Das neue Libyen & die 10 gängigsten Gaddafi Mythen

Heute ist der 2. Jahrestag der libyschen Revolution. Im “Daily Beast” schrieb Fuoad Ajami, dass der Westen von einer perversen “Gaddafi-Nostalgie” umgeben sei. Er nannte als Beispiele Artikel in der “Financial Times” und der “New York Times”. Aber Gaddafi-Nostalgiker, die auch die Intervention in Libyen als dummen Fehler betrachten, findet man natürlich vor allem im Internet. In vielen Internetseiten verbreitete sich eine Liste von Propagandamythen, die die 42-jährige Herrschaft von Gaddafi glorifizierten. Staunen sie selbst über “Gaddafis politisches Testament“ – Die Mutter aller Propaganda.

Die 10 gängigsten Gaddafi-Mythen sind:

1. Gaddafi hat seinem Land Wohlstand und Bildung gegeben.

2. Gaddafi war ein säkularer Herrscher.

3. Gaddafi zeigte Toleranz gegenüber Schwarzafrikanern.

4. Die Mehrheit der Libyer stand hinter Gaddafi.

5. Gaddafi hat keine Verbrechen am eigenen Volk begangen.

6. Die NATO und die Rebellen haben Verbrechen am Volk begangen.

7. Libyen wird ein Failed State werden.

8. Dem Westen ging es nur um das libysche Öl.

9. Gaddafi hat für Stabilität in der Region gesorgt.

10. Der Krieg in Mali ist eine Folge der Intervention in Libyen.

Schauen wir uns mal einige dieser Mythen genau an und prüfen nach, ob die Gaddafi-Nostalgiker Recht haben.

1. Gaddafi hat seinem Land Wohlstand und Bildung gegeben.

Tatsächlich war Libyen das Land mit dem höchsten Entwicklungsstand in Afrika. Aber wer so was behauptet, muss auch den Grund dafür nennen, wie dieser für afrikanische Verhältnisse große Wohlstand zustande kam: Libyen ist ein Land mit nur 6,5 Millionen Einwohnern und 45 Milliarden Barrel Öl. Von daher ist es nicht ökonomischen Wundertaten des Gaddafi-Clans zuzuschreiben, dass es den Libyern unter Gaddafi gelang, einen höheren Gesundheits- und Bildungsstandard zu erreichen als vor ihm.

Und dennoch sind viele Mythen über Gaddafis Herrschaft frei erfunden. Es gab keinen kostenlosen Strom, es gab keine 50.000 Dollar Heiratsgeld, keine 5.000 Dollar Kindergeld, ein Heim/Zuhause zu haben war kein Menschenrecht, es wurde nichts vom libyschen Ölverkauf direkt an die Konten der Bürger gutgeschrieben und das Bildungs- und Gesundheitssystem waren auch nicht herausragend. 40% der Libyer lebten unterhalb der Armutsgrenze, 30% waren arbeitslos. Die Analphabetenrate der Frauen lag bei 29% und die der Männer bei 8%, insgesamt 17%.

2. Gaddafi war ein säkularer Herrscher.

Stimmt nicht so ganz:

– Der Koran war laut Artikel 2 die Rechtsgrundlage der Verfassung.

– Im Personen-, Familien- Erb- und Strafrecht galt die Scharia.

– Polygamie war erlaubt- Homosexualität war strafbar.

– Zina (Ehebruch und Unzucht) wurden mit 100 Stockhieben bestraft, auch die Verleumdung wegen Zina war strafbar.

– Ein Christ musste konvertieren, wenn er einen Muslim heiraten wollte. Christliche Missionierung war verboten.

– Bei Apostasie folgte die Aberkennung der Staatsbürgerschaft.

Auf seiner Website sagte Gaddafi u.a.:

“Die Türkei ist ein trojanisches Pferd auf dem Weg zur Islamisierung Europas”

“Europa bleibt ohnehin nichts anderes übrig, den Islam irgendwann zu akzeptieren oder Krieg gegen die Muslime zu führen”

“Der Islam ist das Schicksal der Welt”

3. Gaddafi zeigte Toleranz gegenüber Schwarzafrikanern.

Oliver Grote:

“Sicherlich haben die Mitglieder der Friedensbewegung nur übersehen, dass im Jahr 2000 bei Ausschreitungen in Libyen 50 afrikanische Migranten getötet wurden. Möglicherweise haben sie nicht Gaddafis „Grünes Buch“ gelesen, in dem es heißt: Schwarze seien von Natur aus „träge und schwerfällig“ und neigten dazu, sich grenzenlos fortzupflanzen. Die 2006 verteilte staatliche Broschüre „Efforts of the Great Jamahiriya in Dealing with Illegal Migration Problem [sic!]”, in der pauschal afrikanische Migranten für Probleme der libyschen Gesellschaft wie Prostitution und Drogenhandel verantwortlich gemacht werden, scheinen sie ebenfalls nicht zu kennen.

Wie es um den Rassismus unter Gaddafi tatsächlich bestellt war, fasst die Ethnologin Isabelle Werenfels in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik von 2008 wie folgt zusammen: „Der Rassismus ist eklatant, in der Gesellschaft dominiert die Wahrnehmung, dass alle neueren Mißstände, wie Kriminalität, Drogenkonsum, Verfall der Sitten und Prostitution, von den Migranten verursacht wurden. Auch das offizielle Libyen bläst mehr und mehr in dieses Horn.“ Human Rights Watch und Amnesty International berichteten ebenfalls immer wieder von massiver staatlicher Willkür gegenüber Migranten, Minderheiten und politischen Gegnern.”

4. Die Mehrheit der Libyer stand hinter Gaddafi.

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass sich Diktatoren immer sicher sind, die Mehrheit des Volkes hinter sich zu haben, aber dennoch niemals freie Wahlen zulassen. Vielleicht wissen sie, dass mit Hugo Banzer nur ein Diktator auf demokratischem Wege wiedergewählt wurde – und das 19 Jahre nach dem Ende seiner Diktatur. Die ganzen Massenkundgebungen, die alle Tyrannen, von Hitler bis Kim Jong-Il, für die Weltöffentlichkeit inszenieren, sind nicht repräsentativ, denn wenn es nicht erlaubt ist, gegen die Regierung zu demonstrieren, ist es unmöglich, die andere Seite zu sehen.

5. Gaddafi hat keine Verbrechen am eigenen Volk begangen.

Der Grund für die Intervention in Libyen war der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Die Gaddafi-Nostalgiker meinen, dass die Verbrechen von Gaddafi nur Propagandamärchen waren. Tatsächlich haben die Rebellen Propaganda betrieben. Die Zahl von 6.000 durch Gaddafis Truppen getötete Libyer erwies sich nachher als weit übertrieben. Dennoch steht es außer Frage, dass Gaddafis Truppen mit Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgingen und dass sie dabei Kriegsverbrechen verübten.

Vor einem Genozid werden die zukünftigen Opfer immer entmenschlicht. Gaddafi nannte die Aufständischen “Ratten” und “Kakerlaken” und drohte mit “Säuberungen von Haus zu Haus” (!). Nach Angaben von Peter Scholl-Latour hätte Gaddafi den Aufstand innerhalb von 14 Tagen „weggefegt, wenn die französischen Bomber nicht noch vor dem Abschluss der politischen Beratungen in Paris die Panzerkolonnen Gaddafis zusammengeschossen hätten“. Als die Bomber zu ihrem Einsatz flogen, seien Gaddafis Panzer nur noch wenige Kilometer von Bengasi entfernt gewesen.

6. Die NATO und die Rebellen haben Verbrechen am Volk begangen.

Die höchste je genannte Zahl von Kriegstoten auf einer Gaddafi-Fanseite stammt von “Politaia.org” und liegt bei 150.000 (diese Zahl wurde auch in der “Pravda” genannt). In den meisten anderen Gaddafi-Fanseiten wurde die Zahl von 100.000 angegeben, ohne dabei Quellen anzugeben. In “Hinter der Fichte” wurde mit Verweis auf einen Tagesschau-Bericht, in der 50.000 Tote und 40.000 Vermisste angegeben wurden, von “90.000 Kriegstoten” gesprochen. Und immer, wirklich immer, wurden ausschließlich die NATO und die Rebellen für diese Toten verantwortlich gemacht.

Nicht mal die Gaddafis haben solche irren Zahlen angegeben. Ein libyscher Regierungssprecher sprach am 1. Juni von 718 Toten durch NATO-Luftangriffe, ein Generalstaatsanwalt am 13. Juli von 1.108 Toten. Das libysche Staatsfernsehen sprach im September von 2.000 Toten in Sirte. Wie glaubwürdig diese Zahlen sind, kann man daran erkennen, dass das libysche Staatsfernsehen nachweislich Beerdigungen mit Fake-Toten inszenierte und Gaddafi ein Kind, dass durch ein Verkehrsunfall umgekommen war, als “Bombenopfer” präsentieren ließ. Und selbst wenn Gaddafis Zahlen wahr gewesen wären, sind sie noch deutlich unter 100.000.

Die von offizieller Seite höchste je genannte Zahl von Kriegstoten stammt von den Rebellen – ein Sprecher sagte Ende August “50.000 sind im Kampf gegen Gaddafi gefallen”. Bei dieser Aussage handelte es sich wohl um Propaganda, eine Woche später sprach man von “30.000 Toten und 4.000 Vermissten”. Bereits zu dieser Zeit wurden diese Zahlen angezweifelt. Man würde mehr Märtyrer als Leichen zählen, hieß es. Und in all diesen Zahlen wurden auch keine Angaben gemacht, wie viele von Gaddafis Truppen und wie viele von der NATO oder den Rebellen umgebracht wurden.

Wie viele Menschen hat die NATO in Libyen wirklich umgebracht? In einem Interview mit dem NDR äußerte sich der Human Rights-Watch-Mitarbeiter Peter Bouackert u.a. zu diesem Thema. Bouackert sagte, dass es nach seinen Informationen etwa 50-100 zivile Opfer durch NATO-Luftangriffe gegeben hat. Er zitierte auch einen detaillierten Bericht in der New York Times, in dem ähnliche Zahlen genannt wurden. Bouackert sagt weiterhin, dass diese Zahlen im Vergleich zu Kosovo, Afghanistan und Irak “auffallend niedrig” waren, kritisiert aber die NATO dafür, dass sie so tut, als hätte es überhaupt keine zivilen Opfer gegeben. Er resümiert:

In den Kriegen im Irak oder in Serbien und dem Kosovo sind viele Hundert Menschen bei den Luftschlägen ums Leben gekommen. Die Fehler, die die NATO-Teams damals gemacht haben, waren viel größer. Oft hat sich die NATO damals auf altes Aufklärungsmaterial gestützt. Zum Beispiel wurde ein Haus identifiziert, in dem eine hochrangige Person wohnt, dieses Haus wurde Stunden später angegriffen, als die Person längst nicht mehr dort war. Also in diesen beiden Einsätzen haben wir Zwischenfälle gesehen, bei denen bei einem einzigen Angriff mehrere Dutzend Menschen getötet wurden. Diese Interventionen waren viel blutiger.

Die Zahl der Kriegstoten wurde vom libyschen “Ministerium für Märtyrer” im Januar 2013 nach unten korrigiert. Es seien nachweislich 4.700 Rebellen getötet worden und 2.100 werden vermisst. Auf Seiten der Gaddafi-Kämpfer könnten die Zahlen ähnlich groß sein. Somit kommen wir auf etwa 10-15.000 Tote durch den Krieg (Wikipedia kommt 14.872 bis 18.873), darunter 50-100 (weniger als 1%) durch die NATO. Man vergleiche diese Zahlen mal mit der Aussage: “Die NATO hat 100.000 Libyer getötet!”

7. Libyen wird ein Failed State werden.

Um das zu beurteilen, müssen wir uns noch gedulden. Die staatliche Gewalt ist in vielen Teilen noch immer nicht wieder hergestellt, und es gibt noch immer Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen. Doch die Libyer haben gezeigt, dass sie bereit sind, es gegen diese Milizen aufzunehmen, als sie nach dem Mord an Christopher Stevens ein Islamistencamp anzündeten und die Milizionäre vertrieben. Es dauert außerdem nach einem Bürgerkrieg immer etwas, bis eine funktionierende Verwaltung und Armee wiederhergestellt ist.

Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung haben islamistische Parteien gerademal 14% der Stimmen bekommen, und kurz darauf kam es zum ersten Mal in der libyschen Geschichte zu einem friedlichen Machtwechsel, als der Nationale Übergangsrat seine Macht abgab. Es gibt heute auch mehr Meinungsfreiheit als früher und dank des Öls wird es in Zukunft wohl auch keine wirtschaftlichen Probleme in Libyen geben. Die Ölproduktion ist heute wieder so hoch wie zu Gaddafis Zeiten.

8. Dem Westen ging es nur um das libysche Öl.

Die These, dass es beim Krieg nur um Öl ging, ist ziemlich unschlüssig: Westliche Firmen haben vor dem Aufstand glänzende Geschäfte mit Gaddafi gemacht, eigentlich hätten sie dann auf Seiten Gaddafis in den Krieg ziehen müssen. Die Produktion kam durch den Krieg quasi zum Stillstand, so dass westliche Firmen während dieser Zeit keine Gewinne machen konnten. Es gab auch keine Gewissheit, dass die Rebellen genauso großzügig mit dem Öl umgehen würden als Gaddafi.

Warum sollte man auch einen Grund suchen, um dort einzumarschieren, um jemanden zu stürzen, mit dem man sich gut arrangiert hat, um dann Leute an die Macht zu bringen, die einen hassen? Um dann später einen Grund zu haben, wieder dort einzumarschieren? Aber wozu ein weiterer Krieg gegen Libyen? Man hat doch schon das Öl, da braucht man doch keinen weiteren, teuren Krieg mehr! Bei jeder Intervention des Westens heißt es sofort, es geht nur um Rohstoffe. Das ist wie ein Reflex.

9. Gaddafi hat für Stabilität in der Region gesorgt.

Gaddafi unterstütze zahlreiche mörderische Diktatoren und Terrororganisationen in Afrika und Lateinamerika. Gaddafis „Revolutionäres Weltzentrum“ in der Nähe von Bengasi wurde zum „Harvard und Yale einer ganzen Generation von afrikanischen Revolutionären“ wie z.B. den Massenmördern Charles Taylor aus Liberia, Foday Sankoh aus Sierra Leone, Laurent Kabila aus dem Kongo und Blaise Compaoré aus Burkina Faso. In Lateinamerika unterstützte er die Terroristen der FARC und die Sandinisten aus Nicaragua.

Friedensverhandlungen mit Israel bezeichnete Gaddafi als Verrat, im September 1995 ließ er aus Strafe für den Friedensprozess rund 30.000 Palästinenser aus Libyen vertreiben und riet anderen Ländern, es ihm gleichzutun. Er erkannte weder Israel noch die palästinensische Autonomiebehörde an, stattdessen strebte er eine Einstaatenlösung an. Im Jahr 2007 drohte er damit, Palästinenser nach Gaza zu deportieren. Darüber hinaus war er auch jahrelang im internationalen Terrorismus tätig:

– Der Lockerbie-Anschlag forderte 270 Opfer.

– Der Anschlag auf den UTA-Flug 772 tötete 170 Menschen.

– Der Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle kostete 3 Menschen das Leben.

– Er finanzierte die Geiselnahme beim OPEC-Treffen in Wien 1975.

10. Der Krieg in Mali ist eine Folge der Intervention in Libyen.

Der Krieg in Mali hat seine Wurzeln im Januar 2012, als eine neue Rebellion der Tuareg begann, die von der Rebellengruppe MNLA angeführt wurde. Im März putschte das Militär gegen den Präsidenten Traore, weil dieser zu lasch gegen die Rebellen vorging. Die MNLA nutzte das Chaos und übernahm die Kontrolle über den Norden, wo sie im April den Staat “Azawad” ausriefen. Ab dem April wurde die MNLA dann von islamistischen Rebellengruppen vertrieben, die sich überwiegend aus 3 Gruppen zusammensetzten: Die Ansar Dine, die MUJAO und der al-Qaida im Maghreb (AQIM).

Viele geben der NATO-Intervention in Libyen die Schuld für das Chaos in Mali, da die MNLA für Gaddafi gekämpft hatten, bevor sie nach Mali zurückkehrten. Doch diese Ansicht ist nicht gerechtfertigt. Nicht nur, dass es ohne den Militärputsch wohl nicht zu dem Chaos in Nordmali gekommen wäre, die islamistischen Rebellen – die ja das eigentliche Problem sind – wurden wahrscheinlich vom algerischen Geheimdienst DRS geschickt, dass gute Beziehungen zu Ansar Dine und AQIM haben soll.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, diesem Massenvergewaltiger, Terroristen, radikalen Antisemiten, Kleptokraten und blutigen Imperialisten auch nur eine Träne nachzuweinen. Der Krieg gegen Gaddafi war ein gerechter und die Libyer haben nun die Chance erhalten, ihr Land neu zu gründen und sich von 42 Jahren Gaddafi-Diktatur zu verabschieden. Hoffen wir, dass die Libyer diese Chance nutzen werden.

http://arprin.wordpress.com/2013/02/17/bye-bye-gaddafi/