BETRUG & VETTERWIRTSCHAFT IN DER LINKSPARTEI / SAHRA & DIE ALIMENTE

Eine ziemlich linke Nummer in der Linkspartei

Ralph Niemeyer, Ex-Mann von Sahra Wagenknecht, hat viel Ärger mit Gläubigern und der Justiz. Doch die Parteiprominenz hilft ihm so großzügig, dass ein Fall von Vetternwirtschaft offen wird. – Von Martin Lutz und Uwe Müller  – DIE WELT – 8.9.2013

Am Freitag, dem 13. September, sind sie wieder ein Paar. Sahra Wagenknecht, Vizechefin der Linksfraktion und der Partei, eilt an diesem Tag nach Wilhelmshaven, um Ralph Thomas Niemeyer zu unterstützen. Niemeyer bewirbt sich in der Stadt am Jadebusen als Kandidat für den Bundestag; Wagenknecht ist auf seiner Hauptkundgebung der größte Trumpf.

Sie, seine Ex-Frau, soll ihm ein respektables Ergebnis ermöglichen. Selbst wenn es mit dem Einzug ins Parlament nichts werden sollte: Im kommenden Jahr ist Europawahl. Und da sollte es klappen, muss es klappen.

Wagenknecht, inzwischen mit Oskar Lafontaine liiert, ist so etwas wie Niemeyers Lebensversicherung. Daran ändert auch nichts, dass sie ihre Ehe nach anderthalb Jahrzehnten im März dieses Jahres aufgelöst haben. Direkt nach der Scheidung veröffentlicht er Bilder von sich und der wichtigsten Frau der Linken auf Facebook, aufgenommen in einem romantischen Schlosspark. Sie trägt ein rotes Kleid und schwarze Stiefeletten, er einen dunklen Anzug mit roter Krawatte.

Sein Kommentar: “Am Ende unserer Ehe beginnen wir eine neue Phase der Freundschaft, die ewig dauern wird.” Wagenknecht sieht er als seine “platonische Liebe”.

 Das delikate Beziehungsgeflecht Niemeyers

Es ist eine Liebe, die sich für ihn auszahlt. Der gemeinsame Auftritt in Wilhelmshaven, die Inszenierung im Internet, sie zeigen nur die Oberfläche eines viel delikateren Beziehungsgeflechts Niemeyers. Es erstreckt sich praktisch über die gesamte Parteiprominenz der Linken. Der 43-Jährige genießt offenkundig das Vertrauen des Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi sowie der Linke-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger. Und Parlamentarierinnen schanzen ihm Verträge, Honorare sowie Vorschüsse zu – Geld vom Steuerzahler.

Die Dokumente, die der “Welt am Sonntag” dazu vorliegen, offenbaren einen bizarren Fall roter Vetternwirtschaft. Das Wahlkampfmotto “UmFAIRteilen!” der Partei kann Niemeyer für sich schon mal als eingelöst betrachten. Zu “100 Prozent sozial”, die Leitlinie des Wahlprogramms, will zu Niemeyers Wesen und Wirken allerdings so überhaupt nicht passen.

Er saß einst wegen Betrugs im Gefängnis, wird derzeit von Gläubigern quer durch die Republik verfolgt und vernachlässigt seit Jahren seine Pflichten als mehrfacher Vater.

Auskunftssperre im Melderegister

Freitag, 23. August 2013, Neustadt am Rübenberge: Vom Bahnhof der 43.000-Seelen-Stadt bei Hannover ist es ein kurzer Fußweg bis zur Saarstraße 34, einem 60er-Jahre-Mietshaus. Die Wohnungen sind günstig, sie kosten fünf Euro pro Quadratmeter. Hier hat Niemeyer bis vor wenigen Wochen gelebt. Das findet man aber nicht so leicht heraus, weil er eine Auskunftssperre in das Melderegister eintragen ließ.

Behörden täuscht Niemeyer sogar über seine Adressen. Noch vor zwei Jahren erklärte er, sein Hauptwohnsitz befinde sich in Irland. In dem Dorf Ogonnelloe, rund 200 Kilometer südwestlich von Dublin, ist er Eigentümer eines idyllischen reetgedeckten Landsitzes, der auf einem traumhaften Seegrundstück steht. Vor gut einem Jahr gab er Moskau als sein Domizil an. Dabei befindet sich sein Lebensmittelpunkt schon länger in Deutschland.

Niemeyer hat triftige Gründe, nicht so leicht auffindbar zu sein. Die Verwalterin des Hauses in der Saarstraße erzählt, dass säumige Mietzahlungen per Anwalt eingetrieben werden mussten. Die Stadtwerke schicken vergeblich Mahnung auf Mahnung: “Daher stellen wir, wie bereits angekündigt, die Energie- und/oder Wasserlieferung gemäß unseren Lieferbedingungen an Sie ein.” Das war Anfang August, da hatte Niemeyer die Wohnung schon gegen eine Bleibe in Wilhelmshaven getauscht. Zusätzlich hat er laut einem Behördenschreiben von Ende Juli auch noch einen Hauptwohnsitz in Walldorf bei Heidelberg.

Die Spur an Rechnungen

Hinter Niemeyer zieht sich eine breite Spur offener Rechnungen her. Das Amtsgericht Hagen hat gegen ihn bereits am 10. April unter dem Geschäftszeichen 13-1877105-0-5 einen Vollstreckungsbescheid erlassen. Etliche andere Gläubiger haben Unternehmen wie Sirius Inkasso, KSP Rechtsanwälte oder Universum Inkasso damit beauftragt, mehrere Tausend Euro einzutreiben. Da kann eine Auskunftssperre nützlich sein.

Obwohl er dauernd klamm zu sein scheint, ist Niemeyer viel auf Reisen. 2012 hat er mindestens sieben Länder besucht, einige davon gleich mehrfach: Belgien, Frankreich, Irland, Japan, Kanada, Russland, Venezuela. Finanziert wird er, der freie Dokumentarfilmer, von der Bundestagsfraktion und der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das ist nötig, denn was Niemeyer schreibt und filmt, lässt sich kommerziell kaum verwerten, weil es sich um mehr oder weniger schlecht gemachte Agitation handelt.

Sich politisch zu vermarkten, versteht Niemeyer hingegen umso besser. Einer, den er beispielsweise zur Einsicht bekehrt haben will, ist der Präsident der Europäischen Kommission. Bei Niemeyer liest sich das so: “Ich habe Herrn Barroso stets gefragt, warum die Banken nicht auch mal leiden müssen, aber er hat es immer abgebügelt. Neulich sagte er mir, dass man jetzt umdenken wolle.”

Hauptredner Niemeyer gegen das Ausspähen

Samstag, 27. Juli 2013, Berlin, Brandenburger Tor: Unter dem Motto “Stop watching us!” protestieren in der Hauptstadt Demonstranten gegen die Ausspähaktion durch die US-Geheimdienste. Sie ziehen an der amerikanischen Botschaft vorbei und versammeln sich vor Berlins berühmtestem Wahrzeichen. Das Thermometer zeigt 30 Grad. “Schwitzen gegen Prism”, hat einer auf sein Plakat geschrieben. Schließlich nimmt der Hauptredner das Mikrofon in die Hand: Niemeyer.

Gleich zu Beginn erinnert er an Gustl Mollath, der in Bayern gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht war. Ähnlich unschuldig verfolgt fühlt sich Niemeyer. Er will als “Undercover-Journalist” die “Verquickung von Finanzmafia und Herrschaftsstrukturen” recherchiert haben. Dabei sei er auf Leute wie den Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer und den SPD-Mann Gerhard Schröder gestoßen.

Die ermittelten Fakten habe er zur Anzeige gebracht, sagt Niemeyer: “Und ich hatte plötzlich sieben Monate und 21 Tage lang Haftbefehl vor mir.” Folgt man dieser Version, hat die Justiz an ihm ein Exempel statuiert, weil er auf kriminelle Machenschaften mächtiger Leute hingewiesen hatte.

Er heiratete am Jahrestag von Marx’ Geburt

Ganz anders hört sich das bei der zuständigen Kölner Staatsanwaltschaft an. Sie nahm Niemeyer im Mai 1994 in Untersuchungshaft. Als angeblicher Repräsentant von Firmen mit klangvollen Namen wie “Rothschild’s internationale Spar- und Darlehenskasse Ltd.Hongkong” soll er Geldanleger hereingelegt haben. Bald nach Prozessbeginn im September 1995 setzte sich Niemeyer in die Türkei ab, wurde aber in Antalya gefasst. An seiner Seite war Wagenknecht. Sie flog allein nach Deutschland zurück, Niemeyer kam in Auslieferungshaft.

Das Urteil nach der Rückkehr: drei Jahre und vier Monate Freiheitsentzug wegen Betrugs in 46 Fällen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Köln wurde Niemeyer am 25. März 1997 die Reststrafe erlassen. Nun heiratete er Wagenknecht, am 5. Mai, dem Jahrestag der Geburt von Karl Marx, in der Klassikerstadt Weimar.

Als Niemeyer jüngst von einer Genossin gefragt wird, ob er mit seiner Vorstrafe für den Bundestag kandidieren dürfe, verfasst er gleich eine “Persönliche Erklärung”. Er ist sich sicher, dass ihm eines fernen Tages, nach Abschaffung des Kapitalismus, Gerechtigkeit zuteilwerden wird: “Im neuen System werde ich mit Sicherheit vollumfänglich rehabilitiert werden.”

Niemeyer offerierte wertvolle Gemälde

Im alten System wurde Niemeyer, Sohn eines hohen Bonner Ministerialbeamten, aber erst einmal rückfällig. Er saß 2002, im fünften Jahr seiner Ehe, erneut auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft warf ihm mehrere Straftaten vor. Eine davon war die sogenannte Bilder-Affäre. Niemeyer offerierte Geschäftsleuten wertvolle Gemälde, mit der “Heiligen Apollonia” sogar einen angeblich echten Leonardo da Vinci. Verhandelt wurde in Zürich.

Unter die vermeintlichen Interessenten hatte sich ein “Stern”-Reporter gemischt, getarnt als Treuhänder einer Gruppe deutscher Bordellbetreiber, die ihr Rotlicht-Geld in Kunst stecken will. Der Journalist ließ den Schwindel mit mutmaßlich nicht vorhandenen Gemälden auffliegen. Nun wurden deutschlandweit Wohnungen durchsucht, darunter auch die in Berlin von Sahra Wagenknecht.

Wieder wurde Niemeyer verurteilt – allerdings wegen Betrugs in drei anderen Fällen. Die Richter hielten ihm zugute, dass er über Briefkastenfirmen lediglich zwei Provisionen im unteren fünfstelligen Bereich kassiert hatte. Dafür gab es anderthalb Jahre auf Bewährung, zudem musste er 18.000 Euro Wiedergutmachung leisten und 7000 Euro an die Aids-Hilfe zahlen.

Kindesunterhalt nur sporadisch

Dienstag, 25. Juni 2013, Dietikon im Kanton Zürich: In der dritten Etage des sechsstöckigen Betonkastens am Bahnhofsplatz 10 ist das Bezirksgericht untergebracht. Dort, im Saal 2, wird gegen Niemeyer verhandelt. Er hat Einspruch gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis eingelegt. Niemeyer sitzt hier wegen seiner Tochter, eines seiner vier Kinder. Drei davon hat er mit drei verschiedenen Frauen während der Ehe mit Wagenknecht gezeugt, allerdings keines mit der Linkspolitikerin. Kindesunterhalt leistet der Vater bestenfalls sporadisch. Bei seiner einzigen Tochter, 2002 geboren, ist das aktenkundig.

Mit der Mutter hatte Niemeyer im Januar 2001 während eines Ski-Urlaubes mit Wagenknecht in der Schweiz angebandelt, im Vier-Sterne-Parkhotel “Beau Site” von Zermatt. In Dietikon sagt Niemeyer der Richterin: “Ich bestreite die Verpflichtung nicht.” Nur könne er den Unterhalt nicht in voller Höhe bezahlen, das übersteige seine Leistungsfähigkeit.

Der Unterhaltsstreit beschäftigt die Schweizer Justiz schon lange. Zunächst entrichtete Niemeyer keine Alimente. Im Februar 2004 unterschrieb er eine Vereinbarung und sagte monatlich 1700 Schweizer Franken zu: “bis zum ordentlichen Abschluss einer angemessenen Ausbildung des Kindes und darüber hinaus”. Tatsächlich überwies er: nichts. Im Mai 2009 stellte die zuständige Sozialbehörde im Kanton Zürich Strafanzeige. Gut ein halbes Jahr später wurde Niemeyer in der Schweiz vorübergehend festgenommen und vernommen. Eine brenzlige Situation.

Er muss den vollen Unterhalt leisten

Wohl deshalb beginnt er ab Mai 2010 damit, für seine mittlerweile achtjährige Tochter monatlich 250 Euro zu zahlen. Gleichzeitig beantragte er bei Gericht, seine Unterhaltspflicht von 1700 auf 400 Schweizer Franken zu reduzieren. Damit unterlag er im Oktober 2012 endgültig vor dem Bundesgericht, deshalb müsste er umgerechnet 170.000 Euro an nicht geleisteten Alimenten begleichen.

Die Schweizer Justiz hat während all der Prozesse auch untersucht, ob Niemeyers damalige Gattin Wagenknecht zahlen muss. Er sagt, so viel verdiene sie nun auch nicht. Die Richter urteilen anders: “Die Ehefrau des Klägers erhält als Bundestagsabgeordnete entgegen den Behauptungen des Klägers nicht monatlich 3000 Euro, sondern eine monatliche Entschädigung von 7960 Euro. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke und hat diverse Bücher und Schriften veröffentlicht, weshalb von einem 7960 Euro deutlich übersteigenden monatlichen Einkommen auszugehen ist.”

Für die Eidgenossen war somit klar, dass Wagenknecht als “Stiefelternteil eine indirekte Beistandspflicht” hatte. Diese endete danach erst mit der Scheidung. Die “Welt am Sonntag” hat Wagenknecht darauf angesprochen. Die Politikerin sagt, von dem Urteil habe sie erst durch die Anfrage erfahren: “Bisher ist mir eine Rechtsprechung, die Ehefrauen verpflichtet, für die während der Ehe von ihren Männern gezeugten außerehelichen Kinder Unterhalt zu leisten, nicht bekannt.”

Nun sitzt er in Dietikon auf der Anklagebank

Zivilrechtlich ist der Fall in der Schweiz abgeschlossen. Doch Niemeyer kommt seinen Verpflichtungen nicht nach. Deshalb verhängte die Staatsanwaltschaft gegen ihn Anfang des Jahres einen Strafbefehl. Er habe “vorsätzlich seine familienrechtlichen Unterhaltspflichten nicht erfüllt”, obwohl er “über die Mittel dazu verfügt” habe oder darüber hätte “verfügen können”. Weil der Verurteilte dagegen Einspruch einlegt, sitzt er nun in Dietikon auf der Anklagebank.

Zu Prozessbeginn sagt Niemeyer der Richterin, er habe in Irland seine “Hauptwohnung”. Dem Gericht hatte er nur eine Zustelladresse in Deutschland übermittelt, die seiner Mutter. Die Wohnsitze in Baden-Württemberg und Niedersachsen verschweigt er. Und sein Domizil in Irland beschreibt er als Bruchbude: “Ein altes Steinhaus, ein bisschen baufällig.”

Vermieten lasse es sich nicht. Den Wert der Immobilie hatte Niemeyer in dem Rechtsstreit, in dem er sich offenbar wohl armrechnen wollte, auf immerhin 300.000 Euro taxiert. Experten nennen weit höhere Summen. Die Richterin befragt Niemeyer auch zu den von ihm vorgelegten Einkommensbelegen. Konfrontiert mit einzelnen Zahlungen, offenbart er nun viele Details über seine geschäftlichen Beziehungen zu Abgeordneten der Linksfraktion und auch über die Unterstützung, die ihm die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung zuteilwerden lässt.

Er könne keinen besser bezahlten Job finden

Dieser Schilderung, die tief in die deutsche Politik reicht, hört die Richterin erstaunt zu. Für sie ist aber wichtiger, dass Niemeyer behauptet, er verdiene lediglich 1500 Euro netto im Monat, “mal weniger, mal mehr”. Und dass er keinen besser bezahlten Job finden könne. Die Richterin urteilt zu seinen Gunsten. Von seinem Existenzminimum, erläutert sie, könne man Niemeyer nichts wegnehmen. Für die Angaben zu seiner Vermögens- und Finanzsituation gelte: “Im Zweifel für den Angeklagten.”

Nur drei Tage später, am 28. Juni, legt die Staatsanwaltschaft Berufung ein, beim Obergericht des Kantons Zürich. Damit geht der strafrechtliche Teil des Unterhaltsstreits in die nächste Instanz.

Oldenburg übernimmt das Ermittlungsverfahren

Ende August 2013, Oldenburg: Die Staatsanwaltschaft in der Gerichtsstraße7 hat aus einer anderen Stadt Akten zu einer Person bekommen, die soeben nach Wilhelmshaven verzogen ist. Oldenburg übernimmt das Ermittlungsverfahren, Beschuldigter ist Niemeyer.

Ein Behördensprecher bestätigt: “Bei uns ist ein Sachverhalt gegen eine Person anhängig, die in Wilhelmshaven politisch aktiv ist und für den Bundestag kandidiert.” Auslöser sei eine Strafanzeige. Der Vorwurf: “Vereiteln der Zwangsvollstreckung”. Bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe erwartet, wer die Befriedigung von Gläubigeransprüchen vereitelt, indem er “Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseiteschafft”.

Untersucht wird ein Vorgang, der sich um die Jahreswende 2009/2010 abspielte. Einen Tag vor Heiligabend wurde Niemeyer wegen des Unterhaltsstreits in der Schweiz vorübergehend festgenommen. Er musste jetzt fürchten, dass sein Landsitz in Irland herangezogen wird, um offene Unterhaltsforderungen zu begleichen. Dann geschah etwas mit dem Haus. Am 8. Januar, nur 15 Tage nach seiner Festnahme, ließ Niemeyer eine Änderung im Grundbuch eintragen und machte seine Noch-Frau Wagenknecht zur vollberechtigten Miteigentümerin (“full owner”). Seitdem ist das Anwesen Gemeinschaftseigentum der beiden und lässt sich nur noch sehr schwer pfänden.

Die Mutter informierte Wagenknecht

Die in der Schweiz lebende Mutter von Niemeyers Tochter sagte der “Welt am Sonntag”, sie habe Wagenknecht schon vor zwei Jahren darüber informiert: “Um sicherzustellen, dass sie weiß, dass die Grundstücksübertrag erfolgte, obwohl offene Unterhaltsforderungen eines minderjährigen Kindes bestehen.” Niemeyer könne sich so weiter seinen Verpflichtungen entziehen.

Wagenknecht erklärt, es sei unzutreffend, dass sie von der Mutter “auf diesen Umstand aufmerksam” gemacht worden sei. Zwar habe sie einen Brief erhalten, allerdings mit anderem Inhalt. Die Umwandlung der Eigentumsform begründet sie damit, dass ihr Ex-Mann Schulden bei ihr hatte und sie “Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen in erheblichem Umfang” finanziert habe. Niemeyer hatte einmal in einem Prozess die von seiner Frau aufgebrachten Kosten auf “mehr als 20.000 Euro” beziffert. Das wäre ein Bruchteil des Gesamtwertes der Immobilie. Wagenknecht widerspricht. Sie habe ein Vielfaches der Summe aufgebracht. Auch sei die Veränderung des Eigentumstitels lange vorbereitet worden.

Es geht aber eben nicht nur um private Angelegenheiten zwischen Niemeyer und Wagenknecht, sondern um viele andere Wohltaten für den Ex-Gatten aus der Partei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch schon zu Zeiten, als die beiden noch verheiratet waren.

Produzent Niemeyer in Japan unterwegs

Samstag, 11. Februar 2012, internationaler Flughafen Narita bei Tokio: Die vierköpfige Delegation aus Deutschland freut sich, alles ist bestens geregelt. Ein Mazda steht als Mietwagen bereit. Nach 13 Stunden Flug geht es durch die Rushhour in die Stadt, gut 70 Kilometer. Dort wartet schon Botschafter Volker Stanzel, der ein kleines Referat vorbereitet hat. Die Details des freundlichen Empfangs hat die Delegationschefin in einem Reisetagebuch festgehalten. Es ist die Fraktionsgeschäftsführerin Dorothée Menzner, begleitet von einer Dolmetscherin, einem Kameramann sowie einem Produzenten: Niemeyer.

Das Team erwartet zwei abenteuerliche Wochen. Ertrag der Reise: ein 55-minütiger Film über die Folgen des Reaktorunglücks in Fukushima. Der Titel: “Hibakusha – Reise auf die Insel des Glücks”. Als Hibakusha werden in Japan die Opfer der Atombombenabwürfe im Zweiten Weltkrieg bezeichnet.

Für die Energieexpertin Menzner bringt die Exkursion viel Abwechslung mit sich. Sie hilft, Aufnahmen zu sichten und das Skript fertigzustellen. Im April 2012 ist Premiere im Bundestag, mit anschließendem Empfang. Wagenknecht erklärt, der Film sei ab sofort bundesweit zu sehen. Kurz darauf, im Juli, wird er in Japan präsentiert – von Menzner und Niemeyer. Im September, zum Tag der offenen Tür des Bundestages, präsentiert sich Gysis Fraktion mit dem “Hibakusha”-Werk.

Auftraggeber Linksfraktion

Später, vor dem Schweizer Gericht, sagt Niemeyer, er sei von Menzner angestellt worden. Er habe für “eine gewisse Zeit” 2000 Euro im Monat erhalten, mehr, als er sonst verdiene. Ihm seien alle Kosten ersetzt worden. Niemeyer hatte dazu Auszüge seines Postbankkontos vorgelegt, die nun die “Welt am Sonntag” eingesehen hat. Fraktion, Abgeordnete und Rosa-Luxemburg-Stiftung überwiesen ihm danach von Februar 2012 bis Mai 2013 insgesamt 20.413,20 Euro.

Den Belegen der Bank zufolge hat Niemeyer spätestens seit seinem ersten Japan-Trip Anfang 2012 vor allem einen Auftraggeber: die Linksfraktion sowie einzelne Fraktionsmitglieder. Allein Menzner lässt ihm in dem Jahr innerhalb von acht Monaten in fünf Tranchen mindestens 10.860 Euro zukommen – obwohl er da noch mit Wagenknecht verheiratet ist. Der Ehemann wird also unter anderem finanziert von einem Mitglied der Fraktion, deren Vizechefin seine Gattin ist. Aus den Bankunterlagen, die nicht vollständig sind, geht hervor, dass Niemeyer noch mehr Geld von der Fraktionsgeschäftsführerin erhalten haben muss. Allein für die Aufnahmen für den Fukushima-Film will er “6000 Euro innerhalb von drei Monaten verdient” haben.

Transparenz wie der Blick durchs Milchglas

Menzner sagt der “Welt am Sonntag”, sie habe mit Niemeyer einen Honorarvertrag geschlossen. Allerdings als “freiberufliche Publizistin”. Seltsam: Dennoch waren ihre beiden Japan-Aufenthalte Dienstreisen des Bundestages, für die sie aber nur die parlamentarische Tätigkeit abgerechnet haben will. Auch die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung fördert ihr angeblich rein privates Projekt mit einem “Werkvertrag”. Menzner bleibt wortkarg, wenn es um die vertragliche Beziehung zu Niemeyer geht: Einerseits aus “datenschutzrechtlichen Gründen”, andererseits aufgrund “wettbewerbsrechtlicher Interessen meinerseits”. Was sie vorträgt, schafft so viel Transparenz wie der Blick durch eine Milchglasscheibe.

Keine Auskunft gibt Menzner auch zu einem Vorhaben, das in einem Kontoauszug unter “Darlehen für Projekt Venezuela” firmiert. Am 12. Juli 2012 werden Niemeyer 3000 Euro gutgeschrieben. Im gleichen Monat interviewt er den inzwischen verstorbenen Machthaber Hugo Chávez, den er schon mit Wagenknecht besucht hatte.

Ein gefragter Projektpartner

Bei den Parlamentarierinnen scheint der Dokumentarfilmer ein gefragter Projektpartner zu sein. Die brandenburgische Abgeordnete Diana Golze erstattet Niemeyer 617,80 Euro für “Auslagen”. Und Ruth Kampa, die angestellte Geschäftsführerin der Fraktion, trägt Verantwortung für mehrere Überweisungen, auf denen als Absender “Fraktion Die Linke” seht. Es geht um eine stattliche Summe von insgesamt 5550 Euro.

Kampa schließt am 31. Januar 2013 mit Niemeyer einen weiteren “Werkvertrag” ab. Dieses Mal geht es um die Herstellung des Films “Das Märchen der Deutschen. Vom Leben nach Suppenkasperkriterien”, einer Dokumentation über Armut und soziale Unsicherheit. Laut dem zweiseitigen Vertrag erhält Niemeyer “1000 Euro nach Unterzeichnung und 2000 Euro nach Abnahme des Werkes”. Entgegen der Vereinbarung geht die volle Summe nur eine Woche später auf dem Konto des Vertragspartners ein.

Keine genauen Angaben zu weiteren Verträgen

Die “Welt am Sonntag” hat Kampa nach weiteren Verträgen und Honoraren gefragt. Sie macht keine genauen Angaben dazu “aus datenschutzrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Herrn Niemeyer”. Da das Ehepaar seit Langem getrennt sei, würden sich “sowohl juristische als auch politisch-moralische Bewertungen” erübrigen.

Für den “Märchen”-Film gibt die parteinahe Stiftung noch 1500 Euro dazu. Regie aber führt die Fraktion. Niemeyer ist laut Werkvertrag verpflichtet, seine jeweiligen Schritte mit deren Arbeitskreis IV (Arbeit, Gesundheit und Soziales) abzustimmen.

Eine weitere Abgeordnete im Netzwerk ist Kathrin Senger-Schäfer aus Rheinland-Pfalz. Ihr Name steht auf dem Filmplakat zur “Märchen”-Doku. Sie soll Parteichef Bernd Riexinger dazu bewegt haben, die Rede zur Filmpremiere in Ludwigshafen zu halten. In dem Bundesland, das Senger-Schäfer vertritt, wird das Werk wiederum stark vom dortigen Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert. “Mit einer Spende”, sagt Senger-Schäfer, die Mitglied im Vorstand der Organisation ist. Das Regionalbüro der Stiftung führt zig Veranstaltungen mit Niemeyer durch – der “Welt am Sonntag” liegen allein elf Honorarverträge vor. Der so rundum versorgte Niemeyer wiederum führt auffällig freundliche Interviews mit Parteigrößen, die er auf Onlineplattformen wie YouTube verbreitet. Etwa mit Parteichefin Katja Kipping und Gregor Gysi.

Wagenknecht sieht kein Problem

Partei-Vizechefin Wagenknecht sieht in alldem kein Problem: “Da mein Ex-Mann mit mir weder verwandt ist noch zum fraglichen Zeitraum mit mir zusammenlebte, sondern die Beziehung längst beendet war, sehe ich keinen Grund, der dagegenspricht, dass er für die Fraktion Arbeitsleistungen erbringt und dafür honoriert wird.” Keine der Abrechnungen sei über ihren Tisch gegangen.

Die Ehe war aber noch nicht geschieden, als mit Niemeyer der Werkvertrag geschlossen wurde und er Honorare erhielt. Ob die Förderung durch die Fraktion gegen Gesetze des Parlaments und der Verwaltung verstößt, muss nun möglicherweise geprüft werden. Das Abgeordnetengesetz verbietet “Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit dem Mitglied des Bundestages verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren”. Zwar hat Fraktionsvize Wagenknecht ihren Partner nicht selbst mit Steuergeld alimentiert, aber andere Parlamentarier, die ihr unterstehen, zeigten sich dafür umso generöser.

Garantiert “amigofrei” in Bayern

In Bayern wäre so etwas nicht mehr möglich. Der Landtag hat aus der “Verwandtenaffäre”, die vor allem die CSU erschütterte, Konsequenzen gezogen. Seit Mai dieses Jahres verbietet das Gesetz dort sogenannte Überkreuz-Beschäftigungen, bei denen etwa ein Ehemann statt von seiner Frau durch andere Abgeordnete beschäftigt wird. Das gilt ausdrücklich auch für ehemalige Ehepartner. Die Linke im Freistaat wirbt seit der Affäre mit dem Slogan, “garantiert amigofrei” zu sein – was die Parteifreunde im Bundestag nun wahrlich nicht von sich behaupten können.

Die “Welt am Sonntag” hat Ralph Thomas Niemeyer viele Fragen gestellt, aber keine Antworten erhalten. Aufschlussreich ist, was sein Schweizer Pflichtverteidiger zur Bundestagskandidatur seines Mandanten sagt. Diese ist offenbar alles andere als nur politisch motiviert, sondern vielmehr Niemeyers neuester Versuch “seine persönliche finanzielle Situation zu verbessern”. Der Anwalt erklärt, was Niemeyer anstrebt, wenn es nicht klappen sollte: 2014 möglichst ins Europaparlament einziehen.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article119802052/Eine-ziemlich-linke-Nummer-in-der-Linkspartei.html