Das Schweigen der Linken um Palästina in Syrien / medico international

Nachruf auf Khaled Bakrawi von Budour Hassan : Anfang 2013 verschleppt, starb Khaled Bakrawi am 11. September 2013 an den Folgen der Folter.

Vorbemerkung von Martin Glasenapp:

Es betrifft nicht nur die offiziellen Vertretungen der palästinensischen Nationalbewegung, ob nun die PLO oder einzelne politische Organisationen, auch große Teile der internationalen Solidaritätsbewegung mit Palästina schweigen, wenn es um Syrien im Allgemeinen, oder um die Lage der Palästinenser in Syrien im Besonderen geht. Dabei sind die palästinensischen Syrerinnen und Syrer – oder die syrischen Palästinenserinnen und Palästinenser, wie man will – längst in den innersyrischen Bürgerkrieg involviert. Nicht wenige von ihnen haben sich der sozialen Rebellion gegen das Regime angeschlossen, wohl wissend um die besondere palästinensische Lesart der Historie der syrischen „Widerständigkeit“.

Andere Gruppen stehen weiterhin treu an der Seite des Regimes und ihre Milizen kämpfen sogar innerhalb der syrischen Armee. Viele Palästinenserinnen und Palästinenser sind bereits Opfer dieses inneren Krieges: Über 1.000 verloren ihr Leben, unzählige andere sind vor den Kämpfen, den Bombardierungen, der anwachsenden Not und allgemeinen Lebensunsicherheit in den Libanon geflohen. Viele dieser Flüchtlinge kommen aus dem Yarmouk-Camp im Süden von Damaskus, dem größten palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien.

In Yarmouk ist seit Jahren die zivile und gemeindeorientierte Hilfsorganisation Jafra aktiv. Die Aktivistinnen und Aktivisten von Jafra haben einen säkularen, linken Hintergrund und setzten sich seit dem Moment, in dem bewaffnete Rebellen in das Flüchtlingslager eindrangen und palästinensische regimenahe Milizen herausforderten, für eine konsequente Entwaffnung innerhalb des Camps ein. Jafra ging es darum, den öffentlichen Raum für zivile Protestformen weiter zu schützen, aber auch das Camp vor seiner drohenden Zerstörung zu bewahren. Zudem hatten seit dem Sommer 2012 viele syrische Anwohner aus benachbarten Stadtvierteln, in denen bereits Häuserkämpfe stattfanden, in Yarmouk Schutz gesucht.

Jafra versuchte für diese Flüchtlinge eine solidarische Nachbarschaftshilfe bereitzustellen, die von medico finanziell mit ermöglicht wurde. Einer ihrer bekanntesten Aktivisten war Khaled Bakrawi, ein Mitbegründer von Jafra, der sich auch besonders in der palästinensischen Jugendbewegung engagierte. Anfang des Jahres wurde er vom syrischen Geheimdienst verhaftet, nun gab Jafra unter großer Trauer seine Ermordung bekannt. Die doppelte Bitterkeit dieses Todes liegt in der Tatsache, dass sowohl die internationale Solidaritätsbewegung zu Palästina wie auch die palästinensischen Autoritäten den Mord an Khaled Bakrawi missachten. Wäre Bakrawi in einem israelischen Gefängnis gestorben, wäre ihm ein Platz im Pantheon des palästinensischen Widerstands sicher gewesen. Aber er starb in einem Folterkeller des syrischen Regimes, das sich jahrzehntelang als Schutzmacht und Garant der palästinensischen Sache verstanden hat. Und selbst wenn die palästinensische Bewegung aus ihrer aktuellen Position der Schwäche möglicherweise ein taktisches Schweigen gegenüber den syrischen Verbrechen vorzieht, warum bleibt eine internationale Solidaritäts- und Friedensbewegung zu Palästina dagegen stumm, die sich – gerade auch im Westen – gänzlich frei äußern könnte?

Budour Hassan, ein aus Jerusalem stammender palästinensischer Anarchist, der aktuell in Italien studiert, hat einen bitteren Nachruf auf Khaled Bakrawi geschrieben. Er erinnert an einen großartigen und selbstlosen Menschen und kann zugleich seine Abscheu vor denen nicht verhehlen, die ihre Solidarität und ihr Engagement in Syrien einseitig konditionieren – gegen einen drohenden Krieg, aber in der Konsequenz auf Seiten eines „antiimperialistischen“ Regimes und damit gegen die sozialen und politischen Belange der Menschen. medico dokumentiert diesen Nachruf, obwohl Budour Hassan bezüglich Israels auch den Begriff „zionistische Besatzer“ nutzt. Wir selbst gebrauchen diesen Begriff aus guten Gründen nicht.