ARBEITSGRUPPE FÜR DEN WIEDERAUFBAU SYRIEN – BERLIN – Leiter: Gunnar Wälzholz

SYRIEN/010: Pläne für Syrien  / Informationen zur Deutschen Außenpolitik  30.05.2012

DA­MAS­KUS/BER­LIN  Ber­lin star­tet Vor­be­rei­tun­gen für den Umbau Sy­ri­ens zu einer li­be­ra­len Markt­wirt­schaft. Ende letz­ter Woche hat unter deut­schem Vor­sitz eine mul­ti­na­tio­na­le “Working Group” die Ar­beit auf­ge­nom­men; sie soll un­mit­tel­bar nach dem Sturz des As­sadRe­gimes öko­no­mi­sche So­fort­maß­nah­men in die Wege lei­ten, dar­un­ter die Ko­or­di­nie­rung von Hilfs­pro­jek­ten, aber auch die Durch­füh­rung von Wirt­schafts­re­for­men. Ge­mein­sam mit den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten rich­tet die Bun­des­re­gie­rung dazu nun ein “Se­kre­ta­ri­at” ein. Es wird von einem Deut­schen mit Af­gha­nis­tanEr­fah­rung ge­führt (Gunnar Wälzholz).

Die Ent­staat­li­chung der sy­ri­schen Wirt­schaft hatte Ber­lin schon in Ko­ope­ra­ti­on mit dem As­sadRe­gime ge­för­dert; die be­gin­nen­de Li­be­ra­li­sie­rung trieb je­doch Teile der Be­völ­ke­rung in den Bank­rott, was zum Auf­stand gegen das Re­gime bei­trug. Erste Ent­wür­fe für eine neue sy­ri­sche Wirt­schafts­ord­nung lie­gen Ber­lin mitt­ler­wei­le vor. Ver­fas­ser ist ein Ak­ti­vist des Sy­rian Na­tio­nal Coun­cil (SNC), der von zahl­rei­chen Op­po­si­tio­nel­len scharf kri­ti­siert wird, weil die Mus­lim­bru­der­schaft in ihm eine star­ke Stel­lung in­ne­hat. Füh­ren­de SNCPo­si­tio­nen hal­ten sy­ri­sche Exil­po­li­ti­ker aus Wa­shing­ton, die eine west­li­che In­ter­ven­ti­on à la Ko­so­vo ver­lan­gen und als Vor­bild für die sy­ri­sche Op­po­si­ti­on die UÇK be­nen­nen.

Selbst­er­mäch­tigt

Unter deut­schem KoVor­sitz ist Ende letz­ter Woche in Abu Dhabi erst­mals eine mul­ti­na­tio­na­le “Ar­beits­grup­pe” zu­sam­men­ge­kom­men, die öko­no­mi­sche So­fort­maß­nah­men für die Zeit nach dem Sturz des As­sadRe­gimes in die Wege lei­ten soll. Ein­ge­setzt wurde die Ar­beits­grup­pe (“Working Group on Eco­no­mic Re­co­very and De­ve­lop­ment of the Fri­ends of the Sy­rian Peop­le”) am 1. April in Is­tan­bul von der “Grup­pe der Freun­de des sy­ri­schen Vol­kes” (“Group of Fri­ends of the Sy­rian Peop­le”). Bei die­ser han­delt es sich um ein Bünd­nis west­li­cher und pro­west­li­cher Staa­ten, die sich im sy­ri­schen Bür­ger­krieg auf die Seite der Op­po­si­ti­on ge­schla­gen haben und vor­wie­gend mit dem Sy­rian Na­tio­nal Coun­cil (SNC) ko­ope­rie­ren, einer Exil­or­ga­ni­sa­ti­on. Über eine Le­gi­ti­ma­ti­on durch den UNSi­cher­heits­rat ver­fügt die “Grup­pe der Freun­de des sy­ri­schen Vol­kes” nicht. Das­sel­be gilt für ihre “Ar­beits­grup­pe” zum öko­no­mi­schen Wie­der­auf­bau Sy­ri­ens, die als “zen­tra­les Forum” für die not­wen­di­gen Wirt­schafts­maß­nah­men die­nen soll  selbst­er­mäch­tigt.[1]

Deutsch­land fe­der­füh­rend

Wie der deut­sche Di­plo­mat Cle­mens von Goet­ze er­klärt, der ge­mein­sam mit einem Kol­le­gen aus den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten die Zu­sam­men­kunft Ende letz­ter Woche lei­te­te, geht es der “Working Group” nicht nur um un­mit­tel­ba­re Not­hil­fe nach dem Sturz des Re­gimes. Viel­mehr sei jetzt “eine gute Zeit, um eine lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve für das Land zu öff­nen”.[2] Als Mo­dell gilt dabei der Mar­shallPlan, mit dem die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg in Eu­ro­pa die ma­te­ri­el­le Grund­la­ge für den Auf­bau des west­li­chen Bünd­nis­ses leg­ten. Die “Working Group” hat meh­re­re Un­ter­grup­pen ein­ge­rich­tet, die sich je­weils spe­zi­el­len The­men wid­men sol­len. In der in­ter­na­tio­na­len Ar­beits­tei­lung, auf die sich die Mit­glied­staa­ten nun of­fi­zi­ell ge­ei­nigt haben, ist Deutsch­land fe­der­füh­rend mit “Wirt­schafts­po­li­tik und Re­form” be­fasst. Dabei gehe es ex­pli­zit um “lang­fris­ti­ge Stra­te­gi­en” [3], die

dem Über­gang Sy­ri­ens “von einer zen­tral ge­lei­te­ten Wirt­schaft in eine Markt­wirt­schaft” die­nen soll­ten, heißt es in Be­rich­ten. Die “Working Group” rich­tet dazu ein Se­kre­ta­ri­at ein, für das Deutsch­land und die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te je­weils 600.000 Euro zur Ver­fü­gung stel­len wol­len. Als Lei­ter ist der Deut­sche Gun­nar Wälz­holz vor­ge­se­hen. Wälz­holz lei­te­te zu­letzt die Fi­lia­le der Kre­dit­an­stalt für Wie­der­auf­bau (KfW) in Af­gha­nis­tan.

Zu­cker­brot und Peit­sche

Wie ein Teil­neh­mer der letzt­wö­chi­gen Zu­sam­men­kunft be­stä­tig­te, geht es bei den Maß­nah­men, die nun unter deut­scher Füh­rung auf den Weg ge­bracht wer­den sol­len, al­ler­dings auch um kurz­fris­ti­ge Ziele. So sol­len Wirt­schafts­pro­jek­te die­je­ni­gen Kräf­te in Sy­ri­en an­zie­hen, “die sich an der Re­vol­te noch nicht in vol­lem Um­fang be­tei­li­gen oder noch zö­gern, sie zu un­ter­stüt­zen”.[4] Damit bil­den sie eine Art Ge­gen­stück zu den Wirt­schafts­sank­tio­nen, die  al­ler­dings nicht per An­reiz, son­dern durch Druck  eben­falls re­gime­treue Un­ter­neh­mer zum Über­lau­fen be­we­gen sol­len. Ent­spre­chend er­klärt die “Working Group”, die Sank­tio­nen könn­ten auf­ge­ho­ben wer­den, “so­bald ihre Ziele er­reicht sind”  also nach As­sads Sturz, den ein Sei­ten­wech­sel in­ter­es­sier­ter Wirt­schafts­krei­se be­güns­ti­gen würde.[5]

Die Fol­gen der Li­be­ra­li­sie­rung

Die Ent­staat­li­chung der sy­ri­schen Wirt­schaft, die der “Working Group” ob­liegt, wurde von Ber­lin schon vor Jah­ren ge­för­dert  lange Zeit in enger Ko­ope­ra­ti­on mit dem As­sadRe­gime. Die deut­sche Ent­wick­lungs­or­ga­ni­sa­ti­on GTZ (heute: GIZ) star­te­te im Jahr 2006 ei­gens ein Pro­gramm mit dem Titel “Un­ter­stüt­zung der sy­ri­schen Wirt­schafts­re­form”. “Die sy­ri­sche Re­gie­rung hat 2000 den Über­gang zur so­zia­len Markt­wirt­schaft be­schlos­sen”, hieß es zur Er­klä­rung; al­ler­dings man­ge­le es “den be­tei­lig­ten In­sti­tu­tio­nen (…) an Kennt­nis­sen”, wes­halb die GTZ sie un­ter­stüt­ze.[6] “Durch die er­war­te­ten Ein­kom­mens und Be­schäf­ti­gungs­ef­fek­te” werde die Re­form “die Le­bens­si­tua­ti­on der sy­ri­schen Be­völ­ke­rung” ver­bes­sern, hieß es wei­ter  eine An­kün­di­gung, die schlicht nicht ein­traf. Ganz im Ge­gen­teil: Die Öff­nung des sy­ri­schen Mark­tes habe höchst “schäd­li­che Aus­wir­kun­gen” auf das ein­hei­mi­sche Hand­werk, be­stä­tig­te letz­tes Jahr die In­ter­na­tio­nal Cri­sis Group. Dies tref­fe zum Bei­spiel auf Duma zu, einen Vor­ort von Da­mas­kus, in dem zahl­rei­che Hand­wer­ker leb­ten; sie stün­den auf­grund der Li­be­ra­li­sie­rung vor dem Ruin und hät­ten dem Re­gime des­halb ihre Loya­li­tät auf­ge­kün­digt.[7] Tat­säch­lich gilt Duma heute als Pro­test­hoch­burg und wurde im Ja­nu­ar kurz­zei­tig sogar voll­stän­dig von Auf­stän­di­schen kon­trol­liert.

Ent­spre­chend heißt es in der “Na­tio­nal Eco­no­mic Vi­si­on”, die der Chef des “Eco­no­mic Bu­reau” des SNC, Usama al Qadi, ver­gan­ge­ne Woche der unter deut­scher Füh­rung ste­hen­den “Working Group” in Abu Dhabi vor­ge­stellt hat, die Li­be­ra­li­sie­rung werde erst “auf lange Sicht” den Le­bens­stan­dard heben. Zu­nächst müsse man zu­ver­läs­si­ge Rah­men­be­din­gun­gen für Aus­lands­in­ves­ti­tio­nen schaf­fen, die “Pro­duk­ti­vi­tät” der sy­ri­schen Ar­bei­ter er­hö­hen, die An­sied­lung von In­dus­trie­be­trie­ben for­cie­ren, den Ban­ken­sek­tor re­for­mie­ren und sich ins­be­son­de­re im Aus­land um neue Ge­schäf­te be­mü­hen. Der “Mar­shall Sy­rian Re­co­very Plan”, der mög­lichst schnell kom­men müsse, werde Di­rekt­in­ves­ti­tio­nen aus dem Wes­ten in grö­ße­rem Maße an­lo­cken kön­nen. Bei der Um­set­zung wird künf­tig das deutsch ge­lei­te­te “Se­kre­ta­ri­at” der “Working Group” be­hilf­lich sein, so­bald Assad ge­stürzt und das Re­gime in Da­mas­kus aus­ge­tauscht ist.

Der SNC, der im Rah­men der “Working Group” auf sy­ri­scher Seite eng mit dem Wes­ten ko­ope­riert und des­sen Per­so­nal sich für künf­ti­ge Füh­rungs­tä­tig­kei­ten an­bie­tet, ist unter Op­po­si­tio­nel­len in Sy­ri­en hef­tig um­strit­ten. Er wird von Mit­glie­dern der Mus­lim­bru­derschaft do­mi­niert, deren star­ke Stel­lung im SNC bei vie­len sä­ku­lar ori­en­tier­ten Re­gime­geg­nern auf ent­schlos­se­nen Pro­test stößt. Au­ßer­dem ruft es bei gro­ßen Tei­len der sy­ri­schen Op­po­si­ti­on Unmut her­vor, dass füh­ren­de SNCMit­glie­der offen auf eine Mi­li­tär­in­ter­ven­ti­on des Wes­tens set­zen. Ent­schie­den gegen west­li­che Kriegs­ope­ra­tio­nen hat hin­ge­gen etwa das Na­tio­nal Co­or­di­na­ti­on Com­mit­tee (NCC) plä­diert, ein Zu­sam­men­schluss op­po­si­tio­nel­ler Or­ga­ni­sa­tio­nen in­ner­halb Sy­ri­ens, der vom Wes­ten nicht be­son­ders be­ach­tet wird. Rad­wan Zi­a­deh, “Di­rek­tor für aus­wär­ti­ge Be­zie­hun­gen” des SNC und wie SNCWirt­schafts­fach­mann Usama al Qadi für das in Wa­shing­ton be­hei­ma­te­te Sy­rian Cen­ter for Po­li­ti­cal and Stra­te­gic Stu­dies tätig, hat sich sei­ner­seits be­reits mehr­fach für Ope­ra­tio­nen à la Ko­so­vo aus­ge­spro­chen. “Ko­so­vo zeigt, wie der Wes­ten in Sy­ri­en in­ter­ve­nie­ren kann”, er­klär­te Zi­a­deh, der be­reits im Juli 2011 im Ber­li­ner Aus­wär­ti­gen Amt zu Gast ge­we­sen war, im Fe­bru­ar in der Fi­nan­ci­al Times.[8]