Babo ist zazaisch

Von Matthias Heine – DIE WELT – 26-11-2013 – Der Langenscheidt-Verlag teilt mit, dass Babo, das gerade zum “Jugendwort des Jahres 2013” gekürt wurde, türkischen Ursprungs sei. Das sorgte für Irritation. Denn Babo steht nicht in türkischen und kurdischen Wörterbüchern und von drei Freunden und Kollegen türkischer Herkunft, die wir dazu um Auskunft baten, hatten es zwei noch nie gehört. Hat der in Offenbach geborene Rapper Haftbefehl etwa Unfug gebabbelt, als er die Etymologie von Babo aufs Türkische zurückführte?

Die Unkenntnis könnte allerdings damit zu tun haben, dass es sich bei den zwei Befragten, die Babo nicht kannten, um Frauen handelt, deren Eltern aus den urbanen Zentren der Westtürkei nach Deutschland kamen. Der dritte Auskunftgeber wusste es besser, weil er seine Jugend noch in der Ost-Türkei verbracht und das Wort da oft gehört hatte: Babo ist eine regionale Form von Baba, dem standard-türkischen Wort für “Vater”. Es wird vor allem in Ostanatolien benutzt und ist schon dort unter Jungen und jungen Männern zum Slangausdruck für “Chef, Durchblicker” geworden: “Türkische Großstädter kennen das aber nicht”, bekräftigt der Kenner.

Aus dem ostanatolischen Dersim stammen auch die Eltern von Haftbefehl, der das Wort mit seinem Anfang 2013 produzierten Song “Chabos wissen, wer der Babo ist” bekannt gemacht hat. Zur sprachlichen Prägung dürfte auch noch beigetragen, dass Haftbefehls Eltern der Volksgruppe der Zaza angehören. Die Zaza betrachten sich zwar als Kurden, aber ihre Sprache ist mit den kurdischen Sprachen nur insofern verwandt, als alle zur westiranischen Sprachgruppe gehören. Darin bildet Zazaisch aber mit dem Gorani, das im Irak und Iran von etwa 500.000 Menschen gesprochen wird, eine eigene Untergruppe. Und tatsächlich findet man auf Anhieb Babo mit der Übersetzung “Vater” in einem zazaischen Online-Wörterbuch.

Baba heißt nicht nur im Türkischen, sondern auch im Arabischen “Vater”. Denn im Grunde gehört Baba mit all seinen Aussprachevarianten – genau wie Mama – zu den universalen Stammelwörtern, die Kleinkinder aller Kulturkreise bilden. Ältere Rockfans werden sich noch an das Lied “Baba O’Riley” erinnern, dass die Gruppe The Who 1971, dem indischen Guru Meher Baba gewidmet hatte. Aber auch deutsche Väter werden von ihren Babys gelegentlich als Baba angesprochen, ohne dass dafür irgendein türkischer, arabischer oder indischer Einfluss nötig wäre. Und in vielen slawischen Sprachen bedeutet Baba “alte Frau”, “Oma,” oder “Hexe”.

Die Wahl zum “Jugendwort des Jahres” muss allerdings nicht bedeuten, dass das Babo nun tatsächlich von jenem heterogenen, durch Alterszugehörigkeit definierten sozialen Konstrukt, das in den Medien als “die Jugend” firmiert, massenhaft gebraucht wird. Ungebrochen und massenhaft wird Babo ganz offensichtlich nur von einem bestimmten eher ungebildeten Typus des männlichen Jugendlichen benutzt. Abiturienten sprechen die ironischen Anführungsstriche quasi mit, wenn sie Babo sagen. Frei nach Haftbefehl: Schlauere Chavos wissen, dass Babo ein Assi-Wort ist.

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