DemokratischesTürkeiforum(DTF) – MENSCHENRECHTSREPORT TÜRKEI – August2013

Die folgenden Nachrichten wurden im August2013 vomDTFteilweise zusammenfassend – übersetzt.

Blankoscheck von der Justiz für die Polizei: Gewaltanwendung bei illegalen Demonstrationen erlaubt

BIA Nachrichtenzentrum, 12.08.2013 – Kerem Altıparmak

Verstößt eine Versammlung einmal gegen das Gesetz, können die Sicherheitskräfte so viel Gewalt anwenden, wie sie wollen, so das Oberverwaltungsgericht. Sie dürfen mit Gas auf Kopf, Augen und Körper zielen.


Mit seinem Urteil zu Abdullah Yaşa zeigt das Oberverwaltungsgericht einmal mehr, wie falsch es den Begriff des Kausalitätszusammenhangs bei Schäden auslegt, die durch die Sicherheitskräfte zugefügt wurden. Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Diyarbakır, das noch vom EGMR geprüft werden wird, beschloss die Ablehnung der Klage mit folgender Begründung: „Nach Prüfung von Fotos und Bildmaterial in der Akte besteht keine Entschädigungspflicht von Seiten der Verwaltung, da der Kläger offensichtlich den Kausalitätszusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verwaltungsakt aufgehoben hat, indem er sich durch persönliches Verschulden an illegalen Vorfällen beteiligt, denn Abdullah Yaşa beteiligte sich an Angriffen mit Steinen, Knüppeln und Molotowcocktails gegen Sicherheitskräfte, öffentliche Einrichtungen, private Geschäfte, offizielle und zivile Fahrzeuge, die Verwundung des Klägers stammt von illegalen Vorfällen im Zuge der Aktionen von Demonstranten, unter denen sich auch Abdullah Yaşa befand.“

 

Die 10. Kammer des Oberverwaltungsgerichts lehnte den Revisionsantrag ab und beschloss einstimmig, das Urteil der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Diyarbakır zu bestätigen, da „das zwecks Revision geprüfte Urteil juristisch ordnungsgemäß ist und die angegebene Revisionsbegrünung nicht geeignet ist, das Urteil aufzuheben.“ (1)

 

Dieses Urteil der Verwaltungsjustiz lässt sich folgendermaßen resümieren: Hat eine Person an einer illegalen Versammlung teilgenommen oder hat ein Teil der Demonstranten auf dieser Versammlung Gewalt angewendet, löst sich der Kausalitätszusammenhang zwischen dem dieser Person zugefügten Schaden und dem Verwaltungsakt auf. Da die Beziehung zwischen dem Schaden und dem Verwaltungsakt gekappt ist, können die an der illegalen Aktion beteiligten Personen keine Entschädigung von der Verwaltung fordern.

 

Dabei hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil zu demselben Vorfall vor einigen Tagen gesagt, der Staatsanwalt habe die Einstellung nur deshalb verfügt, weil der Kläger an den Vorfällen beteiligt war, dies sei aber nicht der eigentliche Gegenstand der Klage. (2)

 

Dem EGMR zufolge sei der Gegenstand der Klage folgende Frage: Verstößt die Methode der Gewaltanwendung durch die Polizei bei einer illegalen Versammlung gegen das Gesetz und begründet dies eine Straftat? In dieser Hinsicht sei es völlig unerheblich, ob die Person an der illegalen Versammlung beteiligt war, und habe nichts mit dem Thema zu tun. Sollte die Polizei Gewalt angewendet haben, die ihre Kompetenz überschreitet, sei es nicht möglich, dies dadurch zu legitimieren, dass der Geschädigte an einer illegalen Demonstration teilgenommen hat.

 

In dem vor dem Oberverwaltungsgericht liegenden Fall sind wir mit einer ähnlichen Frage konfrontiert. Ist die Gewalt rechtmäßig, die die Polizei bei der Intervention gegen eine als illegal eingestufte Versammlung anwendet, die gegen Gesetz Nr. 2911 verstößt? Hat diese Gewalt die Rechte der Person verletzt? Hier wurde anerkannt, dass die Versammlung illegal war. Deshalb besteht nicht die Möglichkeit, dass der Kläger den Kausalitätszusammenhang zu dem durch die illegale Aktion verursachten Schaden aufgelöst hat. Wann ist der Kausalitätszusammenhang aufgehoben? Wenn ein Verschulden vorliegt, das die Verbindung zwischen dem aufgetretenen Schaden und der Aktion der Sicherheitskräfte kappt. Wenn sich zum Beispiel die Person plötzlich unter einen Wasserwerfer wirft, wenn sie die Sicherheitskräfte zur legitimen Selbstverteidigung zwingt u.a. In allen anderen Situationen muss die Verwaltungsjustiz prüfen und feststellen, ob die Sicherheitskräfte den Umständen des Vorfalls in angemessener Weise entsprechend Gewalt angewendet haben. Wenn wie im Fall von Abdullah Yaşa eine Gaspatrone gegen die Nase eines kleinen Kindes gerichtet wird, ist offensichtlich, dass dies nicht der Fall ist.

 

Sollte statt der Haltung des EGMR die des Oberverwaltungsgerichts anerkannt werden, werden Konsequenzen legitimiert, wie sie seit Jahren bei gesellschaftlichen Vorfällen vorkommen und in einem Rechtsstaat nicht akzeptabel sind. Verstößt eine Versammlung einmal gegen das Gesetz, können die Sicherheitskräfte so viel Gewalt anwenden, wie sie wollen, so das Oberverwaltungsgericht. Sie dürfen mit Gas auf Kopf, Augen und Körper zielen, selbst um Demonstranten in den Griff zu bekommen, dürfen sie nach Belieben prügeln, beleidigen und beschimpfen.

 

Die Versammlung ist ohnehin illegal, da ist der Kausalitätszusammenhang zwischen verursachtem Schaden und Verwaltungsakt aufgehoben, die Geschädigten können keinerlei Rechte einfordern. Wie sehr das doch an die Klagen erinnert, die wir im Laufe der Gezi-Proteste zu hören bekamen. (KA/EKN)

 

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(1) 10. Kammer Oberverwaltungsgericht, AZ 2009/15195, Urteil 2013/4428 v. 14.5.2013.

(2) Abdullah Yaşa/Türkei, Nr. 44827/08, 16.7.2013, Abs. 48.

 

http://www.bianet.org/bianet/insan-haklari/149089-yargidan-polise-acik-cek-yasadisi-gosterilerde-siddet-serbest

 

 

„872 Mal wurden in 6 Monaten Rechte in Gefängnissen verletzt“

 

BIA Nachrichtenzentrum, 15.08.2013

Bericht der IHD Zweigstelle Diyarbakır

 

Die Zweigstelle Diyarbakır des Menschenrechtsvereins IHD veröffentlichte ihren Bericht über die Gefängnisse für die ersten sechs Monate 2013 und mahnte, dass es zu Todesfällen kommen könne, da kranke Inhaftierte noch immer nicht freigelassen worden seien…

In dem Bericht heißt es, die Isolation von PKK-Chef Abdullah Öcalan im Gefängnis Imrali widerspreche dem Geist des Friedensprozesses, die Isolationshaft müsse unverzüglich aufgehoben werden…

Bilici sagte, Verlegungen und Deportationen dauerten auch 2013 an, diese Praxis sei eine „gegen die Inhaftierten gerichtete Einschüchterungsoperation“, bei den Verlegungen würden die Inhaftierten gefoltert und an den Orten, an die sie verbracht werden, würden sie in Isolation gehalten…

Laut Bilici ist nach Folter und Misshandlung das auffälligste Problem der Verstoß gegen das Recht auf Gesundheit der Inhaftierten, in den Gefängnissen befänden sich über 450 kranke Inhaftierte, nur neun seien aufgrund ihrer Erkrankung freigelassen worden, vier Kranke seien ums Leben gekommen, da sie nicht auf freien Fuß gesetzt worden waren.

Dass das Gerichtsmedizinische Institut seine Neutralität verloren habe und seine Atteste politische Haltungen zum Ausdruck bringen, sei der Öffentlichkeit bekannt…

Bilici erklärte, von den genannten 450 Erkrankten seien rund 150 schwerkrank und an der Schwelle zum Tod, sie müssten unverzüglich freigelassen werden…

Bilici sagte, zuletzt hätten im Gefängnis Muş wegen schlechter Bedingungen und Behandlung weibliche Inhaftierte einen 14-tägigen Hungerstreik durchgeführt, solche Ereignisse wiederholten sich von Zeit zu Zeit auch in den anderen Gefängnissen, man müsse sich der Situation ernsthaft annehmen und zu einer Lösung kommen…

 

Der Bericht über die Gefängnisse in den Regionen Ost- und Südostanatolien für die ersten sechs Monate 2013 von der IHD-Zweigstelle Diyarbakır enthält folgende Fakten:

* In den Gefängnissen der Region kam es innerhalb von 6 Monaten zu 872 Rechtsverstößen.

* 4 Personen starben im Gefängnis.

* Es kam in 94 Fällen in den Gefängnissen zu Folter.

* 350 Verlegungen wurden durchgeführt.

* 73 Mal wurde gegen das Recht auf Gesundheit verstoßen.

* 7 Familienbesuche wurden verhindert.

* 99 Mal wurde Isolationshaft angewendet.

* 6 Mal wurden Rechte auf Kommunikation beschnitten.

* 1 Mal wurde das Recht auf Muttersprache beschnitten.

* 11 Mal wurde gegen andere Rechte verstoßen und Meldung gemacht.

 

http://www.bianet.org/bianet/insan-haklari/149150-cezaevlerinde-6-ayda-872-hak-ihlali-yasandi

 

 

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