DER FAZ TEXT : Die Gülen-Sekte untergräbt den Rechtsstaat / Beyhan Yildirim
Zum neofeudalistischen Artikel von Rainer Hermann “Tue Gutes, und lasse es wirken” (F.A.Z. vom 10. November): Als Akademiker türkischer Herkunft sowie als Bund Türkischer Jugendlicher, die die Errungenschaften und Leitprinzipien der Großen Französischen Revolution verinnerlicht haben, sind wir empört darüber, dass mittelalterliche Denk- und Handlungsweisen beziehungsweise neofeudalistische Organisationsstrukturen und Machenschaften der türkischen Community in Deutschland als Produktions- und Lebensweise aufgezwungen werden.
Die Gülen-Sekte wurde zu Zeiten des Kalten Krieges von den Vereinigten Staaten für antikommunistische Aktivitäten in türkischen Städten systematisch eingesetzt und sukzessive gestärkt. Mit dem Zerfall der Sowjetunion erweiterte sich der Aktionsradius der Sekte auch in den Anrainerstaaten der Türkei. Das Ziel bleibt unverändert: amerikanische Interessen und Einflüsse konsequent durchzusetzen – mittels Instrumentalisierung der Religion und systematischer politischer und sozioökonomischer Machtkonzentration. Die Gülen-Sekte ist das Pendant zu den Pentecostal-Bewegungen in Lateinamerika und der Moon-Sekte in Korea.
Der Artikel zeugt von einer notorischen Hass- und Hetzkampagne gegen die Gründungsmütter und -väter der modernen Türkei. Der Autor außerstande, die Ursachen des in jeder Hinsicht vorhandenen Entwicklungs- und Modernisierungsvorsprungs der Türkei beziehungsweise der türkischen Metropolen gegenüber den anderen Staaten und Städten, die von muslimischen Mehrheiten dominiert werden, zu begreifen und zu analysieren, welche historischen Akteure für die Ursachen des langwierigen Transformationsprozesses vom Mittelalter in die Modernität verantwortlich sind. Welche aktuelle Dynamik und Kreativität das universal gültige demokratische Vermächtnis des großen Revolutionärs Mustafa Kemal Atatürk für die Türkei und die Region besitzt, werden auch die neoliberalen und neokonservativen Machteliten Europas in naher Zukunft zu spüren bekommen. Wir werden die Marionetten loswerden, unseren Demokratisierungs- und Emanzipationsprozess wiederbeleben und fortentwickeln.
BEYHAN YILDIRIM, BUND TÜRKISCHER JUGENDLICHER, BERLIN
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2012, Nr. 275, S. 7