BABYLON’S ZERSTÖRUNG 2012

Die archäologischen Stätten von Babylon sollen eines Tages wieder Touristen anlocken. Wann das sein wird, ist aber völlig unklar. Die Denkmäler des historischen Babylons sind verfallen. Jetzt will das irakische Ölministerium auch noch eine Pipeline durch die Stadt legen. Ein Gericht muss über den Streit entscheiden.

„Babylon!“ Immer noch hat der Name dieser Stadt weltweit einen besonderen Klang. In der Zeit von 1894 bis 1750 v. Chr. blühten in der Hauptstadt Mesopotamiens der Handel, die Wissenschaften und die Künste – unter insgesamt elf Königen, darunter der berühmte König Hammurabi (1792 bis 1750 v. Chr.). Jahrhunderte später, wohl unter Nebukadnezar II. (605-562 v. Chr.), entstand dort nach Angaben griechischer Autoren eines der sieben Weltwunder der Antike: die „Hängenden Gärten der Semiramis“.

Und heute? Ein vollkommen anderes Bild: Die Denkmäler dieser einst so bedeutenden Stadt im Irak sind verfallen – oder wurden zweckentfremdet. Die UNESCO hat deshalb bereits zweimal den Antrag abgelehnt, Babylon als Weltkulturerbe anzuerkennen.

Vor allem Saddam Hussein hat dem alten Babylon übel mitgespielt: Unter seiner Diktatur gab es schwerwiegende Eingriffe bei den archäologischen Stätten, die deren Struktur und Aussehen stark verändert haben. Die 2600 Jahre alten historischen Stadtmauern von Babylon hat es besonders getroffen. Auf die alten Lehmziegel wurde unter Hussein eine neue Schicht schwerer roter Backsteine gebaut. Diese drücken die wesentlich leichteren Lehmziegel immer mehr nach unten. Dabei entsteht ein weiterer Schaden: Der Grundwasserspiegel ist sehr hoch und das Wasser stark versalzen. Es frisst sich in die alten Lehmziegel hinein und zersetzt sie. Innerhalb der Altstadt, auf der Spitze eines Hügels mit Panorama-Blick, hatte Saddam Hussein in den 1980er Jahren einen modernen Herrscherpalast gebaut. Jeder Ziegel von Saddams Palast trug die Gravur: „Aus der Saddam-Hussein-Ära“ – als Abgrenzung zu den Ziegeln aus der Zeit des biblischen Königs Nebukadnezar. In der Nähe seines Privatpalastes ließ Hussein außerdem einen Helikopter-Landeplatz bauen. Damit schuf er eine Infrastruktur, die Babylon nach seinem Sturz als Standort attraktiv machte für US-Militärs, die auf der Suche nach geeigneten Militärstützpunkten waren. Sechs Monate blieben die US-Truppen in Babylon. Dann übernahmen die polnischen Streitkräfte.

Die Militärs bauten Bunker, Straßen, Parkplätze – mit großen Schäden für Babylon. Die Stadtmauer weist heute tatsächlich große Lücken auf. Überall fehlen Ziegelsteine. Manche Archäologen vermuten, dass die Ziegel von amerikanischen Soldaten herausgerissen wurden. So genau weiß das aber niemand – nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 herrschte großes Chaos.

In jüngster Zeit häufen sich die hitzigen Debatten um Babylon wieder. Das irakische Ölministerium wollte eine 1,5 Kilometer lange Pipeline durch das Zentrum legen und dafür die innere und die äußere Stadtmauer durchbrechen. Eine große Gefahr für diesen geschichtsträchtigen Ort. Zwei Monate lang gab es heftige Diskussionen zwischen dem Ölministerium und dem Ministerium für Tourismus und Antiquitäten.

Letzteres versuchte, den Bau der Pipeline zu verhindern. Das Ölministerium argumentierte dagegen: Es gebe auf der Fläche keine Denkmäler. Und außerdem seien dort schon unter Saddam Hussein zwei Pipelines gebaut worden. Bei der Bevölkerung stieß die neue Pipeline auf breite Ablehnung. Am Ende wurde mit dem Bau trotzdem begonnen. Bürger, Politiker und Nichtregierungsorganisationen werfen dem Tourismus-Ministerium Fahrlässigkeit vor. Es habe kläglich versagt, irakische Altertümer zu schützen; ja, es habe eines der wichtigsten Symbole des Irak vernachlässigt: die alte Stadt Babylon, die doch für die ganze Welt von großem kulturellen und menschlichem Wert sei.

Das Ministerium war unter Druck – und blieb nicht untätig. Es zog mit einer Klage gegen die Pipeline vor Gericht. Die Argumentationslinie: Das Ölministerium habe sich über das Gesetz für Altertümer und Kulturerbe hinweggesetzt. Im Artikel 26 dieses Gesetzes, das der Ausschuss für Altertümer und Kulturerbe formuliert hat, verpflichten sich die staatlichen Behörden bei der Realisierung öffentlicher Projekte zu folgenden Grundsätzen: Denkmalgeschützte Bauwerke sind zu erhalten; in jedem Fall ist das Einverständnis der für Altertümer zuständigen Behörden einzuholen. Der Schaden, den der momentan gestoppte Bau der Pipeline anrichten würde, wäre unermesslich. Er träfe die Identität eines Landes, dessen kulturelles Erbe eine so große Bedeutung hat.

Liwaa Semeism, der irakische Minister für Tourismus und Altertümer, stattete der Provinz Babel im Mai einen Besuch ab. Er verkündete, dass das Ministerium an einem großen strategischen Arbeitsplan für die Aufbereitung der Ruinen von Babylon arbeitet. Gerade untersuche man die Reste der historischen Stadt. Dabei kooperiere sein Ministerium mit der Lokalregierung der Provinz Babel und der Zentralregierung in Bagdad. „Wir möchten dazu beitragen, dass Babylon historisch und kulturell wieder die Stellung einnimmt, die ihm gebührt“, so Semeism. Sein Ministerium habe den Bau der Pipeline von vornherein abgelehnt. Es habe Klage eingereicht, man warte jedoch noch auf einen richterlichen Entscheid. Die Lokalregierung in Babel unterstütze die Kläger.

Außerdem verhandle sein Ministerium gerade darüber, den Palast in ein archäologisches Museum zu verwandeln. Dieses Museum solle sich besonders auf die Geschichte Babylons konzentrieren und die archäologischen Funde der Stadt aufbewahren. „Die Gestaltung des geplanten Museums wird modernsten wissenschaftlichen Standards entsprechen und an internationale Museen heranreichen“, so Semeism. Auch für das Hotel Babel, das den Amerikanern als Militärstützpunkt gedient hatte, gibt es laut Minister Semeism bereits Vorschläge von Investoren. Da die Provinz Babel noch über keine erstklassigen Hotels verfüge, sei es naheliegend, das alte Hotel zu restaurieren.

Zum Thema Religionstourismus äußerte sich Liwaa Semeism ebenfalls: „Das Ministerium hat beschlossen, die in Babylon vorhandenen religiösen Schreine in das Tourismusprogramm mit einzubeziehen. Davon gibt es dort viele. Die Stadt soll künftig auch Pilgerströme empfangen, wie es in Kerbela und Nadschaf bereits der Fall ist.“ Nach Angaben von Semeism bemüht sich das Ministerium derzeit, landesweit gegen die Zweckentfremdung archäologischer Stätten gesetzlich und gerichtlich vorzugehen. Archäologische Stätten müssten erhalten bleiben. Nur durch ihre Pflege könnten sie zu touristischen, wissenschaftlichen und archäologischen Sehenswürdigkeiten werden. „Man darf nicht vergessen, dass der Tourismus das Bruttoinlandsprodukt stärken wird. Außerdem wird er Arbeitsplätze für die vielen arbeitslosen Iraker schaffen“, so der Minister. Diese warteten schon lange auf die Touristenströme – wie in anderen Länder der Region, etwa in der Türkei, Jordanien, Iran oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ihnen habe der Tourismus zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen. (MESOP)