“AUSHUNGERN BIS ZUR UNTERWERFUNG ” – Neue Kriegstaktik in Syrien Assad läßt Zivilbevölkerung aushungern

„OHNE ASSAD IST KEINE LÖSUNG MÖGLICH „ – Salih Muslim PYD

Im syrischen Bürgerkrieg verfolgt das Assad-Regime eine perfide Strategie. Die Armee blockiert die gesamte Region um Damaskus. Sie hofft offenbar, dass die Stimmung in den Hochburgen der Rebellen kippt. Millionen Menschen sind bedroht von Hunger und Krankheiten.

“Aushungern bis zur Unterwerfung.” So nennen syrische Soldaten ihre Taktik, die sie gegen die Rebellen anwenden, unter der aber die normalen Bürger leiden. Lebensmittel und Medikamente werden in die abgeriegelten Gebiete nicht mehr durchgelassen. Die Soldaten von Präsident Baschar al-Assad haben in dem seit mehr als zwei Jahren dauernden Bürgerkrieg schon oft versucht, Aufständische auszuschalten, indem sie diese vom Nachschub abgeschnitten haben. Doch der Würgegriff, in den sie nun die Vorstädte rund um Damaskus nehmen, wo sich die Rebellen verschanzt haben, hat eine neue Qualität. Nun trifft es auch die Zivilbevölkerung mit voller Wucht.

“Nur einen Laib Brot.” – Immer wieder bettelt der schmächtige Junge den Soldaten an dem Kontrollposten an, der das von Regierungstruppen gehaltene Zentrum der Hauptstadt von den Vororten trennt. Er will einen Beutel Brot mit dem Fahrrad holen und nach Hause bringen. Der Soldat sagt Nein. “Nur einen Laib Brot.” Der Soldat bleibt hart und schreit den Jungen an: “Hör zu! Ich sage es dir: Nicht ein Bissen ist erlaubt! Ich mache die Regeln nicht. Die Regeln machen Leute, die größer sind als du und ich. Und die beobachten uns gerade ganz genau. Also geh nach Hause!” Als sich der Junge endlich trollt, atmet der Soldat tief und leise aus.

Helfer müssen Zugang haben

Wie oft mag sich diese Szene abspielen? Die Vereinten Nationen schätzen, dass mehr als eine Million Syrer in Gebieten eingeschlossen sind, in die keine Hilfslieferungen mehr durchkommen. “Wir nennen das gern Aktion Aushungern bis zur Unterwerfung”, sagt Abu Haider, einer der Sicherheitskräfte an einem Kontrollposten im Zentrum von Damaskus. Immer häufiger hört man dort diese Losung. Die syrische Regierung reagiert nicht auf die Vorwürfe, sie setze den Hunger als Waffe ein. Die Assad-Führung sagt, “Terroristen” hätten die Einwohner als Geiseln genommen – so nennt sie die Aufständischen, die seit zweieinhalb Jahren versuchen, die Regierung zu stürzen.

Zwar ist nach internationalem Recht eine massive Belagerung nicht ausdrücklich verboten, das Aushungern von Menschen wird aber dennoch als Kriegsverbrechen angesehen. Das Kriegsrecht verlangt außerdem, dass alle Seiten Helfern freien Zugang zur eingeschlossenen Zivilbevölkerung gewähren müssen. Doch Hilfsorganisationen beklagen, dass sie keinen Zugang zu den eingekesselten Männern, Frauen und Kindern bekommen. Beide Seiten – Rebellen und Assad-Truppen – nutzen die Kontrollposten, um ihre Territorien zu markieren und ihre Gegner aufzuhalten.

Ring um Damaskus schließt sich

Nach einem schnellen Vormarsch auf Damaskus, schaffen es die Rebellen nun nicht die Hauptstadt einzunehmen. Die Vororte im Osten, Süden und Westen, in denen sie Stellung bezogen haben, sind teilweise oder sogar ganz von Assads Armee eingekesselt. Nun seien seine Kameraden dabei, die Städte Kudsajja und Hameh im Norden abzuriegeln, sagt Abu Haider.

Die Chance, dort die Kontrollposten zu passieren, steigt und fällt mit dem Ausweis. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, darf durch. Schulkinder ebenso. Ihre Eltern werden zurückgehalten. Einige dürfen zu Fuß weitergehen, während es mit dem Auto sehr viel schwieriger ist durchzukommen. Die meisten Insassen werden gezwungen auszusteigen und müssen zu Fuß zwanzig Minuten lang auf der Autobahn weitergehen, bis sie auf der anderen Seite mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterkommen. Oft stehen die Menschen stundenlang an den Kontrollposten. Soldaten durchsuchen Autos und tasten die Menschen ab. Sie wollen verhindern, dass Brot, Babynahrung und Medikamente in die abgeriegelten Orte geschmuggelt werden. Nach Hameh, wo überwiegend Sunniten wohnen, kommt kein Fahrzeug mehr durch. Dort unterstützen viele Einwohner die Rebellen. In Kudsajja, in das Tausende Syrer aus dem ganzen Land geflohen sind, sieht es nur wenig besser aus. Hier leben auch Angehörige anderer Glaubensrichtungen.

Wer noch Geld hat, bezahlt Schmuggler

In ihrer Not klauben die Menschen Obst und Gemüse in den wenigen Plantagen zusammen, zu denen sie noch durchkommen. Sie riskieren dabei ihr Leben, denn Assads Scharfschützen schießen schnell. Wer noch Geld hat, bezahlt Schmuggler. Nirgends ist mehr Brot zu finden. Währenddessen berichten Ärzte, dass sie immer wieder Patienten behandeln, die wegen verschmutzten Wassers erkrankt sind. Die Menschen leiden an Durchfall und Dehydrierung. Immer häufiger seien die aufgeblähten Bäuche der Unterernährten zu sehen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO berichtet vom Ausbruch der Kinderlähmung im Nordosten des Landes – eine Folge der mangelnden Impfungen.

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In Muadamija im Südwesten der Hauptstadt ist die Lage besonders dramatisch. Seit einem Jahr ist der Vorort vom Militär belagert. Zu 90 Prozent sei Muadamija zerstört, berichtet die Opposition. Nur noch wenige Ärzte seien geblieben. 12.000 Menschen seien vom Hungertod bedroht. Auch die Wasserversorgung sei schlecht. Nun wurde auch noch eine der beiden Hauptwasserleitungen von Assads Bomben zerstört, berichten Einwohner.

Gras und Blätter als Nahrungsersatz

Vor kurzem durften der UN zufolge 3000 Frauen und Kinder den Ort verlassen. Am Dienstag wurden nach Angaben aus syrischen Regierungskreisen noch einmal 1800 Menschen aus Muamadija gebracht. Die staatlichen Medien berichteten, die Menschen seien von “Terroristen” beschossen worden.

Bis vor wenigen Wochen hätten Schmuggler auf der Autobahn Beutel mit Babynahrung und Medikamenten aus den fahrenden Wagen geworfen, berichten Anwohner. Doch seit Juli ist die Straße die Frontlinie zwischen Armee und Rebellen. Deshalb wagt sich nun niemand mehr dort hin. Der Hunger ist inzwischen so groß, dass die Menschen in ihrer Verzweiflung Gras und Blätter essen. “Niemand kann mehr irgendetwas zu uns hereinschmuggeln”, sagt Kusai Sakarija, der in Muadamija ausharrt und kämpft. Viele Schmuggler seien von Assads Scharfschützen getötet worden. “Jetzt kommen nur noch Kugeln und Granaten nach Muamadija hinein. Und hinaus gelangen nur noch die Seelen der Toten.”