Angriffe Jetzt bitte keinen Generalverdacht gegen Clowns! – Von Henryk M. Broder

MESOP Meinung : EIN GESPENST GEHT UM IN EUROPA,  MAL WIEDER …. / KEIN GENERALVERDACHT !

Clown ist nicht gleich Clown. Gute Clowns sollten sich deshalb jetzt distanzieren von jenen, die in ihrem Namen ihr Unwesen treiben. Nach den Horrorattacken dürfen wir jetzt nicht alle Clowns über einen Kamm scheren. Wurden die Attentäter von uns allein gelassen? Machen sie einfach nur ein „Gesprächsangebot“ an die Gesellschaft?

Ein Gespenst geht um in Deutschland, greift Menschen an und macht die Polizei ratlos. Es sind selbst ernannte Horror-Clowns, die auf unseren Plätzen und Straßen ihr Unwesen treiben. Das Phänomen ist relativ neu und kommt – wie fast alles – aus den USA.Bundesweit wurden schon über 300 Vorfälle gemeldet, wobei die Dunkelziffer weit höher sein dürfte. Allein am vergangenen Wochenende gingen bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen 86 Notrufe ein. Eine erste bundesweite Übersicht zeigt Rostock mit 26 Vorfällen an der Spitze; es folgen Essen-Mülheim (12), München (elf) Gelsenkirchen (neun), Stendal (acht), Köln, Düsseldorf und Düren (je sieben).

Auch in Gütersloh, Krefeld und Bielefeld waren Horror-Clowns mit Baseballschlägern, Äxten und Kettensägen unterwegs, als würden sie sich um eine Rolle in einem Film von Stephen King bewerben.

Wo Clowns in Deutschland angegriffen haben

 

Bis jetzt ist kein Muster erkennbar. Die Fachleute stehen vor einem Rätsel. Die Angriffe seien „ein völlig neues Phänomen, das Grenzen auch strafrechtlicher Art überschreitet“, sagt Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Es gebe sicher „dumme Jungs“, die auf diesen Zug aufspringen. „Aber ich gehe davon aus, dass auch destruktive Menschen unter den Grusel-Clowns sind, die sadistische Motive ausleben.“ Die Annahme liegt nahe, müsste aber erst empirisch belegt werden.

„Wir verstehen gar keinen Spaß“

Dennoch haben einige Innenminister bereits erklärt, dass sie dem Spuk ein Ende setzen wollen, bevor er überhand nimmt. „Bei diesen angeblichen Clowns verstehen wir überhaupt keinen Spaß. Es ist perfide, eine so nette, freundliche, lustige Figur wie den Clown auf diese Art zu missbrauchen“, sagte Thomas Strobl (Stuttgart).

Peter Beuth (Wiesbaden) kündigte an, die hessische Polizei werde „derartige Übergriffe nicht tolerieren und strikt dagegen vorgehen“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg empfahl, im Falle einer Bedrohung „auf den Clown zuzulaufen und ‚Hau ab!‘ zu rufen“. Der Münchner Circus Krone bietet Anti-Angst-Kurse für Coulrophobiker an – Menschen, die Angst vor Clowns haben.

Vermutlich kann man in der gegenwärtigen Situation nicht mehr machen, als versuchen, die Nerven zu behalten und vor überzogenen Reaktionen, wie z. B. einem generellen Verbot von Clownverkleidungen, zu warnen. So etwas würde die Clowns nur in die Isolation treiben. Die Gefahr, von einem Clown angegriffen zu werden, ist minimal, viel geringer als die, bei einem Gewitter von einem Blitz getroffen zu werden.

Man darf auch nicht übersehen, dass die meisten Clowns friedliche Menschen sind, die keinen Schrecken, sondern Freude verbreiten wollen. Alle Clowns über einen Kamm zu scheren, wäre nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv, es könnte die Guten in die Arme der Bösen treiben. Schon deswegen darf es keinen Generalverdacht geben.

Es muss auch bedacht werden, welchen Beitrag gerade Clowns zur Kultur des Abendlandes geleistet haben, von Giuseppe Grimaldi über Oleg Popow bis zu Bernhard Paul, dem Direktor des Circus Roncalli. Von der venezianischen Commedia dell’arte bis zum Berliner Theatre fragile.

Was wäre das Abendland ohne die Clowns? Eine traurige Angelegenheit. Es liegt jetzt an den „Multiplikatoren“, sich für ein besseres Verständnis der Clown-Geschichte einzusetzen. Das Fach Clown-Kunde sollte in den Lehrplan eingeführt werden, um Ängste und Vorurteile gegenüber Clowns schon früh auszuräumen.

Wie wird aus einem normalen Clown ein Horror-Clown?

Natürlich muss dabei der Frage nachgegangen werden, wie aus einem ganz normalen Clown ein Horror-Clown werden kann, der seine Umwelt terrorisiert. Sind es Jugendliche, die traumatisiert wurden und sich nicht anders zu helfen wissen?

Wurden sie von der Gesellschaft allein gelassen? Ist das bedrohliche Auftreten in Wahrheit nur ein „Gesprächsangebot“ an die Gesellschaft, ein stummer Schrei um Hilfe? Haben sich die Clowns spontan radikalisiert, oder war es ein längerer Prozess, den niemand aus der Umgebung der Betroffenen bemerkt hat?

Auch die Clowns sind gefordert, sich etwas einfallen zu lassen, um den entstandenen Schaden zu begrenzen. Eine klare, unmissverständliche Distanzierung von den Radikalen in den eigenen Reihen wäre mehr als sinnvoll. Dazu ein Hashtag #nicht-in-unserem-namen.

Die echten Clowns im brasilianischen São Paulo haben bereits ein Zeichen gesetzt. Sie sind auf die Straße gegangen, um gegen die Horror-Kollegen zu protestieren. Das ist ein guter Anfang. Die nächsten Schritte müssen aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

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