Demokratisches Türkeiforum (DTF) : Menschenrechtsverletzungen Türkei – REPORT AUGUST 2012

Die folgenden Nachrichten wurden im August 2012 vom DTF erfasst (übersetzt). Für externe Links wird keine Verantwortung bezüglich des Inhalts und der Dauerhaftigkeit übernommen.

Kaum Strafen für Gefängniswärter

In der Tageszeitung Radikal vom 02.08.2012 berichtete der Reporter Mesut Hasan Benli von der Antwort des Justizminister Sadullah Ergin auf eine Anfrage des stellvertretenden Vorsitzenden der CHP und Abgeordneten von Istanbul, Umut Oran. Die Anfrage und Antwort bezog sich nach der Tageszeitung Taraf vom 02.08.2012 auf den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 15. Mai 2012. In diesem Zeitraum verstarben 1.588 Gefangene. Es wurden Verfahren gegen 739 Beschäftigte in den Gefängnissen eröffnet, von denen 27 zu einer Haft- und 19 zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. In 10 Fällen wurden die Haftstrafen zur Bewährung ausgesetzt. In 96 Verfahren wurde entschieden, die Verkündung des Urteils auszusetzen und in 512 erfolgte ein Freispruch.

Auf die Frage nach Verfahren wegen sexueller Übergriffe und Missbrauch von Minderjährigen antwortete das Ministerium, dass aufgrund solcher Handlungen unter den jugendlichen Gefangenen vier Beamte wegen Amtsmissbrauch zu Haftstrafen und sechs Beamte wegen Verletzung der Dienstaufsicht zu Geldstrafen verurteilt wurden, wobei die Verkündung der Geldstrafen ausgesetzt wurden. Nach den Angaben des Justizministerium befanden sich im Jahre 2012 ca. 2.200 Jugendliche im Gefängnis (409 Verurteilte und 1.797 Untersuchungshäftlinge). Das waren 2010 und 2011 noch mehr (632 Verurteilte und 2.047 Untersuchungshäftlinge im Jahre 2010 und 529 Verurteilte und 1.584 Untersuchungshäftlingen im Jahre 2011).

Staatsrat hebt Einschränkung von freien Besuchen auf

Nach der gleichen Nachricht in Radikal vom 02.08.2012 hat der Staatsrat (Danıştay) die Bestimmung aufgehoben, dass Gefangenen, die neben einer gültigen Verwarnung auch eine Disziplinarstrafe erhielten, keine offenen Besuche[1] gestattet werden, aufgehoben. Im konkreten Fall hatte der politische Gefangen im F-Typ Gefängnis Tekirdağ 2, Erdener D. im Jahre 2010 zwei Mal eine Disziplinarstrafe wegen des Rufens von Parolen erhalten (einmal war ihm für 3 Monate die Kommunikation mit der Außenwelt und das andere Mal der Besuch von Angehörigen für 3 Monate verboten worden). Als seine Frau Selin D. ihn am Neujahrstag besuchen wollte, (hier finden traditionell offene Besuche statt, DTF) war ihr das verwehrt worden. Sie hatte daraufhin den Staatsrat angerufen. Die 10. Kammer des Staatsrats verfügte nun, dass das Justizministerium durchaus bestimmen könne, zu welchen Zeiten, in welcher Sprache Besuche mit wie viel Personen abgehalten werden können, aber nicht das Recht habe, Besuche grundsätzlich zu verbieten.

Offizielle Zahlen zu den KCK Verfahren

Der Justizminister Sadullah Ergin hat eine Anfrage der BDP Abgeordneten für Diyarbakır, Emine Ayna, zu der Zahl der in Verfahren gegen die Union der Gemeinschaften von Kurdistan (KCK) Angeklagten und in U-Haft befindlichen Personen beantwortet. Das berichtete Radikal vom 04.08.2012. Demnach wurden 213 Verfahren eröffnet, in denen 2.146 Personen angeklagt sind. Von den Angeklagten befinden sich 992 in Untersuchungshaft. Der Minister sagte auch, dass unter den Angeklagten 274 Personen mit einem politischen Mandat sind (Dorfvorsteher, Bürgermeister, Funktionäre vo Parteien, Mitglieder kommunaler oder nationaler Parlament).

Zum Vergleich: in dem Bericht Verfahren gegen die Union der Gemeinschaften Kurdistans hatte das DTF im November 2011 Informationen zu gerade mal 26 Verfahren Informationen sammeln können. In diesen Verfahren gab es 1.802 Angeklagte, von denen sich 909 in Haft befanden. In dem im Juli 2012 auf Englisch verfassten Sonderbericht Hintergrund zu den KCK Verfahren konnte das DTF 54 Verfahren auflisten, in denen 1.818 Personen angeklagt und ca. 800 Personen in U-Haft waren. Weitere 155 Personen waren erstinstanzlich verurteilt worden. Fazit: Angesichts der hohen Anzahl von Verfahren, die es laut dem Justizministerium gibt (das Vierfache der Verfahren, die dem DTF bekannt waren), erstaunt die vergleichsweise nur geringfügig abweichende Zahl von Anklagten und Untersuchungshäftlingen.

Intensive Gefechte bei Şemdinli

Seit dem 23. Juli 2012 finden in und um Şemdinli (Kreisstadt in der Provinz Hakkari) intensive Gefechte statt.[2] Nach einem Bericht in Radikal vom 05.08.2012 behauptete der Innenminister İdris Naim Şahin, dass mittlerweile 115 Militante der PKK unschädlich gemacht (getötet) wurden. Bezüglich eines Überfalls der Militanten auf eine Gendarmeriestation im zentralen Kreis von Hakkari sprach er “nur” von 6 getöteten Soldaten und 2 getöteten Dorfschützern. Es seien aber auch 14 Militante getötet worden.

In einer Kolumne in Radikal vom 06.08.2012 sagte der Journalist Cevdet Aşkın, dass vom militärischen Flügel der PKK, den Volksverteidigungskräften HPG zu hören war, dass sie gleichzeitig an 19 Punkten angegriffen hätten. Ihm zufolge verfolge die Organisation die Strategie, dass Gebiet von Botan-Zagros[3] unter Kontrolle zu bekommen. Daher müsse damit gerechnet werden, dass nach Şemdinli bald die Kreise Çukurca, Uludere und Yüksekova zum Ziel von Angriffen werden könnten. Momentan habe die PKK die Oberhand und die Streitkräfte seien bisher nicht in der Lage gewesen, die Entwicklung ins Gegenteil umzuwandeln.

Ebenfalls extreme Zahlen veröffentlichte die HPG für die Monate Juni und Juli 2012. Die Nachrichtenagentur ANF berichtete am 06.08.2012 unter Berufung auf das Pressezentrum der HPG, dass die türkische Armee 55 Operationen zu Lande und 22 Operationen aus der Luft durchgeführt habe (im Juni waren es 53 Operationen zu Lande und 16 aus der Luft). Die Guerilla habe im Juli 2012 53 Aktionen durchgeführt. Die Aktionen der Armee hätten zu 46, die Aktionen der Guerilla zu 30 Gefechten geführt. Dabei seien im Juli 278 Soldaten ums Leben gekommen, während die Guerilla 22 Verluste hinnehmen musste. Die HPG will zudem 5 Hubschrauber der Marke Skorsky im Juli 2012 abgeschossen haben.

Radikal vom 08.08.2012 gab Einzelheiten aus einem Interview wieder, dass der Bürgermeister von Şemdinli, Sedat Töre (von der BDP) dem Radiosender “Voice of America” (kurdische Abteilung) gegeben hatte. Er sprach davon, dass die Gefecht in einem Gebiet von 500 Quadratkilometer stattfinden. In dem Gebiet gebe es 11-12 Dörfer, deren Bewohner entweder zu Verwandten in der Kreisstadt oder in entferntere Gebiete geflohen seien. In der Kreisstadt selber gebe es keine Probleme beim Betreten oder Verlassen aber schon einem Kilometer im Süden der Stadt gebe es aufgrund der Gefechte kein Durchkommen mehr. Den Delegationen der BDP und der CHP sei aus

Sicherheitsgründen ein Betreten dieses Gebietes untersagt worden. Sedat Töre erinnerte daran, dass Şemdinli einer der Orte war, an dem am 15. August 1984 die Kämpfe begonnen hatten. Die Bevölkerung habe viele Gefechte erlebt, aber die jetzt seit 2 Wochen andauernden Kämpfe hätten eine andere Qualität, der als Stellungskampf oder Einnehmen von Gebieten bezeichnet werden könne.

In einer weiteren Kolumne meldete sich Cevdet Aşkın in Radikal vom 09.08.2012 erneut zu Wort. Er teilte die Worte des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AKP, Mahir Ünal nicht. Dieser hatte vom Ende der PKK gesprochen, wenn in Syrien der letzte Unterstützer der PKK, Assad seine Herrschaft aufgeben müsse. Cevdet Aşkın verwies auf die Worte des Vorsitzenden des Volksparlaments von Qamischli, Remziye Hemed, der darauf verwiesen hatte, dass sie inzwischen die Verwaltung übernommen hätten, so dass in Zukunft mit einem kurdischen Teil von Syrien gerechnet werden müsse. Des Weiteren erinnerte er an die Worte des PKK Funktionärs Duran Kalkan, der Şemdinli nur als den Anfang der Offensive bezeichnet hatte. Cevdet Aşkın zufolge möchte die PKK mit ihren Angriffen erreichen, dass Gendarmeriestationen in der Gegend aufgelöst werden, so dass sie eine autonome Region aufbauen können. Es sei allerdings ungewiss, ob das gelinge. Ein Rückweichen sei jedoch für die PKK nicht möglich.

Über 2800 Studenten in Haft

In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des CHP Abgeordneten für Manisa, Özgür Özel, hat der Justizminister Sadullah Ergin angegeben, dass sich mit Stichtag vom 31. Januar 2012 insgesamt 2.824 StudentInnen in Haft befinden, davon 1.778 in U-Haft und 1.046 in Strafhaft. Das berichtete Radikal vom 07.08.2012. Der Minister gab ferner an, dass von ihnen 609 wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation in Untersuchungshaft seien und 178 eine Strafe wegen dieses Vergehen verbüßten. Der Bericht geht auch auf einzelne Schicksale ein. So sei der Student Rıdvan Çelik von der Dicle Universität in Diyarbakir wegen der Beteiligung an 9 Demonstrationen im April 2011 verhaftet worden. Als Beweise wurden Fotos vorgelegt, wo er mit geöffnetem Mund Parolen gerufen haben soll. Die 5. Kammer für schwere Straftaten in Diyarbakır verurteilte ihn deswegen zu 14 Jahren und 7 Monaten Haft.[4]

Am Folgetage relativierte der Justizminister laut Radikal vom 09.08.2012, indem er sagte, dass sich die Zahl von 2.824 Studierenden unter den Gefangenen auf die Zahl derjenigen beziehe, die in ihrer Zeit der Inhaftierung ein Fernstudium an offenen Fakultäten (tr: açık öğretim fakülteleri) betrieben. Es seien aber lediglich 186 von ihnen an einer Universität eingeschrieben. Bezüglich der Zahl von 771 Studenten, die laut einem Bericht einer Initiative der Solidarität mit inhaftierten Studenten (tr: Tutuklu Öğrencilerle Dayanışma İnisiyatifi TÖDİ) in Haft sein sollen, sagte der Minister, dass 33 Namen doppelt aufgeführt wurden, 65 der genannten Personen in Strafhaft seien, 124 seien aus der Haft entlassen worden, 119 befänden sich nicht unter den registrierten Häftlingen, bei 42 Personen fehlten Angaben, die eine Identifizierung ermöglichten, zu 113 Personen gab es keine Information über ihren Ausbildungsstatus und 265 befänden sich in U-Haft (d.h. die Haft von 330 StudentInnen wurde bestätigt).

Entführter Abgeordneter wieder frei

Am 12. August 2012 wurde der Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei, CHP, für die Provinz Tunceli, Hüseyin Aygün auf seinem Weg von Ovacik nach Tunceli von Militanten der PKK entführt. Seine zwei Begleiter (ein Berater und ein Journalist) durften weiterfahren. Knapp 48 Stunden nach seiner Entführung wurde er wieder freigelassen. Darüber berichteten auch deutsche Medien.[5] Der 42-jährige Anwalt Aygün ist als Strafverteidiger in politischen Verfahren aktiv gewesen. Zu seinen Themen gehörten die “Verschwundenen”, die Entvölkerung von Dörfern in seiner Heimatprovinz (auch als Dersim bekannt) im Jahre 1994 und das Massaker an Bewohnern von Dersim im Jahre 1938[6]

Die Entführung von Hüseyin Aygün führte zu Protesten, nicht nur von seiner Partei und anderen Gremien, sondern auch von Menschenrechtsorganisationen wie dem IHD oder TIHV. Dies, so der Politiker nach seiner Freilassung, habe zu einem vorzeitigen Ende seines Freiheitsentzuges geführt. Aygün, der als Parlamentarier Immunität genießt, wollte sich nach seiner Freilassung zunächst nicht gegenüber der Polizei äußern, wie örtliche Sicherheitsbeamte der Nachrichtenagentur AFP sagten. Innenminister Idris Naim Sahin sagte, die PKK wolle mit der Entführung vor dem Jahrestag ihres ersten bewaffneten Einsatzes am 15. August 1984 auf sich aufmerksam machen.

Nach Radikal vom 14.08.2012 sagte der Entführte jedoch, dass es den 6-7 jugendlichen Kämpfern im Alter von 18-25 Jahren darum gegangen sei, dass die Kurdenfrage auf friedliche Weise gelöst werde und die vier im Parlament vertretenen Parteien sich stärker dafür einsetzen. Von ihm hätten sie erwartet, dass er besser als parteiloser Abgeordneter agieren würde, aber er habe geantwortet, dass er dazu unter Bedrohung mit Waffen nichts sagen könne. Aygün kündigte an, dass die CHP in den kommenden Wochen einen detaillierten Plan zur Lösung der Kurdenfrage vorlegen werde. Die Gruppe habe mit Bahoz Erdal gesprochen und dieser habe ihnen befohlen, für seine Sicherheit zu sorgen und ihn nach kurzer Zeit freizulassen.[7]

Radikal vom 17.08.2012 präsentierte Einzelheiten der Entführung, die die Polizei aus dem Funkverkehr unter den Einheiten der PKK dechiffriert habe. Dabei habe der Verantwortliche der PKK für die Provinz Dersim, Serdar Özdemir (Deckname: Seyithan) mehrfach mit Feyman Hüseyin (Deckname: Dr. Bahoz Erdal), der sich in den Kandil Bergen (Nordirak) aufhalten soll, gesprochen. An alle Einheiten sei der Befehl ergangen, dass der revolutionäre Volkskrieg begonnen habe und die Einheiten bei ihren Aktion auch eigene Initiative zeigen sollten. Für die Provinz Dersim seien vor allem Aktionen im Gebiet von Ovacık angemahnt worden. Gegen 14 Ladenbesitzer und Politiker, die sich weigerten, mit der PKK in Kontakt zu treten, sei ein 2-jähriges Handlungsverbot ergangen und etliche hätten daraufhin die Kreisstadt verlassen.

Die Entführung von Hüseyin Aygün wurde von einer 10-köpfigen Gruppe unter der Leitung eines Militanten mit dem Decknamen “Azad” durchgeführt worden. Dieser habe Serdar Özdemir über sein Sprechfunkgerät informiert. Dieser habe wiederum Feyman Hüseyin kontaktiert und dieser habe sich gehörig darüber aufgeregt, dass die Gruppe so etwas gemacht habe. Sie hätten zwar die Anweisung erteilt, dass Menschen entführt werden sollen, aber die Entführung von Hüseyin Aygün sei einfach nicht richtig gewesen. Feyman Hüseyin forderte die alsbaldige Freilassung des Abgeordneten.

Selbstmorde im Militär

Nach einem Bericht in Radikal vom 18.08.2012 hat es in den letzten 2,5 Jahren 175 Selbstmorde unter Soldaten gegeben. Dies gab der Verteidigungsminister İsmet Yılmaz auf eine Anfrage der BDP Abgeordneten für Kars, Mülkiye Birdane an. Für die Jahre 2005-2010 war die Zahl der Selbsttötungen im Militär mit 408 angegeben worden.[8] Hier ging es um den die Jahre 2010, 2011 und die ersten sechs Monate des Jahres 2012. Die 175 Selbstmorde gehörten zu den 252 Todesfällen, die sich im gleichen Zeitraum ereignet hatten (dazu gehörten auch Unfälle und andere Todesursachen).

Zuvor hatte der Minister Yılmaz dem CHP Abgeordneten Veli Ağbaba am 27. April 2012 geantwortet, dass es in den 10 Jahren von 2002-2012 zu 1.470 Todesfällen im Militär gekommen sei, von denen 934 Selbstmorde waren. In dem Monatsbericht Mai 2012 hatte das DTF von einer anderen Anfrage berichtet, die sich auf den Zeitraum von 1990-2012 bezog. In den 22 Jahren gab es 3.813 Todesfälle im Militär, von denen 2.221 Selbstmorde waren.[9]

In 24 Jahren wurden 561 kurdische Minderjährige getötet, 181 davon während der AKP-Regierung

Nach einem Bericht in Evrensel vom 11.08.2012 hat die Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD Diyarbakir einen Bericht veröffentlicht, nach dem in der Zeit von 1988 bis zur Gegenwart insgesamt 561 kurdische Minderjährige getötet wurden, ein großer Teil davon durch Militär- oder Polizeikräfte. Besonders hoch waren die Zahlen Anfang der 90er Jahre. Allein zwischen 1992 und 1994 wurden 295 kurdische Minderjährige ermordet. Aber auch seit dem Amtsantritt der AKP-Regierung wurden insgesamt 181 kurdische Kinder und Jugendliche getötet.

Jahr: Anzahl der getöteten Minderjährigen
1988 : 1, 1989 : 2 , 1990 : 21, 1991 : 15 , 1992 : 117 , 1993 : 79 , 1994 : 99 , 1995 : 11 , 1996 : 7 , 1997 : 7 , 1998 : 5 , 1999 : 12 , 2000 : 3 , 2001 : 1 , 2002 : 18 , 2003 : 12, 2004 : 12 , 2005 : 12 , 2006 : 23 , 2007 : 9 , 2008 : 17 , 2009 : 21 , 2010 : 16 , 2011 : 33 , 2012 (bis zum 11. August): 8

insgesamt: 561

In diesem Jahr wurden bisher insgesamt acht kurdische Kinder und Jugendliche getötet, drei von ihnen allein im August. So starb am 4. August der elfjährige Mazlum Akay in Adana. Er wurde durch eine von der Polizei geworfene Gasgranate so schwer verletzt, dass die Ärzte im Krankenhaus sein Leben nicht mehr retten konnten. Am 6. August dieses Jahres starb die achtjährige Seray Yavuz durch eine Explosion in Mûş, als sie mit einem Blindgänger des türkischen Militärs spielte. Und am 7. August wurde der dreizehnjährige Vesim Zengin durch Schüsse von Soldaten in Caldiran (Provinz Van) nahe der iranischen Grenze getötet. Bei den beiden Fällen in Adana und Caldiran ist es sehr klar, dass sie von Sicherheitskräften getötet wurden. Es stellt sich die Frage ob in den beiden Fällen eine Strafverfolgung eingeleitet wurde.

Laut des Berichts des IHD wurde bei keinem der Todesfälle von kurdischen Minderjährigen die dafür Verantwortlichen vor einem Gericht zur Rechenschaft gezogen. Selbst in Fällen, in denen der IHD Diyarbakir selbst die Taten vor Gericht gebracht hat, wurden die Anklagen entweder sofort wieder eingestellt oder an Militärgerichte weitergeleitet, wo sie ebenfalls schließlich eingestellt wurden. Nach Meinung des IHD legt die juristische Nichtverfolgung der für die Morde Verantwortlichen den Schluss nahe, dass diese unter dem Schutz der jeweiligen türkischen Regierung stehen.

In 10 Jahren 10.000 Minderjährige vor Sondergerichten angeklagt

Das Justizministerium hat eine Anfrage des Abgeordneten Turgut Dibek der CHP für Kirklareli zu Minderjährigen, die während der Regierungszeit der AKP in politischen Verfahren angeklagt wurden, in der Form beantwortet, dass von 2002 bis Ende 2011 9.731 Minderjährige unter 18 Jahren in Verfahren an Staatssicherheitsgerichten (bis 2004) und danach an Sondergerichten angeklagt waren. Nach Berichten der Zeitung „Taraf“ sind es mehr als 10.000 Minderjährige, wenn die im Jahr 2012 angeklagten Jugendlichen hinzu gerechnet werden.[10]

Dabei hat die Zahl der 2012 verurteilten Minderjährigen zugenommen. So wurden von 2.036 der im Jahr 2009 angeklagten Minderjährigen 1.522 verurteilt. Justizminister Sadullah Ergin gab folgende Auskunft über die Anzahl der in politischen Verfahren Angeklagten:

Jahr Verfahren Angeklagte
gesamt
Minderjährige Verurteilte
gesamt
Minderjährige
2002 5.390 16.481 358 7.986 129
2003 5.784 16.382 545 5.855 93
2004 5.267 14.926 134 3.645 13
2005 3.983 12.169 150 3.907 12
2006 6.433 21.710 474 6.404 23
2007 7.502 29.574 900 8.509 211
2008 7.138 27.636 948 9.823 178
2009 7.238 29.242 2.036 35.362 1.589
2010 7.003 31.732 3.312 33.405 1.522
2011 6.920 26.379 874 38.221 166
Summe 62.658 226.231 9.731 153.117 3.936

 

Demokratisches Türkeiforum e. V.
Langenhagen 49, 33671 Bielefeld
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[1]             Hiermit sind in der Regel Besuche ohne Trennscheibe und direkter Überwachung (Mithören) gemeint, DTF.

[2]             Das kann u.a. in den Tagesberichten in Türkisch oder den Tagesberichten in Englisch nachgelesen werden.

[3]             Mit dem Gebiet Botan (Name eines Flusses in der Provinz Siirt) verstehe Kurden im Wesentlichen die Provinzen Siirt, Şırnak, Hakkâri und Van, DTF.

[4]             Vergleiche hierzu den Tagesbericht der TIHV für den 17.-20.11.2001 (in Englisch). Weitere Fälle sind im Sonderbericht Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei vom November 2011 enthalten. Unterdessen wurde die aus Frankreich stammende Studentin Sevil Sevimli, die am 10. Mai 2012 verhaftet worden war, wieder freigelassen. Das berichtete die Nachrichtenagentur ANF vom 06.08.2012

[5]             So zum Beispiel die Deutsche Welle oder der Stern

[6]             Die Angaben sind seiner Homepage http://www.huseyinaygun.org/ entnommen. Siehe auch einen entsprechenden Artikel bei Wikipedia.

[7]             Nach dem Eintrag bei der deutschen Wikipedia handelt es sich bei ihm um einen aus Syrien stammenden Arzt, der eine führende Position bei der PKK bekleiden soll. Sein bürgerlichem Name ist Fahman Husain, in den türkischsprachigen Medien geschrieben als Fehman Hüseyin.

[8]             Das hatte das DTF in seinem Monatsbericht Februar 2011 gemeldet.

[9]             Neben einem Sonderbericht Zweifelhafte Tode im Militär vom Juni 2008 existiert auch eine Seite Folter und Todesfälle beim Militär, auf der Fälle von 2006-2009 aufgeführt sind. Weitere Berichte sind u.a. auf den Seiten Meldungen im April 2010, Meldungen im Juni 2011, Meldungen im März 2012 und Meldungen im Mai 2012 enthalten.

[10]           Die Meldung stammt von Bianet vom 31.08.2012, die komplette Nachricht in Taraf vom 31.08.2012 ist nur für AbonnentInnen einsehbar.