MESOP NEWS : IHD BERICHTE ÜBER ERDOGANS VERNICHTUNG KURDISCHER LEBENSWELTEN

Bericht zu Menschenrechtsverletzungen im Dorf Kuruköy (Xeraba Bava Dorf) im Distrikt Nusaybin, Provinz Mardin

Menschenrechtsverein (IHD), 13. März 2017 (Bricht vom 24.02.2017)

Der IHD entschloss sich zur Zusammensetzung eines Komitees, das gemeldete Vorfälle in dem Dorf Kuruköy, das zu dem Distrikt Nusaybin in der Provinz Mardin gehört, untersuchen sollte. Am 11. Februar 2017 hatte die Polizei die Straßen gesperrt und machte jede Kommunikation unmöglich. Die Namen der Mitglieder des Komitees werden nicht genannt, um sie vor Repressionen von Seiten der Regierung zu schützen.

Das Komitee nahm seine Arbeit am 20. Februar 2017 in Mardin auf. Danach wurden weitere Interviews in Nusaybin geführt. Auf dem Weg nach Kuruköy wurde das Komitee ca. 15 km vor dem Dorf an einer Straßensperre durch Sicherheitskräfte gestoppt.

Untersuchungen des Komitees

Das Komitee begab sich nach der Ankunft in Nusaybin am 20. Februar zu dem Büro der HDP. Dort gab es die ersten Informationen, dass die Ausgangssperre weiterhin andauerte und dass sie Besorgnis erregende Informationen erhalten hatten, die aber nicht überprüft werden konnten.

Aussage eines Zeugen, 40 Jahre alt, der aus gesundheitlichen Gründen am 6. Tag der Ausgangssperre Kuruköy verlassen durfte:

Am Sonnabend, 11. Februar, hörten wir gegen 19.30 Uhr Hubschrauber über dem Dorf. Um 20.30 Uhr informierten die örtlichen Autoritäten über den Lautsprecher der Moschee, dass Soldaten im Dorf seien und eine Ausgangssperre bis zum nächsten Tag verhängt worden sei. In Häusern am Dorfrand wurden Razzien durchgeführt. Die Bewohner der Häuser wurden auf einem Feld zusammengetrieben und dort gefoltert und misshandelt. Zwei Frauen erhielten die Erlaubnis, sich aufgrund von Verletzungen in ein Krankenhaus zu begeben. Erlaubnis wurde nicht für die Töchter erteilt, die die beiden Frauen aus Angst vor Vergewaltigungen mitnehmen wollten. Insgesamt 16 Personen, darunter auch Kinder, wurden von Sonnabend auf Sonntag in Haft genommen. Einen Monat vorher gab es eine ähnliche Operation, in der 6 Personen für 2 Tage inhaftiert wurden. Bei dieser Operation wurden keine Häuser zerstört.

Im jetzigen Konflikt hörten wir am Freitag gegen 15.00 Gewehrschüsse mit Todesfolgen, Auf Fotos konnten wir drei Personen identifizieren, was sehr schwer war, da die Körper fast bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet waren. Aufgrund meiner Krankheit durfte ich am 6. Tag das Dorf verlassen. Kurz danach war noch Telefonkontakt möglich, der jetzt vollkommen abgebrochen ist.

In der Operation vor einem Monat wurde der Transformator, der für sauberes Wasser im Dorf sorgt, zerstört und nicht wieder repariert. Unser Wasser bekamen wir durch benachbarte Dörfer. Nach der Ausgangssperre war das nicht mehr möglich und wir mussten verunreinigtes Wasser trinken, was zu einer Epidemie führte und viele Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Wir mussten im Haus bleiben, durften uns auch keine Nahrung aus dem Garten ins Haus holen.

Kuruköy oder Xeraba Bava ist ein altes historisches Dorf. Im Mai 1995 wurde es bis auf die Grundmauern niedergebrannt, weil sich die Einwohner geweigert hatten Dorfschützer zu werden. Wir mussten unser Dorf verlassen, was vor der Zerstörung 185 Häuser hatte. Im Jahr 2002 durften wir zurückkehren. Wir bauten unser Dorf wieder auf mit jetzt 65 Häusern und 500 Einwohnern.

Wir haben immer noch keine genauen Informationen, wissen nicht, ob es Tote gibt und wie viele Häuser zerstört worden sind. Der Zeuge konnte die Namen verschiedener Personen nennen, im Alter

von 64 bis 14 Jahren, die inhaftiert wurden. Entlassen wurden nur die Minderjährigen und eine Frau, die während der Inhaftierung einen Herzinfarkt erlitt.

Personen unterschiedlicher Organisation nehmen an diesen Operationen teil: Soldaten, Polizisten von Spezialeinheiten, Personen mit verdeckten Gesichtern, in Zivil und solche mit Bärten. Sie sind alle eher kräftig gebaut und haben Waffen. Manche haben auf ihrem Rücken etwas, das aussieht wie ein Plasmafernseher. In den Nachrichten hatten wir gehört, dass eine Spezialeinheit aus Izmir, Bornova, gekommen sein soll, dafür gibt es aber es keine Bestätigung. Als ich wegging, sah ich ca. 1000 Soldaten und Polizisten auf den Straßen.

Nach diesem Interview traf sich unser Komitee mit einem Komitee des Diyarbakır Rechtsanwaltsvereins. Wir gingen zum Gericht in Nusaybin und verlangten ein Gespräch mit dem Generalstaatsanwalt. Der gab uns keinen Termin mit der Begründung, dass er sehr beschäftigt sei. Die beiden Komitees versuchten auch, Termine mit dem Gouverneur und seinem Stellvertreter zu machen. Da auch dies nicht möglich war, machten sich beide Komitees auf den Weg nach Kuruköy.

Ca. 15 km vor dem Dorf wurden wir von einer Straßensperre gestoppt. An der Sperre standen zwei Panzer, einer mit Wasserwerfern. Bewaffnete bärtige Militärs und Polizei in Zivil erwarteten uns. Wir wurden von einem Militär informiert, dass eine Weiterfahrt zu dem Dorf unmöglich sei, weil die Operation nach andauere und die Zugänge von dort und dorthin weiterhin gesperrt seien. In zwei benachbarten Dörfern gäbe es keine Ausgangssperre, aber auch dahin wurden nur Personen durchgelassen, die beweisen konnten, dass sie dort wohnten.

Aussage einer Zeugin, deren Ehemann, Abdi Aykut, bei der Operation verletzt wurde und jetzt auf der Intensivstation in Mardin liegt:

Abdi Aykut kam ca. 10 Tage vor der Operation ins Dorf um den Garten zum Bepflanzen vorzubereiten. Sie stand im Kontakt mit ihrem Mann bis Freitag als die Operation begann. Während sie telefonierten hörte sie Schreie „in den Garten, in den Garten“. Danach war die Verbindung unterbrochen. Sie erfuhr von Verwandten, dass ihr Mann verletzt war. Als sie versuchte, ihn im Krankenhaus in Mardin zu sehen, wurde ihr bestätigt, dass er dort lag. Sie durfte ihn aber nicht besuchen. Auch sein Sohn wurde abgewiesen. Sie haben also immer noch keine Nachricht über seinen jetzigen Zustand.

Unser Komitee verließ die Straßensperre und fuhr nach Nusaybin, um sich dort mit Rechtsanwälten zu treffen. Diese berichteten, dass sie keinen freien Zugang zu den Verhafteten hätten, der rechtlichen Beistand schwierig mache, und dass es auch nicht genügend Rechtsanwälte gäbe, da nur Rechtsanwälte Zugang hätten, die durch die Strafprozessordnung ernannt worden wären, keine privat niedergelassen. Sie gingen davon aus, dass ca. 50 Personen in der Gendarmerie festgehalten würden.

Nach diesen Untersuchungen erhebt unser Komitee folgende Forderungen:

Eine sofortige Untersuchung der Zeugenaussagen durch das Büro des Generalstaatsanwalts, eine Untersuchung von Fotos von gefolterten und getöteten Personen auf sozialen Medien, gepostet von Personen, die behaupten, Polizisten zu sein. Außerdem sollen sie Berichten nachgehen, die von Misshandlungen und Folter sprechen, von außergerichtlichen Tötungen, von der Zerstörung einiger Häuser in dem Dorf sowie Repressionen gegen die Dorfbewohner, die in den Zeugenaussagen genannt wurden und die das Dorf verlassen durften.

Der Ausschuss zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen der Großen Türkischen Nationalversammlung (TBMM) sollte sofort ein Komitee einsetzen und in dem Dorf Nachforschungen zu den massiven Menschenrechtsverletzungen anstellen. Das Justiz- und Innenministerium sollten

wirkungsvolle administrative und rechtliche Untersuchungen durchführen, um festzustellen inwieweit die Aktionen von Personen im Staatsdienst nicht der Gesetzgebung entsprachen.

Leider müssen wir feststellen, dass die seit dem 16. August 2015 in Kraft gesetzten Ausgangssperren immer noch stattfinden wie hier in Nusaybin, in dem Dorf Kuruköy. Wir laden internationale Menschenrechtsorganisationen ein, sich vor Ort ein Bild zu machen, in welchem Maß Menschenrechtskonventionen, unterzeichnet von der Türkei, in den Gegenden verletzt werden, wo Ausgangssperren und Sicherheitsoperationen bis zum heutigen Tag stattfinden.

Der komplette Bericht des IHD in englischer Sprache:

http://ihd.org.tr/en/index.php/2017/03/13/1401/