CHAPTER : THE LAST DAYS OF EUROPE ! MESOP NEWS ANALYSE: „HANDELSKRIEG“ vs. Handelskrieg (IM GLASHAUS)

„Übersehen wird in der europäischen Diskussion, dass man in der Handelspolitik eher im Glashaus sitzt. Allein im Stahlbereich sind mehr als 40 Produktbereiche durch Strafzölle der EU geschützt. Insgesamt ist die EU bisher jedenfalls eindeutig stärker protektionistisch ausgerichtet als die Vereinigten Staaten“

STANDPUNKT Strafzölle: Die EU im Glashaus – Von Henning Klodt – Henning Klodt leitete bis 2017 das Zentrum Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

Die Europäische Union rüstet sich für einen Handelskrieg. Nachdem Präsident Trump umfassende Einfuhrzölle auf Importe von Stahl und Aluminium angekündigt hat, will man zurückschlagen. Doch fällt es nicht leicht, nordamerikanische Industrieprodukte zu identifizieren, die man sanktionieren könnte, denn es gibt ja kaum noch Industriegüter, die Europa aus den Vereinigten Staaten importiert.

Unsere Importseite wird dominiert von immateriellen Gütern aus dem Finanzsektor und aus dem Angebot von Google, Microsoft oder Amazon. Hier sind traditionelle Handelshürden kaum praktikabel. So ist man im Berlaymont auf Harley Davidson, Whiskey und Kartoffeln gekommen. Das wird die amerikanische Administration kaum in Angst und Schrecken versetzen.

Übersehen wird in der europäischen Diskussion, dass man in der Handelspolitik eher im Glashaus sitzt. Allein im Stahlbereich sind mehr als 40 Produktbereiche durch Strafzölle der EU geschützt. Insgesamt ist die EU bisher jedenfalls eindeutig stärker protektionistisch ausgerichtet als die Vereinigten Staaten. Die öffentliche Wahrnehmung dagegen ist eine andere. Man erinnere sich an Trumps Auftritt auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar. Im Reisegepäck hatte er spektakuläre Importzölle gegen China und Südkorea, die mittlerweile in Kraft gesetzt wurden. Konkret ging es darum, Importe von Solarpanelen, die vorwiegend aus China kommen, mit einem Zoll von 30 Prozent zu belegen. Und für Waschmaschinen, die vorwiegend von den südkoreanischen Konzernen Samsung und LG in die Vereinigten Staaten exportiert werden, verkündete er einen Importzoll von 50 Prozent.

Da war es wie Balsam für die Beobachter des Weltwirtschaftsforums, wie Bun-deskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede die Fahne des Freihandels hochhielt. Europa werde sich nachdrücklich gegen jegli-che Versuche stellen, die Prinzipien des freien Handels aufzugeben und im Sumpf nationaler protektionistischer Handelspolitiken versinken zu lassen. In China mag man sich ob dieser Rede verwundert die Augen gerieben gaben.

Denn die EU selbst schützt ihre heimische Industrie seit Jahren schon mit einer Kombination aus Mindestpreisen und Strafzöllen von fast 50 Prozent gegen den Import chinesischer Solarpanele. Darüber hinaus werden zahlreiche weitere Produkte aus China mit Strafzöllen belegt, angefangen bei den erwähnten Stahlerzeugnissen (22-91 Prozent) über Lebensmittel und Lebensmittelzusätze (35-126 Prozent; Letzterer gilt für Süßstoff, bei dem der zum Celanese-Konzern gehörende Frankfurter Hersteller Nutrinova um seine monopolähnliche Weltmarktposition fürchtet) bis hin zu chemischen Produkten (22-72 Prozent): Besonders schutzwürdig erscheinen der EU auch Bügelbretter, für die ein Zoll von 42 Prozent gilt, wenn sie aus China kommen. Nicht zu vergessen schließlich das europäische Trachtenleder, das mit einem Zoll von 59 Prozent gegen Billigimporte aus China geschützt ist.

Im Glashaus sitzt die EU auch bei der Handelspolitik im Automobilbereich. Trump hat ja wiederholt öffentlich beklagt, dass auf der Fifth Avenue vor jedem Haus ein Mercedes-Benz stehe, aber kaum ein einziger Chevrolet in deutschen Metropolen zu sehen sei. Dabei hätte er durchaus die Möglichkeit, mit dem Finger auf die EU-Handelspolitik zu zeigen. Er hätte darauf hinweisen können, dass die EU auf importierte Personenwagen Einfuhrzoll von 10 Prozent erhebt, die Vereinigten Staaten dagegen nur 2,5 Prozent. Die in Amerika so beliebten Pick-ups werden von der EU gar als Lastwagen eingestuft und daher mit einem Einfuhrzoll von 22 Prozent belegt. Angesichts der hohen EU-Zölle auf amerikanische Pick-ups (die den meisten Amerikanern und auch immer mehr Europäern eher als besonders große Personenwagen denn als Lkw erscheinen) gewinnt man den Eindruck, dass die in Eu-ropa über den amerikanischen Protektionismus vergossenen Tränen einen deutlichen Schuss Krokodilstränen enthalten.

Einen schweren Denkfehler begeht die Trump-Administration allerdings, wenn sie glaubt, mit Schutzzöllen verlorengegangene Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten zurückholen zu können. Gegen diese merkantilistischen Vorstellungen spricht nicht nur die ökonomische Theorie, sondern praktische Erfahrung. In Deutschland wurde über Jahrzehnte ver-geblich versucht, mit Reederbeihilfen, mit strikten Importquoten für Steinkohle und mit Kohlepfennigen den Arbeitsplatzschwund in Schiffbau und Bergbau zu verhindern; in Großbritannien war es die Automobilindustrie, die trotz Subventionen und Local-content-Regelungen immer bedeutungsloser wurde; in Frankreich stemmt sich die Politik bis heute erfolglos mit Protektionsmaßnahmen gegen das Schrumpfen der heimischen Filmproduktion.

Sollten die Amerikaner auch noch drastische Einfuhrzölle auf Autoimporte erheben, würden sicherlich viele Arbeitsplätze in Mexiko und auch manche in Deutschland verlorengehen, aber nicht an amerikanische Industriearbeiter, sondern bestenfalls an amerikanische Industrieroboter. Die „Vergessenen” aus dem mittleren Westen hätten davon eher nichts.

Auf längere Sicht wäre es vor allem die amerikanische Autoindustrie selbst, die den Schaden hätte. Sie ist eingebunden in ein globales Wertschöpfungsnetzwerk von Zulieferern. Würde die Protektionspolitik die Hersteller von diesem Netzwerk abschneiden, könnten diese vermutlich weder ihre Preise noch ihre Qualitätsstandards halten. Und es würde ihnen der Wettbewerbsdruck fehlen, ohne den Effizienz und internationale Konkurrenzfähigkeit der Automobilindustrie schleichend erodieren könnten. Dann hätten die „Vergessenen” nicht nur keine Jobs, sondern fänden auch keine bezahlbaren Autos mehr.

In der EU-Kommission wie in der deutschen Bundesregierung ist die Neigung groß, ebenfalls dem merkantilistischen Denkfehler der Trump-Administration zu verfallen. Es sei nicht hinzunehmen, so heißt es, dass die weltweiten Investitionsströme zu Lasten Europas nach Nordamerika umgelenkt würden. Ob man dieser Entwicklung allerdings mit Strafzöllen auf Motorräder und Whiskey wirksam begegnen kann, darf bezweifelt werden.

Henning Klodt leitete bis 2017 das Zentrum Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.