MESOP DOCUMENTATION: UN-Ausschuss gegen Folter Abschluss der Beobachtungen zum vierten periodischen Bericht zur Türkei

Auszugsweise zusammenfassende Übersetzung durch das DTF

Der UN-Ausschuss gegen Folter hat bei seinen Sitzungen am 26. und 27. April 2016 den Länderbericht Türkei bewertet und seine abschließenden Beobachtungen in seinen Sitzungen am 10. und 11. Mai 2016 angenommen.

C „Hauptsächlicher Gegenstand der Besorgnis und Empfehlungen“

Straflosigkeit für Folter und Misshandlung

  1. Der Ausschuss ist besorgt, dass er nicht genügend Informationen über Strafverfolgung in Fällen von Folter erhalten hat, obwohl es für die Straftat der Folter keine Verjährung mehr gibt. Auch Fälle, in denen der EGMR geurteilt hat, sind betroffen.

Der Ausschuss ist auch besorgt darüber, dass es zwischen der hohen Zahl von durch NGOs angegebenen Folterfällen und den Zahlen, die von der Regierung in ihren periodischen Berichten angegeben wurden, was darauf hinweist, dass nicht alle Angaben von Folter untersucht wurden. Darüber hinaus hat der Staat viele Ermittlungen in Fällen von Misshandlungen und exzessiver Polizeigewalt eingeleitet, jedoch hat es nur in wenigen Fällen Disziplinarstrafen und Geldbußen gegeben und nur in einer kleinen Zahl Haftstrafen.

Der Ausschuss bedauert, dass der Staat nicht die von dem Ausschuss nachgefragten Informationen in 6 Fällen von Haftstrafen wegen Misshandlungen in den Jahren 2011 bis 2013 und keinen einzigen Fall, in dem Staatsbedienstete wegen Misshandlungen in den Jahren 2014 bis 2015 inhaftiert wurden.

Der Ausschuss bedauert, dass der Staat nicht auf die Besorgnisse des Ausschusses geantwortet hat, dass die Sicherheitskräfte oft „Widerstand“, „Beleidigung“ von Polizisten gegen die Personen vorgebracht haben, die wegen Folter, Misshandlung oder andere Polizeigewalt geklagt haben. Der Ausschuss bedauert auch, dass noch keine unabhängige staatliche Einrichtung geschaffen wurde, die Klagen wegen Folter und Misshandlung durch Sicherheitskräfte untersucht.

 

Angaben über Folter und Misshandlung von im Zusammenhang mit Anti-Terror-Operationen

Festgenommenen

 

  1. Der Ausschuss ist sehr besorgt wegen zahlreicher glaubwürdiger Berichte über Folter und Misshandlung von Gefangenen durch Sicherheitskräfte bei deren Einsatz gegen die bedrohte Sicherheit im Südosten des Landes, z.B. in Cizre und Silopi im Zusammenhang mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK nachdem Zusammenbruch des Friedensprozesses in 2015 und terroristischen Angriffen durch Täter mit Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat. Der Ausschuss ist besorgt über die Berichte, dass die Täter straflos ausgegangen seien.

 

Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen und Misshandlungen im Zuge von Anti-Terror-Operationen

  1. Außerdem ist der Ausschuss besorgt über Berichte von außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten im Rahmen von Anti-Terror-Operationen im Südosten der Türkei. Der Ausschuss bedauert, dass der Staat keine Antwort auf die Frage gegeben habe, ob Ermittlungen in den verbreitet berichteten Fällen der Tötung von zwei unbewaffneten Frauen im Stadtteil Cudi von Cizre durch Scharfschützen der Polizei am 8. September 2015.

Der Ausschuss bedauert ebenfalls, dass der Staat es versäumt habe, die Täter in Fällen von Tötungen zur Verantwortung zu ziehen, die der Ausschuss vorgetragen hatte, wie z.B.  im Fall der Tötung von Ahmet Kaymaz und seinem 12-jährigen Sohn Ugur Kaymaz im November 2004, welcher auch vor dem Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurde.

Exzessive Gewalt gegen Demonstranten

  1. Der Ausschuss ist besorgt über Angaben, dass exzessive Gewalt gegen Demonstrationen während des Beobachtungszeitraums dramatisch zugenommen haben. Der Ausschuss merkt mit Bedauern an, dass die Ermittlungen des Staates über das Verhalten der Beamten im Zusammenhang mit den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013 in Istanbul und Ankara zu keinerlei Strafverfolgung geführt haben, obwohl Beobachter – darunter der Anti-Folter-Ausschuss des Europarates – Angaben über exzessive Gewalt gemacht haben. Der Ausschuss bedauert ebenfalls, dass der türkische Staat keine Daten zur Verfügung gestellt hat über spezifische Verurteilungen, wenn es welche gegeben hat, von Polizisten unter der Anklage exzessiver Gewaltanwendung während des Berichtszeitraums. Der Ausschuss ist außerdem besorgt über kürzliche Gesetzesänderungen in dem nationalen Sicherheitspaket, das der Polizei zusätzliche Macht gibt, insbesondere die erweiterte Befugnis des Gebrauchs von Feuerwaffen gegen Demonstranten.

Flüchtlinge, Asylbewerber und Non-Refoulment

  1. Während der gesetzliche Rahmen, insbesondere das Gesetz über Ausländer und Internationalen Schutz, das Asylbewerbern und Flüchtlingen vorübergehenden Schutz und Unterstützung bietet, merkt der Ausschuss mit Besorgnis an, dass der Staat die geographische Begrenzung der Konvention von 1951 über den Status von Flüchtlingen aufrecht erhält. Er ist ebenfalls besorgt über mehrere Berichte von Ausweisung, Rückkehr oder Deportation unter Verletzung des Grundsatzes des Non-Refoulement, enthalten in Artikel 3 der Konvention. Dem Ausschuss vorliegenden Berichten zufolge könnte der Staat den Grundsatz des Non-Refoulement hinsichtlich Hunderter von Syrern gebrochen haben, die seit Mitte Januar 2016 in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Der Ausschuss ist besorgt über kürzliche Fälle, in denen 30 afghanische Asylbewerber im März 2016 nach Afghanistan zurückgekehrt sind, ohne dass ihnen Zugang zu einem Asylverfahren geboten wurde. Der Ausschuss ist außerdem besorgt über Berichte, denen zufolge die türkischen Sicherheitskräfte das Feuer auf Menschen eröffnet haben, die im April 2016 versucht haben, die türkische Grenze zu überqueren, obwohl er anmerkt, dass die Delegation des Staates diese Angaben zurückgewiesen und behauptet hat, dass die 18 von der Armee getöteten Personen „PKK-Terroristen“ gewesen seien, die versucht hätten, nach Syrien zu gehen. Als letztes bedauert der Ausschuss, dass der Staat keine vollständigen Informationen über praktizierte Verfahren gegeben hat, mit welchen eine zeitnahe Identifizierung von Folteropfern unter den Asylbewerbern möglich wäre.

Nationale Menschenrechtsinstitution

  1. Der Ausschuss ist besorgt, dass das neue Gesetz über die Errichtung eines Instituts für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei, das das Türkische Nationale Menschenrechtsinstitut ersetzt, vorsieht, dass acht seiner Mitglieder vom Kabinett und drei weitere vom Präsidenten bestimmt werden, wodurch die Unabhängigkeit dieser neuen Menschenrechtsinstitution untergraben wird.

Haftbedingungen

  1. Während Bemühungen des Staates, die Haftbedingungen in Gefängnissen zu verbessern, begrüßt werden, ist der Ausschuss besorgt, dass Überbelegung und nicht adäquate Gesundheitsversorgung ein Problem in dem Gefängnissystem bleiben und dass der Staat ungenügende Maßnahmen ergriffen hat um den dramatischen Anstieg der Gefängnispopulation durch alternative Maßnahmen des Freiheitsentzugs zu entschärfen. Der Ausschuss ist ebenfalls besorgt wegen Berichten über willkürliche Praktiken wie Zellendurchsuchungen zu jeder Tageszeit, ungesetzlichen Durchsuchungen und die Verweigerung von Telefongesprächen, insbesondere in den F-Typ-Gefängnissen in Tekirdag. Außerdem merkt der Ausschuss besorgt an, dass Isolationshaft für bis zu 20 Tagen verhängt werden darf.

Tod in Haft

  1. Der Ausschuss bedauert das Fehlen vollständiger Informationen über Selbstmorde und andere plötzliche Todesfälle an Haftorten während des Berichtszeitraums.

Erschwerte lebenslange Haft

  1. Der Ausschuss ist besorgt über die restriktiven Haftbedingungen von Personen, die zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt wurden. Diese Form der Haftstrafe wurde nach der Abschaffung der Todesstrafe eingeführt.

Beobachtung von Haftzentren

  1. Der Ausschuss ist besorgt dass, entgegen den vom Staat zur Verfügung gestellten Informationen, Nicht-Regierungs-Menschenrechtsorganisationen berichtet haben, dass ihnen weiterhin nicht erlaubt wird, Gefängnisse und Haftorte zu besuchen um dort Überwachungen durchzuführen. Der Ausschuss bedauert auch den Mangel an Informationen durch den Staat, ob die Beobachtungsaktivitäten an Haftorten durch offizielle Einrichtungen, wie der Gefängnis-Beobachtungs-Ausschuss und die Menschenrechtsausschüsse der Provinzen und Distrikte, dazu führen, dass Klagen über Folter und Misshandlung von Gefangenen empfangen werden und diese Angaben untersucht und strafrechtlich verfolgt werden.

Entschädigung und Rehabilitation

  1. Während der Staat beteuert, dass seine Gesetzgebung Entschädigung für Opfer von Folter und Misshandlung vorsieht, selbst im Fall, dass der Täter strafrechtlich nicht verurteilt wird, bedauert der Ausschuss die begrenzte Menge an verfügbaren Informationen hinsichtlich Maßnahmen zur Wiederherstellung und Wiedergutmachung, die von Gerichten oder staatlichen Institutionen seit dem letzten periodischen Bericht angeordnet und den Folteropfern und ihren Familien zur Verfügung gestellt wurden. Der Ausschuss bedauert auch, dass der Staat keine Informationen präsentiert hat über Maßnahmen zur Unterstützung und Erleichterung der Arbeit von nicht-staatlichen Organisationen, die sich um die Rehabilitation von Opfer von Folter und Misshandlung bemühen.

Kriminalisierung medizinischer Behandlung ohne Genehmigung der Regierung

  1. Der Ausschuss ist besorgt, dass der Staat Gesetze eingeführt hat, die die Bereitstellung nicht genehmigter medizinischer Behandlung verbieten. Während der Ausschuss die Erklärung der Delegation des Staates zur Kenntnis nimmt, dass diese Vorschriften nicht in Notfällen angewendet werden soll, bleibt er besorgt über die negativen Auswirkungen, die sie für medizinisches Fachpersonal im Direkten Kontakt mit Opfern von Folter und Misshandlung haben können.

Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Ärzte

  1. Der Ausschuss ist ernstlich besorgt über zahlreiche widerspruchsfreie Berichte über Einschüchterung, Bedrohung und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Ärzte, die Folteropfern Hilfestellung geben. Er bedauert auch die von dem Staat gegebene knappe Information über die Ermittlungen zu den von dem Ausschuss aufgeworfenen Fällen, wie dem Mord an dem Journalisten Hrant Dink im Jahr 2007 und dem Mord an dem Menschenrechtsverteidiger Tahir Elci im November 2015 sowie den Angriff auf das Istanbuler Büro der Tageszeitung Hürriyet am 7. September 2015. Während der Ausschuss Notiz von der Erklärung der Delegation nimmt, dass kein Journalist nur wegen seiner journalistischen Tätigkeit inhaftiert sei, ist er weiterhin besorgt über die zahlreichen erhaltenen Berichte über willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern aufgrund von Beschuldigung im Zusammenhang mit Terrorismus wegen ihrer Berichterstattung, unter anderen der Journalist Nedim Oruc und der Menschenrechtsverteidiger Muharrem Erbey.

Geschlechtsbezogene Gewalt

  1. Während die Bemühungen des Staates geschlechtsbezogene Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt und sogenannten „Ehrenmorden“, zu bekämpfen zur Kenntnis genommen wird, ist der Ausschuss besorgt über die sehr geringe Rate von Verurteilungen bei solchen Straftaten. Der Ausschuss ist ebenfalls besorgt über Berichte, dass Frauen, die Schutzmaßnahmen erhalten oder beantragt haben, in der Praxis keinen wirksamen Schutz von den Behörden des Staates erhalten haben, was in einer Anzahl von Fällen zur darauffolgender Tötung geführt hat.

Misshandlung von Wehrpflichtigen

  1. Der Ausschuss ist besorgt über Berichte von Misshandlungen von Wehrpflichtigen durch Soldaten Kameraden. Der Ausschuss bedauert das Fehlen von Informationen durch den Staat darüber, ob in einem der 204 Fälle, in denen Soldaten während des Beobachtungszeitraums in Kasernen starben, eine Ermittlung durchgeführt wurde, die aufdeckte, dass der Tod die Folge von Misshandlungen durch Mit-Wehrpflichtige war, und ob in solchen Fällen irgendeine Strafverfolgung eingeleitet wurde. www.mesop.de