU-Prozess vollzieht sich ein weiterer, nicht minder wichtiger Prozess, der den geplanten auf unerträgliche Weise konterkariert: einer, der zur weiteren Auflösung bzw. Erosion angestammter rechtstaatlicher Prozeduren und Präzedenzen beitragen wird und damit womöglich, wie schon so oft, Schule machen könnte. Immer deutlicher zeichnet sich bereits im Vorfeld ab, dass in diesem ´Jahrhundertverfahren´ die nüchterne Rechtsprechung im Schatten einer diffusen Gerechtigkeitsdebatte gerichtet werden soll und in ihrer ursprünglich Fassung einmal mehr auf der Strecke bleibt.

Der zukünftige Umgang mit ähnlichen Fällen justiert sich im Gefolge medialer Einpeitschung dezent und den Rest werden wohl wieder findige Anwälte erledigen. Das ´Mammut-Verfahren´ wird so zum Projekt, zur geblähten Konkursmasse, die noch vor jeder Urteilsverkündung buchstäblich ´unter den Hammer´ gerät. Immerhin: bei der Gelegenheit lernt das Publikum gewisse Begrifflichkeiten kennen; auch deren Einhegung bzw. Abwandlung.

Wer von uns wusste schon im Detail, was ein ´Akkreditierungsverfahren´ ist? Dabei ist die Sache so simpel. Es bezeichnet in diesem Falle die Vergabe von Presseplätzen für die anstehende Gerichtsverhandlung. Das OLG München machte sie von der zeitlichen Reihenfolge der Anmeldungen abhängig. Eine gängige, völlig normale Verfahrensweise. Doch wurde am Ende kein einziges türkisches Printmedium akkreditiert. De Facto hatten die in Frage kommenden Blätter einfach nur versäumt, sich rechtzeitig anzumelden, aber in der öffentlichen Wahrnehmung war bald nur noch von Ausgrenzung und Benachteiligung, mangelndem Fingerspitzengefühl und gezielter Irreführung die Rede. Schuld waren nicht die Bewerber, vermurkst hatte es der Ausschreibende, das ´selbstherrliche´ OLG, von nun an ganz vorne auf der Anklagebank. So geriet das Verfahren schon vor Verhandlungsbeginn zum Säbelrasselnden Politikum und die Medienmeute schoss fast unisono aus sämtlichen hohlen Rohren die üblichen Worthülsen ab, als Vorhut der türkischen Gemeinde, die ihrerseits mächtig im Hintergrund des öffentlichen Schlachtfelds grollte und schmollte, wie sie das immer tut, wenn es darum geht, rechtstaatliche Freiräume zu besetzen, um damit den eigenen Anspruch dauerhaft zu sichern. Gewiss: ihre Würdenträger machten auch ganz konkrete Vorschläge. Etwa, wer ab sofort zusätzlich im Gerichtsaal zu sitzen habe. Sie selbst nämlich. Und gefilmt werden sollte das ganze ebenfalls, nonstop; wie seinerzeit die Nürnberger Prozesse. Um möglichst lückenlos zu dokumentieren, was in einem deutschen Gericht so alles möglich ist, denn trauen kann man diesen Brüdern (und Schwestern) nach so einem Skandal im Vorfeld ganz gewiss nicht mehr. In Anlehnung an den türkischen Staatspräsidenten, der einmal meinte, man müsse die europäische Kultur mit der türkischen impfen, könnte gesagt werden: man muss die deutsche Rechtsprechung durch türkische ´Einrechtung´ einfrieden – oder so ähnlich.

Erdogan ist wahrlich berufen, hier das große Wort zu führen. Seine Kritik am Geschehen entbehrt nicht einer gewissen Realsatire. Unter Regentschaft der AKP hat sich in der Türkei die Morgenröte der Meinungsfreiheit zu neuem Glanz aufgeschwungen. Derzeit sitzen mehr Journalisten in türkischen Gefängnissen als in China oder dem Iran. Ihr Kollege Ragip Durgan weiß, dass viele von denen schon Jahre in Haft sind, ohne je angeklagt worden zu sein. Laut WPFI (World Press Freedom Index) landet die Türkei in Sachen Meinungsfreiheit weit abgeschlagen auf Platz 154 (von insgesamt 179 Staaten). Die Türkei „ist derzeit das weltweit größte Gefängnis für Journalisten,“ kritisierten die Reporter ohne Grenzen erst Ende 2012. Um eine Akkreditierung, wie sie das OLG vollzog, braucht sich von denen, die da einsitzen, keiner zu scheren; ihr Prozess lässt ohnehin auf sich warten.

Aber zurück zu unseren Eliten und ihren Repräsentanten. Der  Meinungsführende Genickschuss in Sachen Auswahlverfahren kam schließlich vom ´Weisen Hirten aller Schafe´ (Franz Josef Strauss), dem allwissenden Schmidt, genannt Schnauze. „Einigermaßen beschämend“ sei das, was sich die Anfänger vom OLG da geleistet hätten, denn diese Deppen sind „nicht von sich aus schlau genug“ gewesen, den Schauprozess in zig weitere Säle zu übertragen (was rechtstaatlich kaum zulässig ist und auch sonst nicht praktiziert wird). Aber selbst simpelste rechtstaatliche Grundsätze wie das Rauchverbot haben diesen Staatsmann von Format nicht davon abhalten können, bei jeder Gelegenheit seine Gesetzestreue mit viel Dunst und Dampf optisch unter Beweis zu stellen. Und wenn der alte Schmidt raunzt, dann nickt und klatscht die Gemeinde der Bewunderer ohnehin wie das versammelte Politbüro zu Ulbrichts Zeiten. Einigermaßen beschämend?

Fest steht nun also endgültig: mit seiner Akkreditierung hatte sich das OLG München selbst diskreditiert und darob wurde, um weiteren Schaden vom ´Rechts-Staat´ abzuwenden, dass ganze Prozedere neu initiiert. Den letzten Auslöser gab die türkische Zeitung Sabah mit einer entsprechenden Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Beschwerde lautete auf Benachteiligung. Denn: am 5. März um 8:56 Uhr habe das OLG eine E-Mail mit den Akkreditierungsbedingungen versandt – doch erst um 9.15 Uhr kam eine entsprechende Mail bei Ismail Erel (stellvertretender Chefredakteur) an. Krass. Schon um 11:42 Uhr ging laut Oberlandesgericht das 50. und letzte Gesuch vom elektronischen Stapel. Ob dieses unentschuldbar kurze Zeitfenster in die vorgeschobene Mittagspause der Sabah fiel oder die verlängerte Frühstückspause als lockeres Briefing betroffen war, konnte und wollte niemand mehr ermitteln. Man könnte auch sagen: das interessierte am Ende keine Sau mehr.

Jetzt entschied man sich fürs lockere Losen. Wer bis dato drin war, der konnte nun auch wieder rausfliegen. Wie etwa der freie Journalist Martin Lejeune. Der Mann hatte keine Phon, – und Auflagenstarke Lobby an seiner Seite, als er vor demselben Gericht in Karlsruhe dagegen protestierte, dass man ihn von dem ihm eben noch zugesicherten Platz im Gericht wieder heraus kickte. Dumm gelaufen. Auch für Teile der Meinungsmachenden Journalisten-Elite dieses Landes sah das zunächst so aus. Ausgleichende Gerechtigkeit? Auch FAZ, Welt und TAZ guckten nun erst einmal in die Röhre. Und prüften, ob sie klagen könnten. Oder sollten. In gewohnt ´gutmenschelnden´ Leitartikeln und Kommentaren hatten gerade sie ganz vorneweg gegen das Vergabeverfahren gewettert. Drum prüfe, wer sich an die eigenen Worte bindet. Natürlich ist es für ein auf Seriosität und ´saubere´ Berichterstattung setzendes Leitmedium wie die FAZ ganz unerträglich mit ansehen zu müssen, dass statt seiner ein Revolverblatt wie die Hürriyet für den veröffentlichen High Noon sorgen darf. Aber alles halb so schlimm. Um noch einmal den armen Lejeune als Gallionsfigur für die im Handstreich Entrechteten ins Spiel zu bringen: der hatte natürlich kein Königskartell wie die Mediengruppe Madsack als Joker zur Hand, um über den üblichen Konzernklüngel doch noch den Hintern aufs Plätzchen in der ersten Reihe zu bekommen. Summa summarum: am Ende entschieden wieder einmal Stimmungsmache und Machtmonstranz über ´die Freiheit der Presse´, die zu meucheln man doch mit allen Mitteln zu verhindern vorgab. Immerhin musste in den letzten Tagen nicht mehr vom dubiosen Verfassungsschutz geredet werden, der schon die ersten RAF-Kader mit Munition versorgte. Ab Montag kann man sich umso besser auf´s wesentliche konzentrieren: auf eine irgendwie ´Übriggebliebene´, als Rand, – oder Hauptfigur der mehr behaupteten als bewiesenen rechts-terroristischen Hydra, ihr vorerst letzter Kopf sozusagen, und auf die Opfer der Verschwörung selbst, deren Angehörige, in bewusster Distanzierung zur Hype um die RAF-Täter, dieses Mal gezielt im Focus stehen sollen.

Man bedenke, was dass in einem ordentlichen Rechtsverfahren nur bedeuten kann. Die Rechtsanwälte Stephan Lucas und Jens Rabe, Vertreter der Familie Simsek, haben es dem SPIEGEL schon vorab gesteckt. Das liest sich dann so:

„ Lucas und Rabe haben sich viel Mühe gegeben, heraus zu finden, was ihren Mandanten besonders wichtig sei und ob dies in den Prozess  eingebracht werden könne und solle. „Wir haben versucht die Familie zu verstehen, und müssen nun versuchen, das Gericht auf diese Reise mitzunehmen,“ sagt Rabe. 

Das zahlenmäßige Übergewicht der Opfer wird als eine Art Faustpfand gehandelt. Der vorsitzende Richter Götzl müsse schon schwer aufpassen auf dieser ´Reise´:

„Gelinge die Gratwanderung zwischen aufgewühlter Emotion und nüchterner Strategie nicht, fürchten die Anwälte,“ dann hat Götzl den ganzen Saal gegen sich“. Wohl nicht nur den Saal.“

Soll das etwa schon wieder eine Drohung sein? Es kommt aber noch besser:

„Wenn ein Hinterbliebener oder Verletzter sich entscheide, an einem Strafprozess mitzuwirken, dann müsse ihn dies weiterbringen und zufriedener machen.“

(DER SPIEGEL, Nr. 15, 2013, Seite 46).

Konsequent zu Ende geplant mutierte ein unter solchen Auspizien konzipiertes Verfahren zur rachitischen Reality-Show, zum Betroffenheits-Event, bei dem jeder seine Befindlichkeiten so lange austobt, bis der emotionale Overkill das hohe Gericht von der Macht der Gefühle nahezu überwältigend überzeugt hat. Das geht natürlich nicht ohne Aufstockung der ohnehin schon mächtig angeschwollenen Legion diplomierter und promovierter Sozialpsychologen und eigentlich kann ein bloßer Paragraphenreiter wie der Herr Götzl da nur noch einpacken und leidig Vorschläge machen; zu richten hätten die ´Experten´. So kann und soll endlich Recht gesprochen werden. Irgendwelche lästigen, ´entpersönlichten´ Fakten wie der bloße Tathergang wären nicht mehr entscheidend; allenfalls ´mit-auslösend´. Nicht der zu verurteilende Täter zählte noch, sondern, abstrus genug, diejenigen, die gerade mit der Tat selbst gar nichts zu tun haben.

Die Erwartungshaltung an diesen Prozess ist enorm hoch. Er wird ihr nie genügen können. Zu viele wollen ihre weltanschaulichen Süppchen auf dieser Garflamme kochen. Es wird weniger um Recht, mehr um Gerechtigkeit gehen; die Wirklichkeit wird der Wahrheit weichen, und jeder wird auf die eigene pochen. Das kann nur den üblichen Wirbel entfachen. So wird die ´Sache´ immerhin nicht langweilig werden.

Am Vorabend des Prozessauftaktes sollte man wenigstens einen Moment lang darüber nachdenken, warum es so viele andere, nicht minder Denk, -und Empörungswürdige Fälle nie in die Schlagzeilen, ja oft nicht einmal vor Gericht selbst schaffen. Uta Glaubitz, die im Netz auf einer eigenen Seite das Thema Ehrenmorde dokumentiert, hat allein für die letzten fünf Jahre über neunzig solcher Vergehen zusammengefasst, von einem guten Dutzend schwerer Mordversuche ganz abgesehen. Zur Hype kam´s nur im Falle der Arzum Özmen; seither ist das Thema schon wieder out of area. Vieles ging und geht völlig unter. Das gilt auch für die Straftaten sogenannter jugendlicher Intensivtäter mit Migrationshintergrund. Meist überlassen die Leitmedien der BILD-Zeitung das weite Feld. Ich überlasse es jedem selbst, in dieser Sache zu recherchieren und die gefällten Urteile zu überdenken. Wenn es zu welchen kam.

Die öffentliche Wahrnehmung wird selektiv gesteuert. Mich erinnert das irgendwie an Äonen von Beiträgen zum deutschen Widerstand, die das Phänomen als solches zunehmend in einen geblähten Aktenkoffer verwandeln. In der Zwischenzeit wird die hunderttausendste Stauffenberg-Doku fabriziert und übrig bleiben dann noch die Geschwister Scholl; der Rest ist Kehricht. Mehr muss nicht. Bestimmte Jubiläen und ´runde Geburtstage´ sorgen für das übliche Gedenken. Hängt ja eh langsam jedem zum Halse heraus. Wann geben wir das endlich einmal zu?

Ganz gleich, wie der sogenannte NSU-Prozess verläuft und schließlich enden wird: er ist schon jetzt irgendwie gelaufen –  und zwar ziemlich dumm.