BASCHAR AL ASSAD – EN ROUTE ZUM KRIEGSVERBRECHERTRIBUNAL NACH DEN HAAG / SPIEGEL ONLINE

 Völkerrechtsexperte: “Den Haag kann die Vorwürfe gegen Assad klären”

Von Thomas Darnstädt – SPIEGEL ONLINE 8.10.2013 – Baschar al-Assad bestreitet den Einsatz von Giftgas und beschuldigt die Rebellen. Der Völkerrechtsexperte Claus Kreß fordert im Interview: Syriens Diktator soll sich zur Klärung an den Internationalen Strafgerichtshof wenden.

SPIEGEL ONLINE: Herr Kreß, im SPIEGEL beschuldigt Syriens Präsident Baschar al-Assad die Rebellen in seinem Land der schlimmsten Grausamkeiten. Die Aufständischen ihrerseits beschuldigen Assad, verantwortlich für Massaker und den Giftgaseinsatz zu sein. Ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof?

Kreß: Massive Angriffe auf die wehrlose Zivilbevölkerung und neuerdings auch der Einsatz von Giftgas im Bürgerkrieg sind Völkerrechtsverbrechen nach dem Römischen Statut, der Rechtsgrundlage des Strafgerichtshofs in Den Haag. Insofern könnte ein Ermittlungsverfahren des Gerichtshofs Klärung bringen.

SPIEGEL ONLINE: Aber Syrien hat das Statut nie unterschrieben – braucht also Assad die Ankläger nicht zu fürchten?

Kreß: Es gibt auch andere Wege nach Den Haag. So könnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Fall an das Gericht überweisen – auf diese Weise sind zum Beispiel auch die Völkerrechtsverbrechen während der Revolution in Libyen vor dem Strafgerichtshof gelandet.

SPIEGEL ONLINE: Im Sicherheitsrat hat Russland, der Verbündete Syriens, aber ein Veto – und wird dann wohl gegen eine Anklage Assads vor dem Völkerstrafgericht stimmen.

Kreß: Das ist nicht so sicher. Die Rechtsberater des russischen Präsidenten werden darauf hinweisen, dass eine solche Uno-Resolution – ähnlich wie jüngst die zur Vernichtung von Chemiewaffen – auch zur Stabilisierung der Lage in Syrien beitragen und damit einen Friedensprozess beschleunigen kann.

SPIEGEL ONLINE: Befeuert eine Anklage nicht eher die Aggressionen im Lande?

Kreß: Nicht unbedingt. Denn das Gericht darf sich nicht einseitig mit Vorwürfen in eine ganz bestimmte Richtung beschäftigen, sondern muss sich einer Konfliktsituation im Ganzen annehmen. Auch der Sicherheitsrat wird nicht “den Fall Assad”, sondern “die Situation in Syrien” nach Den Haag überweisen.

SPIEGEL ONLINE: Das bedeutet, die Ermittler in Den Haag sind gezwungen, sich um die Grausamkeiten auf beiden Seiten des Bürgerkriegs zu kümmern?

Kreß: Die Symmetrie der Ermittlungen in Bürgerkriegssituationen ist ein wichtiges Prinzip des Verfahrens vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Versuche, den Gerichtshof einseitig vor den Karren einzelner Bürgerkriegsparteien zu spannen, müssen die Ankläger in Den Haag abwehren. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Chefanklägerin das Verfahren nicht ausschließlich gegen Assad richten würde. Auch Haftbefehle gegen syrische Rebellenführer wären denkbar.

SPIEGEL ONLINE: Aber Assad kann es natürlich passieren, als dringend verdächtiger Menschenrechtsverbrecher etwa wegen des Giftgaseinsatzes mit einem Haftbefehl verfolgt zu werden?

Kreß: Natürlich kann es so weit kommen. So war es ja auch im Fall des sudanesischen Präsidenten Baschir, den der Gerichtshof seit 2009 per Haftbefehl sucht.

SPIEGEL ONLINE: Was den blutigen Diktator bislang wenig beeindruckt hat.

Kreß: Blutigen Diktatoren ist eben mit einem internationalen Haftbefehl allein nicht beizukommen, solange sie sich an der Macht halten. Auch Assad hätte natürlich, solange er sein Land nicht verlässt oder nur in verbündete Staaten reist, von einem Haftbefehl direkt nichts zu befürchten. Wichtig ist aber in jedem Fall der Klärungsprozess, der mit einem Ermittlungsverfahren des Gerichts in Gang gesetzt wird.

SPIEGEL ONLINE: Können denn die Ermittler aus Den Haag der Wahrheit über Unrecht in Syrien näher kommen als die Inspektoren der Uno, die schon da waren?

Kreß: Der Auftrag des Uno-Teams war ja eng begrenzt. Entsprechende Beschränkungen würden für die Ermittler aus Den Haag nicht gelten, die zudem bereits Erfahrung mit Ermittlungen in Bürgerkriegsgebieten gesammelt haben. Überdies müsste die Chefanklägerin nicht unter unangemessenem Zeitdruck handeln, sondern sie könnte tatsächlich allen ernstzunehmenden Vorwürfen mit der gebotenen Gründlichkeit nachgehen. Wenn es Präsident Assad, wie er im SPIEGEL gerade erst erklärt hat, wirklich so wichtig ist, dass endlich die Wahrheit über die Verantwortlichkeiten ans Licht befördert wird, dann bitte: Das wäre doch eine Chance.

 

SPIEGEL ONLINE: Aber der Präsident klagt ja auch, dass “der Westen” an der Wahrheit nicht interessiert und gegen ihn voreingenommen sei.

Kreß: Der Internationale Strafgerichtshof ist nicht “der Westen” – seine Chefanklägerin kommt aus Afrika. Wenn man genau liest, sieht Assad den “Westen” im Übrigen als Erfüllungsgehilfen der USA. Doch die USA sind nicht Vertragspartei des Gerichtshofsvertrags und halten zu dem Gericht deshalb Distanz. Auch von daher müsste das Gericht für den syrischen Präsidenten “unverdächtig” sein.

SPIEGEL ONLINE: Das Völkerstrafgericht als neutraler Schiedsrichter?

Kreß: Das ist eine Chance – die friedensstiftende Wirkung von Recht.

SPIEGEL ONLINE: Nimmt man Assads Beteuerungen, er wolle sein Land vor gewalttätigen Eindringlingen und Terroristen schützen, beim Wort, dann müsste man ihm direkt raten, selbst den Strafgerichtshof zu Hilfe zu rufen.

“Der Sicherheitsrat sollte den Weg nach Den Haag freimachen”

Kreß: Ich weiß ja nicht, wie gut der Präsident beraten ist. Aber die Möglichkeit hätte er tatsächlich: Jeder Bürgerkriegsstaat – egal ob er das Statut unterschrieben hat oder nicht – kann dem Strafgerichtshof erlauben, in dem Konflikt begangene Völkerrechtsverbrechen zu ermitteln.

SPIEGEL ONLINE: All das kostet viel Zeit – und derweil wird in Syrien weiter gemordet und gebombt. Auch im Fall Libyen hat der Sicherheitsrat die Überweisung der “Situation” an den Internationalen Strafgerichtshof verbunden mit der Aufforderung, militärisch Frieden zu schaffen.

Kreß: In Libyen hat der Sicherheitsrat den Einsatz von Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung vor einem drohenden Massenmord für nötig gehalten. Eine solche Resolution des Sicherheitsrats hat im Fall Syrien nach Lage der Dinge wegen des sicheren Vetos Russlands keine Chance.

SPIEGEL ONLINE: Nun gibt es ja zunehmend die Neigung unter Völkerrechtlern, im Notfall so einen humanitären Militäreinsatz auch ohne Uno-Mandat zu akzeptieren – so wie es 1999 von der Nato zum Schutz der Menschen im Kosovo exerziert wurde, und wie es nun auch wieder von Frankreich und den USA erwogen wird.

Kreß: Ja, über eine solche humanitäre Intervention im Extremfall lässt sich im Licht der neueren Staatenpraxis ernsthaft diskutieren, auch wenn die Mehrheit der Völkerrechtler ihre Zulässigkeit mit gewichtigen Gründen weiterhin verneint.

SPIEGEL ONLINE: Eine humanitäre Intervention gegen Assad also?

Kreß: Jeder Präzedenzfall zur humanitären Intervention muss mit äußerster Vorsicht auf den Extremfall beschränkt werden – nicht nur im Hinblick auf die Bedeutung des völkerrechtlichen Verbots der Gewaltanwendung gegen andere Staaten, sondern auch deshalb, weil jeder humanitär begründete Militäreinsatz seinerseits unschuldige Menschen gefährdet. Die Lage in Syrien ist von außen sehr schwer zu durchschauen. Ich maße mir hier kein abschließendes Urteil an, habe allerdings erhebliche Zweifel. Zwar hat die britische Regierung sich nach dem jüngsten Chemiewaffeneinsatz auf den Standpunkt gestellt, die Grenze zum humanitären Extremfall sei in Anbetracht von 100.000 Toten und zwei Millionen Flüchtlingen überschritten. Doch gehen diese Opfer in diesem Konflikt alle auf das Konto des Assad-Regimes? Und rechtfertigte das Ausmaß der Gewalt dieses Regimes gegen Demonstranten den bewaffneten Aufstand? Im weiteren Verlauf des Bürgerkriegs sind die Fronten noch verschlungener geworden. Zwar hat die Internationale Untersuchungskommission dem Menschenrechtsrat der Uno zuletzt erneut von Menschlichkeitsverbrechen der Regierungstruppen berichtet. Doch werden in diesem Bericht auch schwerwiegende Kriegsverbrechen von bestimmten Rebellentruppen vermerkt. Es ist daher schwer abzusehen, ob und wie in Syrien mit militärischer Gewalt Menschenleben zu retten sind.

SPIEGEL ONLINE: Für die USA geht es bei einem Militäreinsatz in erster Linie um eine Sanktion für den Einsatz von Giftgas.

Kreß: Das wäre eine Strafaktion. Und Bestrafung kann keine Rechtfertigung für einen Militäreinsatz sein. Es ist zu begrüßen, dass die USA eine Bestrafung der für den Chemiewaffeneinsatz Verantwortlichen fordern. Doch hierzu sollten sie im Sicherheitsrat gemeinsam mit Russland den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof freimachen. So hat es Australien, ein besonders enger Verbündeter der USA gefordert, als der Sicherheitsrat zuletzt die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen beschloss.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-voelkerrechts-experte-zur-anklage-gegen-assad-a-926578.html