MESOP NEWS „EIN GUTER ALTER LANGJÄHRIGER PERSÖNLICHER FREUND VERSTORBEN Zum Tode des syrischen Gelehrten & Religionskritikers Sadik Al Azm

 

In den letzten Jahren seines Lebens konnte man den Eindruck gewinnen, als gälten die zahlreichen Würdigungen und Ehrungen, die Sadik Al Azm vor allem im Westen zu-kamen, in erster Linie seiner politischen Haltung und nicht so sehr seinem wissenschaftlichen Werk. Aber Al Azm war selbst stets jemand gewesen, der den öffentlichen Raum und die öffentliche Wirkung suchte. So hatte die Karriere des aus einer bekannten syrischen Familie stammenden Denkers auch begonnen, nicht in seiner Heimatstadt Damaskus, sondern im weltoffenen Beirut, neben Kairo dem Zentrum intellektueller Debatten in der arabischen Welt der fünfziger und sechziger Jahre.

Dort machte er schon früh von sich reden: Im Jahr 1968 zog er in der Anklageschrift „Die Selbstkritik nach der Niederlage” die arabischen Regime kurz nach dem desaströsen Sechstagekrieg für ihre rück-ständige Politik zur Rechenschaft. Endgültig zum Skandalautor machte ihn die im Jahr darauf erschienene “Kritik des religiösen Denkens”, in der er abermals scharfe Kritik an Politik und Religion übte. Die Aufsatzsammlung zog eine erhitzte öffentliche Debatte und einen Prozess gegen Al Azm nach sich, der mit einem Freispruch endete. In dieser Zeit steckte Al Azm, der in den Vereinigten Staaten über Bergson promovierte und bis 1999 moderne europäische Philosophie an der Universität Da-maskus lehrte, seine Positionen ab.

Im Frühjahr 2014 fasste er sein Anliegen so zusammen: „Ich habe versucht, mich mit allen brennenden Fragen der jeweiligen Zeit auseinanderzusetzen — Politik und Religion — und eine säkulare Agenda für Syrien und die gesamte arabische Welt voranzutreiben. Während ich in meinen Studien zum islamischen Fundamentalismus unter anderem — ich hoffe: erhellende — Vergleiche zwischen islamischem und katholischem Fundamentalismus gezogen habe.” Das Eintreten für Säkularismus, Freiheit und Demokratie und die analytische Kritik am Islamismus waren die Positionen, mit denen Al Azm zeit seines Lebens identifiziert wurde. Früh, offen und vorbehaltlos setzte er sich für Salman Rushdie ein. Zugleich war er einer der ersten arabischen Kritiker von Edward Saids „Orientalismus” -Thesen, die er zu pauschalisierend fand.

Bei alldem blieb Sadik Al Azm ein zutiefst bescheidener, humorvoller und in sich ruhender Mensch. Man muss es wohl als Ironie des Schicksals bezeichnen — oder als Wink mit dem Zaunpfahl seitens Al Azms? —, daß auch der vielleicht bedeutendste arabische Intellektuelle der Gegenwart schließlich das Los von Hunderttausenden seiner Landsleute teilte: 2012 ließen er, der seit Jahren zwischen westlichen Universitäten pendelte, und seine Frau Iman sich in Deutschland als politische Flüchtlinge anerkennen.

„Ich habe nie geplant, mein Leben als Intellektueller im Exil zu verbringen. Aber es ist passiert”, kommentierte er dies lakonisch. Und im Mai 2016 sagte er in Weimar, wo er im Jahr zuvor die Goethe-Medaille erhalten hatte, mit Blick auf den Krieg in Syrien: „Ich verliere nicht die Hoffnung. Man darf niemals die Hoffnung verlieren, ansonsten wird das Leben unlebbar.” Am Sonntag ist Sadik Al Azm im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben. Er hinterlässt seine Frau und zwei Söhne.

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