Das Dilemma der Justiz mit linken (PKK/PYD) Anti-IS-Kämpfern

MESOP NEU :  BEWAFFNETE DEUTSCHE KÄMPFER IM AUSLANDSEINSATZ / BUNDESANWALTSCHAFT  GEMEINSAME FRONT MIT PKK/PYD(YPK) MILIITANTEN

Von Florian Flade | Stand: 07.11.2016 | DIE WELT

Polizisten führen einen Teilnehmer einer Demonstration gegen Festnahmen führender kurdischer Politiker in der Türkei ab: Ankara verdächtigt Deutschland, zu wenig gegen den syrischen Ableger der verbotenen PKK zu tun – Der Bundesanwalt ermittelt nicht gegen Mitglieder der syrischen Kurden-Miliz YPG, die in Syrien gegen den IS kämpft.

  • Rund 130 Personen sollen zuletzt aus Deutschland nach Syrien gereist sein und sich dort der YPG angeschlossen haben.
  • Die Gruppe gilt als Ableger der verbotenen Terrororganisation PKK. Die Türkei beobachtet das Vorgehen daher mit Argwohn.

Der Weg auf das syrische Schlachtfeld beginnt mit einigen praktischen Ratschlägen. „Plant eure Reise gut“, heißt es auf dem linksextremistischen Onlineportal „Indymedia“. Wetterfeste Kleidung sei wichtig, warme Unterwäsche und Erste-Hilfe-Sets. Diskretes Verhalten wird empfohlen, denn: „Der Staat ist uns auf den Fersen.“ Vor Ort müsse man nicht unbedingt an vorderster Front kämpfen; auch hinter den Kampflinien gebe es jede Menge zu tun. Aber keine Illusionen: „Krieg ist eine ätzende Angelegenheit, und ihr werdet vielleicht schlimme Sachen erleben.“

Im Norden Syriens kämpfen kurdische Kampfverbände seit Jahren gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Es geht um die Rückeroberung der von den Dschihadisten besetzten Gebieten. Und um die Errichtung eines sozialistischen Westkurdistans, Rojava genannt.

Zahlreiche kurdische und nicht kurdische Freiwillige, darunter auch Linksextremisten, Antifaschisten sowie Marxisten aus aller Welt sind nach Syrien gereist und haben sich den dort kämpfenden sogenannten Volksverteidigungseinheiten Yekîneyên Parastina Gel, kurz YPG, angeschlossen. Unter ihnen auch mindestens 130 Personen aus Deutschland, wie es aus Sicherheitskreisen heißt.

Die Justiz hält sich zurück

Diese Anti-IS-Kämpfer stellen die deutschen Strafverfolgungs- und die Justizbehörden vor ein Dilemma: Handelt es sich bei der YPG-Miliz um eine Terrorgruppe? Und falls dem so ist, sollten sich dann YPG-Kämpfer nicht genauso vor deutschen Gerichten für ihre Taten in Syrien verantworten müssen wie die Dschihad-Reisenden von IS oder al-Qaida?

Gegen YPG-Kämpfer wird hierzulande bislang faktisch nicht ermittelt. Ein Umstand, der wohl insbesondere in der Türkei mit einigem Argwohn wahrgenommen wird. Denn seit Jahren fordern die türkischen Behörden von ihren deutschen Kollegen, aktiver und umfassender gegen kurdische Extremisten vorzugehen. Bei der PKK wird dies getan – bei der YPG, die von der Türkei als gleichwertige Terrorgruppe angesehen wird, eben nicht.

Türken und Kurden tragen ihre Konflikte auch in Deutschland aus

Die Bundesregierung ist bei ihrer Einschätzung der YPG und deren „Foreign Fighters“ (ausländische Kämpfer) bislang noch zu keinem eindeutigen Standpunkt gekommen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei verwies die Bundesregierung Anfang des Jahres darauf, dass die YPG, die als bewaffneter Arm der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union PYG gilt, von den Vereinten Nationen nicht als Terrorgruppe gesehen werde.

Die Gruppierung gilt jedoch als syrischer Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK – oder zumindest als enger Partner. Die PKK wiederum ist in der Europäischen Union als Terrororganisation gelistet und verboten. Ihre Anhänger, Kämpfer und Unterstützer werden in Deutschland strafrechtlich verfolgt. YPG-Anhänger jedoch nicht.

Wer mit Kurden kämpft, wird nicht verfolgt

Für die juristische Verfolgung von Terrorgruppen ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Sie benötigt allerdings für die jeweilige Gruppierung eine Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Bei der Terrormiliz IS, bei al-Qaida, den Taliban, der somalischen al-Schabab oder auch der PKK gibt es solche Ermächtigungen. Im Auftrag des Generalbundesanwalts ermittelt in diesen Fällen das Bundes- oder jeweilige Landeskriminalamt. Es werden Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozesse angestrengt. Im Fall der YPG bislang allerdings nicht.

So werden zurückeroberte kurdische Gebiete geschützt

Und das hat einen recht simplen Grund. Nach Informationen der „Welt“ hat der Generalbundesanwalt das Justizministerium nie um eine solche Verfolgungsermächtigung für die YPG gebeten. Die Konsequenz: Wer nach Syrien reist und aufseiten der kurdischen Miliz gegen die IS-Terroristen kämpft, muss derzeit kein Ermittlungsverfahren in der Bundesrepublik fürchten. Und sich ergo auch nicht für die vor Ort begangenen Taten vor einem deutschen Gericht rechtfertigen.

Bei den Dschihadisten des IS oder der Al-Qaida-Ableger ist dies anders. Sie werden von der Bundesanwaltschaft als Mitglieder einer Terrororganisation verfolgt. Die Verfahren werden auch wegen Mord, Folter, Entführung, Begehung von Kriegsverbrechen und sogar wegen illegalem Waffenbesitz in Syrien geführt.

Verbündeter im Kampf gegen den IS

Aus Justizkreisen heißt es, eine Verfolgung der YPG-Kämpfer sei politisch wohl weder gewollt noch besonders opportun. Immerhin gilt die kurdische Miliz im Nordsyrien als ein Verbündeter des Westens im Kampf gegen den IS. Das US-Militär soll die YPG-Einheiten in Syrien nicht nur mit Waffen und Munition, sondern auch mit Luftangriffen unterstützt haben. Etwa in den monatelangen, erbitterten Kämpfen um die Grenzstadt Kobane.

Radikale Islamisten leisten erbitterten Widerstand

In Deutschland weigert sich die Bundesanwaltschaft bislang, mögliche Kampfeinsätze von YPG-Anhängern in Syrien anzuklagen oder gar zu bestrafen. Mit Verweis auf die Strafprozessordnung § 153c, Absatz 1 – „Absehen von Verfolgung von Auslandstaten“ – würden die Ermittlungsverfahren meist eingestellt oder gar nicht erst eröffnet, heißt es aus Sicherheitskreisen. Dies bedeute zudem eine Arbeitsentlastung für die ohnehin schon ausgelastete Justizbehörde in Karlsruhe.

In mindestens zwei Fällen erwägen die zuständigen Staatsanwaltschaften in den Bundesländern jedoch nach Informationen der „Welt“ dennoch, Verfahren gegen mutmaßliche YPG-Mitglieder anzustrengen. Allerdings nicht wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, sondern wegen Mordverdacht. www.mesop.de