AHMET TÜRK : Heute ist der 43 Tag des Hungerstreiks in den türkischen Gefängnissen. Der Hungerstreik hat einen kritischen Punkt erreicht.
Milliyet.com.tr, 24.10.2012 (isku) – Wenn kein Schritt in Richtung Erfüllung der Forderungen getan werden sollte, fürchte ich, dass die Geschichte sich wiederholt, sich unserem Schmerz neue Schmerzen hinzufügen und jeder Tod uns einen weiteren Schritt voneinander entfernt.
Bedauerlicherweise hält die Blindheit des Gewissens und das Stumm sein der Stimme gegenüber dem Feuer das aus den Gefängnissen aufsteigt weiterhin an. Jeder der ein Gewissen hat sollte sich aber eines fragen. Warum haben hunderte junge kurdische Menschen seit 43 Tagen ihren Körper dem Tode geweiht?
Die Forderung der jungen kurdischen Menschen in den Gefängnissen ist nicht darauf gerichtet die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern. Sie haben ihre Körper dem Tode verschrieben, um die sich zunehmend verschlechternde Situation im Lande zu verbessern. Sie sind im Widerstand um dieses Land, das sich zunehmend zu einem halboffenen Gefängnis wandelt, zu befreien. Das gilt es wahrzunehmen.
Was fordern sie?
Die Aufhebung der Isolation in Imralı, Sicherstellung notwendiger Bedingungen damit Öcalan im Friedensprozess seine Rolle erfüllen kann, Aufhebung der Hindernisse gegenüber muttersprachlichem Unterricht und Anerkennung der Muttersprache in der Verteidigung (vor Gericht).
Bei diesen Forderungen handelt es sich um rechtmäßige, um legitime und demokratische Forderungen. Wenn sie erfüllt werden sollten wird die Ära des Kampfes ein Ende finden, sich die Tür für einen ehrenvollen, gerechten Frieden öffnen. Es handelt sich um Forderungen die geeignet sind ein neues Blatt für die Zukunft der Gesellschaft beginnen zu lassen.
Deshalb sind es Forderungen die 75 Millionen (Menschen) direkt betreffen.
Deshalb kann keiner, der in diesem Land lebt, keiner der sich in diesem Land Gedanken über die demokratische Zukunft des Landes macht, keiner der Ruhe sucht, keiner der Freiheit wünscht, keiner der Frieden fordert, der Gerechtigkeit gegenüber seiner Arbeit sucht sich unsensibel verhalten und achtlos vorübergehen.
Bedauerlicher Weise ist die Türkei heute nicht an diesem Punkt angelangt. Der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen wird nicht ausreichend aufgegriffen.
Und das erfüllt mich mit zunehmender Sorge.
Sehen Sie!
In der Zeit des 12. September 1980 habe ich diesen Schmerz zur Genüge kennen gelernt. Bin gefoltert worden, vor meinen Augen sind meine Freunden aufs unmenschlichste gefoltert worden.
Ich habe (durch sie) Freunde verloren.
Ich wurden Zeuge, wie die leblosen Körper meiner Freunde in Bettdecken gehüllt fortgetragen wurden; erlebte die Trauer und den Schmerz, der vor dem Gefängnis wartenden Angehörigen, durchlebte das gleiche wie sie.
Die Tode der 1980er haben einen großen Bruch verursacht. Das kurdische Problem hat sich verschärft. Heute bin ich erneut Zeuge, wie wieder die gleiche schmerzhafte Ära vor der Tür steht.
Die Geschichte ist davor sich zu wiederholen.
Eigentlich hat sich an der seit langem gegenüber den Kurden gezeigten Politik nichts geändert. In der Zeit des 12. September herrschte Verleugnung und Assimilation.
Auch heute dauert die gleiche autoritäre und antidemokratische Praxis der Verbote gegenüber den Kurden und den Muttersprachen an.
Auch heute sehen wir uns mit einer Mentalität konfrontiert, die dem muttersprachlichen Unterricht die Rechtmäßigkeit abspricht, die die Sprache und Identität eines Volkes diskriminiert und verleugnet.
Auch vor 30 Jahren gab es die Forderung der Kurden (nach Anerkennung) der Sprache, Kultur und Identität. Dafür waren kurdische junge Leute bereit zu sterben.
Heute wird mit den gleichen Forderungen erneut ein Hungerstreik bestritten. Die jungen Kurden Opfern ihre Körper für die Muttersprache, für eine Zukunft in Freiheit. Auch damals warteten die Angehörigen vor den Gefängnissen, vor den Krankenhäusern ohnmächtig auf den Tod.
Auch heute sind tausende von Familien vor den Gefängnissen, auf den Straßen, auf den Plätzen, wollen dem Ruf eine Stimme hinzufügen, erhoffen das der Schrei der zwischen den Mauern empor steigt vernommen wird.
Wenn heute nichts unternommen wird, so befürchte ich, wird der Bruch der darauf folgen wird noch tiefer als der der Jahre von 1980. Die emotionale Trennung wird beschleunigt, und eine Zeit wird anbrechen (deren Wunden) nur schwerlich heilen und von der es kaum eine Rückkehr gibt.
Deshalb muss, bevor es zu neuen Wunden kommt, jeder der ein Gewissen besitzt den Schrei der zwischen den Mauern empor steigt vernehmen und unterstützen.
Das Gewissen der Parteien, der Regierung hat Hornhaut gebildet, ist blind und ohne Empfindung. Wir aber wissen dieses Land hat Stimmen mit Gewissen und Mut. Ich habe keinen Zweifel daran dass sehr ehrenwerte Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler sich für die Zukunft des Landes einsetzen werden. Sich mit ganzem Herzen für den Frieden, für die Geschwisterlichkeit einsetzen.
Noch einmal appelliere ich an das Gewissen und an die demokratische Öffentlichkeit. Um erneute Wunden und einen weiteren großen Bruch zu vermeiden muss jeder gegenüber dem Hungerstreik sensibel sein und sich noch mehr für Frieden, Freiheit und Demokratie einsetzen.
Denn morgen kann vielleicht schon zu spät sein!
Mit Hochachtung
Ahmet Türk
Unabhängiger Abgeordneter für Mardin – Co-Generalvorsitzender der DTK