Alleine gelassen

von Thomas von der Osten-Sacken – jungle world : Das Magazin Unique interviewte kürzlich den aus Syrien geflohenen Studenten Alan Hassaf.

 Was er zu sagen und zu beklagen hat kann man als durchaus repräsentativ für eine große Gruppe von Oppositionellen gegen das Ba’th Regime lesen. Hassaf beklagt die mangelnde Unterstützung aus Europa und den USA und fordert ein militärische Intervention.

Zugleich warnt er vor der zunehmenden Islamisierung der syrischen Rebellion, weil einzig die Golfstaaten Geld zur Verfügung stellten und außerdem immer mehr internationale Jihadisten, vor allem aus dem Irak, ins Land strömten, Jihadisten, die einst, mit tätiger Unterstützung des Assad Regimes, in den Irak geschickt wurden, um da gegen die US-Truppen zu kämpfen:

Ehrlich, das ist unser Problem mit den westlichen Regierungen und NGOs. Wir von den LCCs )Lokalen Koordinierungskomittees Anm. d. Verf.) sind arm und schwach. Auf der anderen Seite verfügen die politisch-islamischen Gruppen über Rückhalt. Saudi-Arabien zahlt ihnen Millionen wie nichts. Und wir können nicht mal 70 Dollar für eine Internetrechnung ausgeben. Die Revolution geht nun schon seit zwei Jahren. Zu Beginn gab es keine bewaffneten Gruppen. Alles war säkular und friedlich – es war großartig. Aber die westlichen Regierungen konnten keine klaren Entscheidungen treffen. Die radikalen islamischen Ansichten hatten den Raum, sich in Syrien frei zu entfalten. (…)

Ich verstehe den Westen nicht. In Istanbul traf ich Hillary Clinton und fragte sie: „Was macht ihr Leute? Ihr sagt, ihr sorgt euch um die Zukunft Syriens – wir von den LCCs und anderen säkularen, zivilen Gruppen haben eine Roadmap. Unterstützt uns. Sagt, dass ihr an diese Roadmap glaubt. Tut ihr das nicht, dann lasst ihr die Muslimbrüder immer stärker werden. Die Salafis auch. Und dann sagt ihr, dass ihr vor der Zukunft Syriens Angst habt. Ihr seid Teil der Zerstörung Syriens, indem ihr nichts tut.“ Die Muslimbrüder haben keinen großen Rückhalt in Syrien, aber sie haben eines: Geld. (…)

Ich hoffe, dass es eine militärische Intervention westlicher Regierungen gibt. Nur so kann die Zukunft Syriens gesichert werden. Wenigstens wird es dann nicht überall Waffen geben, keine 15-Jährigen mit Kalaschnikows, die jedeN töten können. Wir haben iranische Offiziere und russische WaffenexpertInnen, die syrische OffizierInnen beraten. Wir haben Hisbollah-Kämpfer, die Waffen einsetzen. Es ist kein syrischer Krieg, es ist größer. JedeR kämpft. Der Iran, Russland, die Hisbollah und andere kämpfen gegen uns. Und auf unserer Seite? Unsere FreundInnen? Sie sind nicht da.

Nein die Freunde sind in der Tat nicht da. Und so wird Syrien in ein Schlachthaus verwandelt und schon munkelt man wieder, Assad könne, mit der massiven Unterstützung, der er aus Rußland und dem Iran erhält, vielleicht doch noch die Oberhand gewinnen. Ansonsten droht er, Damaskus als Ruinenfeld zu hinterlassen. Auch das interessiert niemanden mehr wirklich, ebenso wenig wie die 650 000 syrischen Flüchtlinge, die inzwischen, miserabel versorgt, in den Nachbarländern Syriens vor sich hin vegetieren müssen.

Weder sind diejenigen da, die vor zehn Jahren, als es gegen Saddam ging, eine Intervention, die Hassaf übrigens ausdrücklich begrüßte, erklärten, sie seien ganz explizit gegen Krieg und Intervention von außen, Opposition von innen verdiente aber Unterstützung. Noch dijenigen , die sich für “westliche Werte” und Menschenrechte stark machten, damals, in grauen Vorzeiten, in den 90er Jahren. Und die USA? Die sind auch nicht mehr da und wenn sie den lahmen Haufen, der angeblich die Opposition unterstützt, “Freunde Syriens” nennen, so kommt einem das wie blanker Zynismus vor. Nein Barack Obama hat gerade erklärt, das Zeitalter der Kriege sei vorbei, er habe “Peace in our Time” gemacht. So sieht dieser Frieden denn auch aus.

Will man ganz ehrlich sein gegenüber Leuten wie Alan Hassaf, müsste man ihnen sagen, dass sie ganz alleine stehen und der sogenannte Westen, die Islamisten und das Assad Regime in einem sich ganz einig sind: Sie stören. Sie stehen dem Gang der Dinge im Weg. Besser sie verschwinden heute als morgen. Demokratie, Selbstverwaltung, Säkularismus? Das will man doch gar nicht im Nahen Osten. Man will starke Männer, die die Region kontrollieren, mit denen man Geschäfte machen und ab und zu einen Al-Qaida Kommandanten jagen kann und ansonsten will man …. Ruhe.

Noch scheint man deshalb nicht nur in Washington heimlich zu hoffen, dass Assad es doch vielleicht noch schafft, militärisch zu siegen. Wie er dann über das Trümmerfeld herrschen will, das Syrien längst ist? Darüber wird geredet, wenn es an der Zeit ist.

Oder Syrien verwandelt sich eben final in einen “Failed State” un der Norden des Landes in ein jihadistisch kontrolliertes Khalifat:

Whereas six months ago, when the siege of Aleppo was in its infancy, Nusra was said to have had a mere 2-3,000 fighters under its command, today that number is closer to 10-15,000; still a minority within the insurgency, but with more than enough self-confidence to make up for the fact. Everywhere you travel in the north, the black flag is conspicuous.

“At some point these guys are going to impose strict Islamic laws and behave the way they did in Anbar,” Joel Rayburn, a US Army intelligence officer at National Defense University with extensive battlefield experience in Iraq and Afghanistan, told me. “Sharia courts, shooting women, you name it. There are already signs that Nusra is headed this way in the Jazira, in Deir Ezzor, for example.”

Dann schickt man eben die Drohnen los und gibt ansonsten Assad Recht, der ja genau davor gewarnt hat und dann alles in seiner Macht stehende unternahm, dass nun wirklich auch eintritt wovor er zynisch warnte, oder in den Worten von Michael Weiss:

Jihadism, regional spillover and Sunni-Shiite sectarianism. Only a year ago, these were the three oh-my’s advanced in favor of keeping the United States both directly and indirectly out of the Syrian conflict. Yet now they’re all there anyway, absent any external means of mitigation or preemption. If the current stalemate continues, and Syria is indeed plunged into exactly the kind of cocktail of Hobbesian horrors that the US spent a decade trying to counter, then we run an excellent chance of intervening at a later date not to dismantle the remnants of Assadism but to destroy the most virulent form of the anti-Assad opposition. Thus will the regime’s narrative from day one—that it was fighting objectively on the side of the West in the global war on terror—have become a self-fulfilled prophecy. As one defector is said to have told a US official in early 2012: “You can send aircraft for a no-fly zone over Syria now, or you can send drones over Syria later.”

Vielleicht interventiert ja in ein paar Jahren auch Frankreich dann in Syrien, gegen die Islamisten. Wenn es einmal mehr zu spät ist. Und Richard Herzingen wird dann, völlig zu Recht empört, wieder schreiben können, dass es “an der Frontlinie nicht nur der westlichen demokratischen Welt, sondern der ganzen zivilisierten Menschheit kämpfe“.

Nur, an die vermeintlichen “westlichen Werten”, die in einer Zeit, die als Spätkapitalismus zu bezeichnen reine Euphorie wäre, weit eher mit der beklagten Haltung der “zivilisierten Welt” gegenüber Syrien korrelieren, als dem Einsatz der französischen Armee in Mali, haben Leute wie Alan Hassaf die letzten 22 Monate appelliert. Ihr Fehler: Sie glauben noch an westliche Verlautbarungen über Freiheit und Demokratie, die zwar immer schon hauptsächlich Ideologie waren, aber heute nicht einmal mehr für Feiertagsreden taugen, denn für die “westliche demokratische Welt”, an die syrische Oppositionelle fälschlich noch glaubten, steht heute der Pazifismus eines Westerwelles und rotgrüne moralische Wurtschigkeit weit mehr als die Überreste der französischen Republik.

Und die Zeiten, in denen man sich wegen systematischer Vergewaltigungen oder ähnlicher Akte aus der Ruhe hat bringen lassen, die sind eh längst vorbei. Weder für syrische Flüchtlingskinder noch die Opfer sexueller Gewalt findet sich auch nur ein deutscher Prominenter, der zumindest ein wenig Geld sammelt, um’s schlechte Gewissen zu beruhigen. Denn selbst das gibt es nicht mehr.

http://jungle-world.com/von-tunis-nach-teheran/2027/