MESOP FOCUS : PUTIN & KADYROW UND ASSADS MYSTERIÖSES “FÜNFTE KORPS”

BAGDAD/MOSKAU, 29. Januar. Die Gäste aus Grosnyj statteten auch dem großen Saladin einen Besuch ab. Am Grab des Feldherrn und Herrschers in Damaskus, der einst die Kreuzfahrer aus Jerusalem vertrieb, posierten zwei enge Getreue Ramsan Kadyrows, des Herrschers der russischen Teilrepublik Tschetschenien, für ein Erinnerungsbild: der Mufti von Tschetschenien, Salach Meschijew, und Adam Delimchanow, ein Duma-Abgeordneter, der zugleich Kadyrows Statt-halter in Moskau ist und von seinem Herrn und Cousin als Nachfolger bezeichnet wurde. „Möge Gott ihre Gebete erhören”, wünschte sich Kadyrow zu dem Besuch der beiden am Saladin-Grab über den Internetdienst Instagram.

Die beiden Tschetschenen seien bei ihrem Besuch in Syrien von einer respekt-einflößenden Leibgarde begleitet worden, hieß es aus der syrischen Hauptstadt. Delimchanow und der Mufti waren nach eigenen Angaben gut eine Woche im Land. Kadyrow selbst berichtete jetzt über ihr Besuchsprogramm, das demnach ein Treffen mit Maher al Assad umfasste. Der berüchtigte Bruder des Gewaltherrschers Baschar al Assad ist zugleich ein wichtiger Militärkommandeur. Die Gäste reisten auch nach Aleppo, das im Dezember nach jahrelangen Kämpfen von Assad und seinen Verbündeten zurückerobert worden war — und zwar zu einem Truppenbesuch.

Berichte über tschetschenische Kämpfer in Syrien gibt es schon seit langem: Sie finden sich auf Seiten der verschiedenen Assad-Gegner, aber auch auf Seiten des Regimes. Kadyrow selbst sagte im Februar vorigen Jahres im russischen Staats-fernsehen, in Syrien seien tschetschenische Spezialkräfte tätig, die die Terrormiliz „Islamischer Staat” — in deren Reihen viele Tschetschenen kämpfen — infiltriert hätten und Ziele für russische Luftangriffe bestimmten. Im vergangenen Dezem- ‘ ber hieß es, tschetschenische Kräfte seien zur Bewachung der russischen Luftwaffenbasis Hmeimim nahe Latakia ge-schickt worden. Dann berichtete die unabhängige russische Presse, tschetschenische Kommandeure würden Kämpfer für den Syrien-Einsatz rekrutieren, und zwar zwei Bataillone zu jeweils 600 Mann. Verantwortlich sei Adam Delimchanow. Einige der Kämpfer stammten aus dem, in Grosnyj stationierten Bataillon “Sewer” (Norden); in dieser Einheit diente auch ein Tschetschene, der gerade ‘wegen des Mordes an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow Ende Februar 2015 in Mos-kau vor Gericht steht.

Noch im Dezember wies Kadyrow die Presseberichte über den Syrien-Einsatz als „Fälschung” zurück — äußerte aber, wenn Präsident Wladimir Putin einen entsprechenden Befehl gebe, werde es für jedes Mitglied der tschetschenischen Sicherheitskräfte eine Ehre sein, ihn aus-zuführen. Schließlich hat sich Kadyrow selbst als „Putins Infanteriesoldat” bezeichnet und gelobt immer wieder, „jeden Befehl” Putins auszuführen. Schon im Ukraine-Krieg gab es etliche Berichte über die Rolle tschetschenischer Kämpfer auf russischer Seite, aber auch über Kadyrow-Gegner auf Seiten der ukraini-schen Regierung. Es heißt, in Tschetschenien, wo Kadyrow keinerlei Widerwort duldet, würden die für Putins Kriegseinsätze gefallenen Kämpfer heimlich und nachts bestattet.

Anlässlich des Besuchs seiner Getreuen in Syrien bestätigte Kadyrow’ nun selbst, dass tschetschenische Kämpfer in Aleppo im Einsatz seien — und zwar als Militärpolizisten. Die jungen Männer seien „stolz, dass ihnen die Ehre zufiel, ihren Dienst zur Unterstützung des Friedens und der Gesetzlichkeit in Aleppo abzuleisten und die zivile Bevölkerung zu schützen”, so Kadyrow. Er kündigte auch eine Charmeoffensive für Aleppo an: Eine nach Kadyrows Vater Achmat, der 2004 in Grosnyj einem Bombenanschlag zum Opfer fiel, benannte Stiftung werde die beschädigte Umayyaden-Moschee in Aleppo instand setzen tuld der Stadt ein Waisenhaus spendieren.

Insbesondere das Treffen der beiden Tschetschenen mit Maher al Assad ist

 

nun Anlass zu Gedankenspielen. Denn derzeit werden neue Einheiten der syrischen Streitkräfte aufgebaut. Die Armee hat die Schaffung eines neuen „Fünften Korps” verkündet, für das sie Rekruten sucht. Russland soll dabei eine Rolle spielen. Schon länger gibt es Berichte, nach denen Moskau versucht, regimetreue Milizen unter seiner Führung in die Streitkräfte zu integrieren; auch das „Fünfte Korps” wird mit solchen Versuchen in Verbindung gebracht. So vermuten Diplomaten und Militärbeobachter, dass auf diesem Weg mit tschetschenischer Hilfe eine zu Russland loyale Streitmacht ent-stehen könnte, die ein Gegengewicht zu den Milizen der Nationalen Verteidigungskräfte schaffen würde, einem Ziehkind der Revolutionsgarden Irans. Die russische Führung hat zwar einerseits eine „Bodenoperation” in Syrien stets ausgeschlossen, andererseits aber schon den Einsatz von Spezialkräften am Boden in „Antiterroroperationen” zugegeben. Auch Moskau ist klar, dass Assads Streit-kräfte zu schwach sind, um eroberte Ge-biete auch nur zu halten, dass es Kräfte am Boden braucht. Doch dort hat bisher Iran die Oberhand.

Denn der Aufbau getreuer Milizen ist eines der Mittel, mit dem das Teheraner Regime versucht, seinen Einfluss in Syrien zu sichern. Die libanesische Hizbullah, die auf den syrischen Schlachtfeldern eine entscheidende Rolle spielt, ist dafür ein gutes Beispiel. Iran sehe mit Sorge, dass es nicht mehr der alleinentscheidende Partner des Regimes in Damaskus ist, sagen mit Syrien befasste Diplomaten. Teheran sei alarmiert angesichts der jüngsten russisch-türkischen Annäherung und fürchte, in Syrien, wo es viel investiert habe, an den Rand gedrängt zu werden. So hat die Islamische Republik unter anderem mit dem Aufbau der loyalen Milizen für diesen Fall vorgebaut. Mit einer tschetschenisch kommandierten Truppe würde Russland seinem Partner im Kampf um den Erhalt des Regimes auch auf diesem Feld Konkurrenz machen.

Denn die Allianz der Schutzherrn Assads ist Spannungen ausgesetzt. Während Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan — ein Assad-Gegner — gerade wieder eine Geschäftsgrundlage gefunden haben und gegenwärtig politische Bemühungen in den Vordergrund rücken, scheint Iran mehr und mehr die Rolle des Störenfrieds zu spielen. Schon länger kann sich Assad auf die Unterstützung Teherans verlassen, wenn er Friedensbemühungen hintertreibt, um die angekündigte Rückeroberung des ganzen Landes fortzusetzen. Das wurde nun auch während der Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana deutlich, in deren Vorbereitung Iran eine wenig konstruktive Nebenrolle eingenommen hatte. FAZ 30 Jan 2017