Der Gewinner ist… (IRAN!)

Von Michael Wolffsohn – 3 Feb 2015 – HANDELSBLATT- Der Arabischen Frühling wurde bei uns landauf, landab besungen. Mach einer verglich ihn gar mit der deutschen Revolution von 1989. Doch das war töricht. Denn in Nahost herrscht Chaos – mit einem großen Gewinner.

Der Historiker Prof. Dr. Michael Wolffsohn schreibt für Handelsblatt Online die Kolumne Professor Tacheles.

Chaos in Nahost. Arabische Revolutionen. Der große Gewinner ist der nichtarabische Iran. Das ist der Befund vier Jahre nach dem von vielen bejubelten Hoffnungsjahr 2011. Revolutionshymnen hatten damals Hochkonjunktur. Der Arabische Frühling wurde auch bei uns landauf, landab besungen. Wohl ungern erinnern sich manche Polit-, Medien- und Wissenschafts-Promis an ihre optimistischen Vorhersagen. Gar mit der friedlichen deutschen Revolution von 1989 hatten sie das „Arabische Erwachen“ verglichen.

Das war von Anfang an töricht. Nur wenige (sorry, auch ich) hatten das gesagt. Sie behielten leider recht. Jeder, der sich geschichtlich mit dem Verlauf großer Revolutionen auskennt weiß, wie sie ablaufen. Und zwar so: Stufe 1: Riesenhoffnungen. Die Bevölkerung ist froh, das Joch der Unterdrückung abgeschüttelt zu haben. Besonders, wenn der innere Umsturz (relativ) unblutig verlief. Die Befreiten meinen, dass (fast) tags darauf das Paradies auf Erden beginne. Fehlanzeige.

Stufe 2: Nun schlägt die Stunde der Extremisten. Die gemäßigten Revolutionäre werden hinweggefegt und versuchen so etwas wie eine Dauer-Revolution. Die ist schier unmöglich.

Es folgt Stufe 3, und es obsiegen die alles andere als gewaltlosen „(Un-)Recht-aber-Ordnung-Revolutionäre“. Sie halten sich lange, aber auch nicht ewig an der Macht.

Vor genau vier Jahren begann Stufe 1 in Tunesien, gefolgt von Ägypten, Syrien, Libyen und dem Jemen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass in anderen arabischen Staaten in nicht allzu ferne Zukunft ebenfalls Revolutionen ausbrechen werden, denn ihre Binnenstruktur ist alles andere als stabil. Sie ist auf (Wüsten-)Sand gebaut.

Ab Januar 2011 wurde Tunesiens Diktator Ben Ali vertrieben. Er lebt seitdem bei seinen (und unseren…) Freunden im alles andere als demokratischen Saudi-Arabien. Mit Müh´ und Not konnten sich, nach zeiteiliger Machtübernahme durch die Islamisten, gemäßigte, demokratische Kräfte bei Wahlen knapp gegen die Extremisten, sprich: Islamisten durchsetzen. Wie lange? Das ist offen, denn der Hoffnungsträger der Demokraten, Tunesiens neuer Präsident, ist mit 87 Jahren kein Jüngling. Stufe 2 ist hier vorbei, Stufe 3 bleibt Tunesien erspart. Einstweilen.

Ägyptens seit 1981 herrschender Diktator Mubarak wurde im Februar 2011 vertrieben. Stufe 1. In Stufe 2 folgten die Islamisten, die Muslimbrüder. Chaos begann. Im Juli 2013 wurden sie vom Militär weggeputscht. Demokratie sieht anders aus, aber das Chaos wurde verringert, wenngleich nicht beendet.

In Syrien ging es im März 2011 los. Die Gemäßigten schienen voranzukommen. Welch ein Irrtum. Sunnitische Extremisten, Islamisten der al Qaida und des Islamischen Staates beherrschen inzwischen weite Teile Syriens. Sie bieten täglich reale Albträume und überbieten sich an sich an blutigen Morden. Es schien, dass Diktator Assad, ein Schiit beziehungsweise Alawit, seinen Palast in Damaskus bald räumen müsste.

Dann aber kam der starke schiitische Bruder aus dem Iran zu Hilfe. Auch der schiitische Bruder aus dem Libanon, die schiitisch-islamistische Hisbollah-Miliz. Faktisch beherrscht jetzt der Iran Teile Syriens und des Libanon, auch die Hauptstadt Beirut. Mindestens ebenso wichtig: Über die Hisbollah-Hochburg Süd-Libanon und die von Assads Syrien beherrschten Teile der Golanhöhen, hat der Iran eine direkte Front zu Israel. Das verheißt heiße Konflikte.

Von Syrien sprang der revolutionäre Funke der Sunniten in den Irak, wo die Sunniten nach der kriegerisch-blutigen Entmachtung Saddam Husseins gegenüber den Schiiten in die Defensive geraten waren. Ganz demokratisch. Zumindest formal demokratisch. Deshalb schlossen sich Iraks Sunniten den sunnitischen Terroristen Syriens an. Gemeinsam beherrschen sie Teile des Irak. Nun kam auch hier der Iran seinen schiitischen Glaubensbrüdern zu Hilfe. Das Ergebnis: Bagdad, die Hauptstadt und der Süden des Irak werden faktisch vom Iran kontrolliert. Dieses war der dritte „Streich“, und der vierte folgt sogleich.

Buchstäblich in diesen Tagen haben die Schiiten die Macht im Jemen militärisch erkämpft. Sie kontrollieren dadurch auch den Bab el-Mandeb, sprich: die Zufahrt zum Suez-Kanal sowie nach Eilat der süd-israelischen Hafenstadt, und Aqaba, dem einzigen Hafen Jordaniens. Dessen inneres Gefüge, ganz nebenbei, ist alles andere als stabil. Vergessen oder verdrängt haben manche vielleicht, dass der Iran seit 2011 noch intensiver als zuvor die schiitische Bevölkerungsmehrheit gegen die sunnitische Königsdiktatur aufstachelt.

Gleiches verstärkte der Iran im Osten Saudi-Arabiens. Dort, nur dort liegt der unterirdische Schatz der Saudis: Erdöl und Erdgas. Dort, nur dort, leben saudische Schiiten, die mit dem extrem sunnitischen Königshaus „nichts am Hut haben“. Wann geht es dort los?

Das alles ist keineswegs das Ende iranischer Siegesmeldungen. Das militärische Atomprogramm wird fortgesetzt. Der Westen, allen voran US-Präsident Obama, wohl auch die Bundesregierung, hat sich offensichtlich damit abgefunden. Eine der Faschingszeit gemäße Maskerade wird vorbereitet, die der Welt einreden soll, Teheran rüste atomar ab. Dass Obama auf Israels Netanjahu „sauer“ ist, kann man verstehen. Aber ist der Iran als Partner des Westens, als nahöstliche Ordnungsmacht eine, gar die Alternative? Der Kreis schließt sich: Chaos in Nahost. Der große Gewinner ist der Iran.

Prof. Dr. Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehruniversität München, hält Vorträge über nationale sowie internationale Politik und Wirtschaft. Er berät Entscheidungsträger in diesen Bereichen und ist Autor zahlreicher Bücher u. a. „Wem gehört das Heilige Land?“ (11. Auflage 2014), „Juden und Christen“, „Zum Weltfrieden“ (2015).